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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ernste und hohe Gedanken aus, und ich bewunderte Theresa’s klaren Geist und ihre feine Empfindung. – Es war spät, als sie mich in das Zimmer führte, in welchem ich schlafen sollte, und als sie mir sagte: „Maurus, schlafe wohl! Und wenn Du Dich in der Nacht unwohl fühlen solltest, so klopfe an der Wand! Ich werde es hören; ich schlafe neben Dir“ – da schloß ich sie mit einer hohen Empfindung in die Arme und dachte: Ich schlafe neben meinem Schutzgeist! –

Aber als ich am nächsten Tage Theresa verließ, nahm ich die Ueberzeugung mit mir, daß ich sie verehrte wie ein reineres, besseres Wesen, aber sie nicht liebte. – Und mit jeder Minute, die mich mehr von ihr entfernte, wuchs meine Angst vor dem, was nun kommen würde. Als ich dann in meine Wohnung in Paris trat, fand ich auf meinem Schreibtische einen Brief von Roudel, und es stand darin: „Ich hole Sie heute Abend zu einem Besuche bei der Tscherkessin ab. Erwarten Sie mich um neun Uhr!“

Ich sank auf einen Stuhl; ich zitterte am Körper und in der Seele. – Nach und nach ward ich ruhiger; ich sagte mir, daß das wirkliche Wesen vielleicht einen ganz andern Eindruck auf mich machen werde, als das Bild, und daß ich von meinem Fieber vielleicht durch Suhra selbst geheilt würde. Ja, sagte ich mir, ich werde hingehen; ich werde gegen diese geheimnißvolle Gewalt kämpfen und vielleicht siege ich. – Diese drei „Vielleicht“ klangen mir, wie von höhnischer Stimme gesprochen, in der Seele nach. –

Es waren viele Menschen in Suhra’s Zimmern versammelt, und ich kannte die meisten; es waren Alphonsens Freunde und Bekannte, von welchen ich mich seit Monaten zurückgezogen hatte. Sie begrüßten mich mit Erstaunen und Kühlheit.

Nach einigen peinlichen Momenten hörte ich aus einem Nebensalon ein helles, vibrirendes Lachen und fühlte, daß diese Stimme Suhra’s Stimme war. Als ich eben von Jemandem angeredet wurde, trat Suhra plötzlich unter die Thür. Sie stand dort wie auf dem Bilde, aber hundertmal schöner, hundertmal mächtiger. Ich weiß nicht, ob sie vor meinem Gesichte erschrak, als ich ihr vorgestellt wurde, denn ich hatte die Augen vor ihr niedergeschlagen; ich erinnere mich auch nicht, was sie zu mir sprach und was ich ihr erwiderte oder ob ich überhaupt zu ihr sprach. Aber als ich dann endlich zu ihr aufblickte, ruhten ihre großen stahlblauen Augen auf mir, und ihres Mundes Siegeslächeln sagte: Ich habe Dich.

Ich stand vor ihr, wie ein Streiter mit zerbrochener Waffe vor seinem Sieger steht.

Einen ganz genauen Eindruck ihrer Person erhielt ich indeß an jenem Abend nicht; ich war in einem Zustande solcher Erregtheit, daß sich Alles vor meinen Augen verwirrte. Wenn sie in meine Nähe kam, fühlte ich etwas wie einen magnetischen Strom von ihr zu mir herüber gehen, und als sie sich einen Augenblick neben mich setzte und ich aufstehen wollte, hatte ich nicht die Kraft dazu. Ich wandte mein Gesicht ab, damit sie mich nicht ansprechen solle; sie that es auch nicht, aber sie wehte mir mit ihrem Fächer einen starken, fremden Wohlgeruch zu. Wohl fühlte ich, daß zwischen ihr und mir etwas Besonderes bestand; war es nur der furchtbare Gegensatz meiner Häßlichkeit zu ihrer Schönheit, oder war es mehr? Ich vermochte nicht, es zu unterscheiden, allein sie hatte sich absichtlich neben mich gesetzt – dessen war ich mir bewußt. Als sie dann aufgestanden war und sich unter die Gäste gemischt hatte, verließ ich den Saal und das Haus. Ich lief – ich wußte nicht durch welche Straßen – ich lief, bis der Tag anbrach; da sah ich, daß ich bis über Vincennes hinaus gegangen war. Ich legte mich erschöpft in’s feuchte Gras. Jetzt, jetzt ist sie da, die Liebe – ich fühlte es und sagte mir, daß ich an ihr zu Grunde gehen werde. Und als die Sonne am Horizont aufflammte, rief ich laut und mit ekstatischem Verlangen: „Suhra!“

Ja, sie war da, die Liebe, die Leidenschaft, und ich kämpfte nicht mehr dagegen. Ich suchte jetzt jene Bekannten wieder auf, die ich seit Monaten gänzlich gemieden hatte; ich that es, um Suhra so oft wie möglich zu begegnen. Jedesmal, wenn ich sie sah, hatte sie für mich jenes Siegeslächeln, und wenn sie mit Anderen sprach, suchte ihr Blick mich. Jedesmal kam sie mir möglichst nahe und wehte mir mit dem Fächer jenen fremden Wohlgeruch entgegen; sie sprach nicht zu mir, aber ihre blauen, etwas kühlen Augen waren zuweilen von Blitzen durchzuckt, die ihrem Blicke etwas Aufforderndes gaben. Ich sagte mir wohl, daß sie unmöglich ein anderes Interesse an mir haben könne, als das der Eitelkeit; sie hatte natürlich durchschaut, daß meine Leidenschaft für sie eine ungewöhnliche, eine rettungslose war.

O Theresa, Stern des Friedens! Versinkst Du?

An einem warmen Märztage ging ich in’s Wäldchen von Boulogne und setzte mich in einem einsamen Seitenwege. Ich hatte einen Brief an Theresa geschrieben, der mich viele Mühe kostete, denn ich wagte nicht, ihr wehe zu thun, und vermochte doch nicht Gefühle auszudrücken, die ich nicht empfand. Der quälende Druck auf meinem Herzen löste sich allmählich, nachdem ich mich im Tannengebüsch gesetzt hatte. Zuweilen drang gedämpft der rollende Ton der Wagen von den Fahrwegen zu mir; die Schatten der Tannen schwankten sanft auf dem sonnigen Boden, und ich versank in eine Stimmung, wie man sie bei großer Müdigkeit vor dem Einschlafen hat.

Da hörte ich das Rauschen eines seidenen Gewandes und ein starker Wohlgeruch wehte mir zu; als ich aufblickte – trat Suhra zu mir, setzte sich neben mich und sagte sogleich:

„Darf ich heute mit Ihnen sprechen?“

Es zitterte Alles in mir; ich rang nach Fassung und nach Worten und stammelte endlich:

„Ich erinnere mich nicht, jemals absichtlich dieser Ehre mich entzogen zu haben.“

„Sie sind nicht aufrichtig. Können Sie mich mit gutem Gewissen ansehen?“

Der Klang ihrer Stimme war bei dieser Frage gedämpft und zutraulich und verlieh mir den Muth, ihr in’s Auge zu blicken.

O hätte ich es nimmermehr gethan! Der dunkelblaue Schimmer, kühl und heiß, schalkhaft und gebietend, frei und geheimnißvoll, überwältigte mich, und stöhnend schlug ich den Blick zu Boden.

Da sagte sie in tiefem, leisem Tone:

„Gleich am Abend, da ich Sie zum ersten Male sah, in meinem eigenen Hause, wandten Sie das Gesicht ab, als ich mich neben Sie setzte. – Mißfalle ich Ihnen denn so sehr?“

„Diese Frage ist grausam,“ stieß ich hervor. „Hat man Ihnen noch nicht gesagt, wie schön Sie sind?“

„Viel zu oft! Von Ihnen möchte ich Anderes hören – ich fühle mich eigenthümlich zu Ihnen hingezogen. Sie sind kein Schönredner; Sie sind stolz, und ich glaube, Sie können hassen – das gefällt mir. So sind die Männer im Lande meiner Mutter, im Lande der Tscherkessen: stark! Ich liebe die Stärke – was lieben Sie?“

Bethörend wie Musik war der Ton, mit dem sie fragte, und er riß mich zu dem Worte hin: „Warum fragen Sie? Sie wissen es ja.“

Es entstand eine Pause, in welcher ich das Gefühl eines Verbrechers hatte, der sein Urtheil erwartet. Das Urtheil kam, und es war süß und verderblich.

Eine sammetweiche Hand legte sich sanft auf die meine, und als ich zuckte, sagte Suhra:

„Ich denke viel an Sie – Maurus!“

Die Sinne schwanden mir beinahe. „Sie?“ hauchte ich.

„Ja. Ich weiß vieles von Ihnen – ich habe Ihre Bekannten ausgefragt, und sie haben mir Alles gesagt.“

Erschrocken fragte ich: „Was verstehen Sie unter ,Alles’?“

„Sie haben eine Braut – wann werden Sie sich mit ihr vermählen?“

„O seien Sie schonungsvoll!“ bat ich und senkte meinen Kopf auf die Brust.

Theresa – wenn Du mich jetzt sähest neben diesem schönen Weibe, die Untreue auf den Lippen und den Gewissensbiß in der Seele! –

Da sagte Suhra:

„Wenn Sie nur glücklich werden! Ich glaube nicht recht an das Glück der Ehe –“

„Warum glauben Sie nicht daran?“

„Weil das Glück kurz ist und die Ehe lang.“

Diese Antwort überraschte mich.

„Sie dachten noch nie daran?“ fragte sie lächelnd und fügte, in ihrem Pelzmantel schauernd, hinzu:

„Mich friert. Kommen Sie, führen Sie mich! Ich will ein wenig gehen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 855. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_855.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)