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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

von 2300 Fuß (an zwei Stellen sogar bis 2800 Fuß tief) von Schächten und Stollen durchzogen, die durch harten Fels gesprengt und durch Balken und schwere Bretterbohlen vor dem Einstürzen geschützt werden mußten – eine Riesenarbeit, welche der Mensch mit Hülfe des Dampfes in etwa 17 Jahren zu Stande gebracht hat. Die bedeutendsten Erzlager wurden im Jahre 1871 in den Belcher- und Crown Point-Minen entdeckt, welche zusammen etwa 30 Millionen Dollars producirten, und im Jahre 1875 in der Consolidated Virginia- und der Califonia-Mine, den sogenanten Bonanza-Minen, woraus in 5 Jahren mehr als 120 Millionen Dollars gewonnen und den Actionären bis jetzt 72 Millionen Dollars in Dividenden (Reingewinn) ausgezahlt wurden. Der Totalertrag der Comstock-Minen wird auf etwa 350 Millionen Dollars geschätzt.

Alle Bergbau-Einrichtungen am Comstock-Gang sind im großartigsten Stil angelegt. Dampfmaschinen von 500 bis 1000 Pferdekraft heben das Erz und die zersprengten Felsmassen und pumpen das Wasser aus einer Tiefe von über 2000 Fuß auf die Oberfläche, andere treiben durch Röhren die kalte Luft der Oberwelt in die Gluthatmosphäre dort unten hinunter, wo die Arbeiter bei einer Hitze von 120 Grad Fahrenheit sonst schon längst ihre Thätigkeit hätten einstellen müssen. Riesige Stampfmühlen pochen das Erz mit Höllenlärm Tag und Nacht zu Pulver, dem seine kostbaren Bestandteile nachher durch chemische Zersetzungsprocesse entzogen werden: Berge von Schutt und Felstrümmern, welche aus der Tiefe gefördert wurden, liegen an den kahlen Abhängen des Mount Davidson und in und um die wüsten Minenstädte Virginia City und Gold Hill – das Ganze ein Bild, so urwüst, so titanenhaft-großartig, wie es sich die Einbildung kaum vorzustellen vermag.

Das vorhin erwähnte Wort „Bonanza“ ist dem Spanischen entnommen und bedeutet „ein großes Erzlager“. Den Bonanza-Namen verdankt die Millionärfirma Flood, O'Brien, Mackey und Fair, sämmtlich Irländer, ihren kolossalen Reichthum, der auf 100 Millionen Dollars geschätzt wird. Sie controlliren den Minenmarkt in San Francisco vollständig und halten das Wohl und Wehe von vielen Tausenden sozusagen in ihrer hohlen Hand. Diese sogenannten „Bonanzakönige“ waren alle früher Leute in den bescheidensten Lebensverhältnissen. Mackey, der Reichste des Kleeblatts (O'Brien starb im vorigen Jahre), war einst ein einfacher Minenarbeiter und erstand für einen Spottpreis einen Antheil von der damals fast werthlosen Consolidated Virginia-Mine. Heute ist er ein Nebenbuhler des Herzogs von Westminster und der Rothschilds! Während Mackey’s Frau, eine geborene Französin, die einst Lehrerin in Virginia City war, in Paris lebt und sich dort umsonst bemüht, ihres Gemahls überflüssige Millionen klein zu machen, verweilt dieser am liebsten unter seinen alten Cameraden in Virginia City. Nichts macht ihm mehr Vergnügen als Diesen oder Jenen von seinen alten heruntergekommenen Freunden gelegentlich mit einem Wechsel von 10,000 bis 20,000 Dollars zu erfreuen. – Sein Associé Flood, welcher früher in Gemeinschaft mit O'Brien Schnaps für einen Bit (12½ Cents) den Schluck verkaufte, ist zum Financier der Bonanzafirma avancirt und gleichzeitig Präsident von der mit einem Capital von 15 Millionen Dollars in San Francisco arbeitenden und nur den Bonanzafürsten gehörenden Nevada-Bank, des größten Geldinstitus in Amerika. – Fair, als der Dritte im Bunde, der das bescheidene Einkommen von 750,000 Dollars per Monat genießt, führt die Aufsicht über sechs der größten Minen von Comstock-Gang und spielt als Mineningenieur in Virginia City die tonangebende Rolle.

Außer den Minen am Comstock-Gang giebt es noch Hunderte von größeren und kleineren Silberminen im Staate Nevada, in denen auf der San Francisco-Stockbörse speculirt wird. Hierzu kommen noch die vorhin erwähnten, gleich östlich vom Gebirgszug der Sierra Nevada und südlich von Virginia City in Californien liegenden, erst neuerdings entdeckten Goldminen von Bodie, welche dem Comstock eine gefährliche Concurrenz machen. „Comstock“ und „Bodie“ sind heut zu Tage der Schlachtruf aller Stockspeculanten in San Francisco.

Wie das bei jedem Handel in Werthpapieren der Fall, ist es das Ziel der meisten dabei Beteiligten, billig einzukaufen und hoch zu verkaufen; allerdings sehr relative Begriffe bei Stocks, von denen selbst der weise Salomo nicht sagen könnte, wann sie hoch und wann sie niedrig stehen. Eine geringere, auserlesene Zahl von Börsenleuten speculirt auf einen fallenden Markt, indem sie sich verpflichten, nach einer bestimmten Zeit Actien (shares) zu dem oder jenem Preise in dieser oder jener Quantität zu liefern oder den Betrag dafür zu entrichten (hier „short“ kurz speculiren genannt) – ein gefährliches Spiel bei einem so wetterwendischen Markte, wie dem auf der San Francisco-Stockbörse!

Die allergefährlichste Art des Speculirens in Minen-Actien ist auf sogenannte „margins“ (Grenzen). In diesem Falle deponiert der Speculirende bei seinem Makler (broker) eine Summe Geld, wofür dieser ihm gestattet, die doppelte bis fünffache Anzahl von irgend welchen Shares zu kaufen, die er, der Makler, in Händen behält. Steigen die Actien, so erzielt der Speculirende rasch einen großen Nutzen, fallen sie, so hat der Makler das Recht, entsprechenden Zuschuß zu verlangen oder die Shares zu verkaufen, um sich vor Verlust zu sichern. Daß der normal geltende Begriff vom Werthe des Geldes bei derartigen Speculationen ganz und gar abhanden kommt, ist eine der schlimmsten Folgen des Spiels in Minen-Actien. Selten begnügt sich Einer damit, nur mit seinem eigenen Capital zu arbeiten und für das, was er kauft, selbst baar zu bezahlen. Wer seine eigenen Dollars sonst klug in Acht nimmt, besinnt sich nicht, wenn er einmal in den Strudel des Hazardspiels mit Stocks gerathen ist, mit fremdem Gelde zu wirthschaften, als ob die Zwanzigdollarstücke auf der Straße lägen, und denkt nicht daran, daß er den etwaigen Verlust über kurz oder lamg doch decken muß.

Das Schlimmste für die Speculanten in Minen-Actien sind die unausbleiblichen „Assesments“ (Schatzungen für Minen-Betrieb). Selbstverständlich nimmt es enorme Summen in Anspruch, um Gruben von der Ausdehnunug und Tiefe, wie die am Comstock-Gang, bergmännisch zu bearbeiten. Wenn diese kein Erz oder solches nicht in genügender Quantität produciren, so müssen die Actionäre mit dem nöthigen Kleingeld herausrücken, um die nothwendigen Ausgaben zum Minen-Betrieb zu decken, natürlich in der Hoffnung, ihre Zuschüsse bei dem nächsten reichen Erzfunde durch Dividenden oder durch Preiserhöhung ihrer Actien hundertfach zurückzuerhalten. Das wäre nun schon in der Ordnung, wenn sämmtliche Actionäre einer Mine dabei auf gleichem Fuße ständen. Statt dessen sind einige sehr reiche Speculanten allemal im Besitze von etwas über der Hälfte von der Actienzahl einer Mine, und da die Mehrzahl der bei einer Wahl repräsentirten Actien bei allen Bestimmungen zum Minen-Betrieb allein rechtsgültig ist, so thun und lassen jene Wenigen so ziemlich Alles, was sie wollen. Diese, die sogenannten „insiders“ spielen mit dem großen Publicum - den „outsiders“ – wie die Katze mit der Maus. Sie bestimmen die Wahl der Beamten, die selbstverständlich mit im „Ring“ sind, und erwählen sich selbst zu Präsidenten und Directoren der Gesellschaft; ihnen gehören die Poch- und Amalgamationswerke, wo das edle Metall aus den Erzen gewonnen wird; sie nehmen alle Contracte, wobei etwas zu verdienen ist, und alles Geld geht durch ihre Hände. Zu jeder Zeit sind sie im Stande, die Actien einer von ihnen controllirten Mine hinauf- oder heruntergehen zu lassen.

Ohne einen Grund anzugeben, wird bald von dieser, bald von jener Mine ein Assessment ausgeschrieben, von 10 Cents bis zu mehreren Dollars per Actie, was für die betreffende Mine oft einen Gesammtbetrag von 100,00 und mehr Dollars ausmacht und nicht selten drei- und viermal im Jahre von derselben Gesellschaft wiederholt wird. Während der letzten 12 Monate erhoben 23 am Comstock-Gang liegende Minen über 6 Millionen Dollars Assessments, während nur 2 Minen, die Consolidated Virginia und die California, 4½ Millionen Dollars in Dividenden auszahlten, und nur 2 andere keine Assessments zahlten. Wer ein Assessment auf die ihm gehörenden Shares nicht vor der Verfallzeit bezahlt, dem werden von diesen ohne weitere Flausen so viele zu irgend einem Preise verkauft, bis der verfallene Betrag gedeckt ist.

Um den Marktwerth der Actien hinauf oder hinunter zu

schrauben, kommen mancherlei geniale Kniffe und Manipulationen in Anwendung. Das einfachste Mittel zum Hinuntertreiben der Shares sind allemal die Assessments – im Galgenhumor gewöhnlich „irländische Dividenden“ genannt – mit deren öfterem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_008.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)