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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Ach nein, Großmutter,“ erklärte sie in holder Verlegenheit, „es war nicht um die ‚Anne Liese’, daß ich weinte, nein, gewiß nicht, aber er, der Fritz wollte – dem Fritz seine Schwester, die fragte, ob ich nicht mit ihnen hingehen möchte, und – dann wie ich nicht durfte, ist er auch nicht gegangen, und dann saß ich hier vor der Hausthür; da ist er gekommen und hat mich zu seiner Mutter geholt, und morgen wollte er auch zu Dir –“

„I, was mag er denn nur wollen, Liese?“

„O Großmutter, liebste Großmutter, kannst Du Dir es denn gar nicht denken?“

„Und bist Du denn glücklich, Liese?“ flüsterte die alte Frau.

Das Mädchen nickte und schlang auf’s Neue die Arme um den Hals der Großmutter. –

Am folgenden Abend saß im Gärtlein, droben in der Laube ein junges Brautpaar der alten Frau Rose gegenüber, und die frischen Lippen des Mädchens erzählten schelmisch dem Bräutigam von der Angst, welche die Großmutter gehabt, als sie gestern Abend nicht zu finden war. Die alte Frau lächelte auch, dann aber fing sie an zu erzählen, all das, was auf diesen Blättern steht. Ueber ihr bewegten sich flüsternd die Lindenzweige der Laube; sie konnen ja auch ein Wörtlein mitreden von der, die einst ihr Elternhaus verließ. Die Ferne lag in goldiger Abendbeleuchtung; tiefviolett grüßten die Berge herüber.

Von dem jungen, leicht erblaßten Gesichte des Mädchens aber verschwand das Lächeln; sie hatte die Hand ihres Bräutigams ergriffen und sah mit feuchten Augen in das Land hinaus. Irgendwo weit, weit da draußen, da war ein Grab, das ihr gehörte – wer wußte wo?




Schutzgewohnheiten der Thiere.

Von G. H. Schneider.

2. (Schluß.) Mittel und Wege zum Unkenntlichmachen (Maskiren).

Der herbe Kampf um’s Dasein drängt sowohl die Thiere wie die Menschen dazu, sich aller ihnen zu Gebote stehenden Mittel zu bedienen, um entweder Andere zu überwinden, oder, was noch viel allgemeiner und für Alle gleich wichtig ist, sich den Verfolgungen Stärkerer zu entziehen, und das Maskiren ist für beide Zwecke, namentlich aber für den zweiten, eines der verbreitetsten und zugleich interessantesten Mittel.

Der Mensch bedient sich der Masken Thieren gegenüber lediglich, um diese leichter in seine Gewalt zu bringen. Der Indianer nähert sich den Büffeln unter einer Büffelhaut und bedeckt sich bei der Condorjagd mit einer Kuhhaut. Der Straußenjäger schmückt sich oft mit einem Balge des Riesenvogels, um sich unter dieser täuschenden Decke besser an sein Opfer heranschleichen zu können, und in Europa ahmt der Jäger, wie allgemein bekannt, die Stimmen des Rothwildes und der Vögel nach, um diese vor seinen Flintenlauf zu locken. Seines Gleichen gegenüber wendet er ähnliche Verwandlungen mehr nur zum Schutze an; er wechselt die Kleider, nimmt eine Maske vor, schwärzt das Gesicht oder verstellt seine Stimme; manche Wilde nehmen, sobald sie in die Gefahr kommen, vom überlegenen Feinde entdeckt zu werden, ganz merkwürdige, bizarre Stellungen ein in der Weise, daß die Gruppe aus der Ferne wie eine Anzahl niedriger Baum- und Aststumpfen aussieht, und ist diesen Stellungen verharren sie regungslos so lange, bis alle Gefahr vorüber ist.

Eine große Anzahl thierischer Wesen, ja, mehr oder weniger alle vom Menschen noch nicht gezüchteten Thiere haben von Natur schon eine treffliche Maske in ihrer Farbe und Form, welche in geringem Maße immer, zuweilen aber ganz auffallend derjenigen ihrer Umgebung, das heißt ihres gewöhnlichen Aufenthaltsortes angepaßt ist. Dadurch sind die betreffenden Individuen schwer von den sie umgebenden Dingen zu unterscheiden, also nicht leicht als Thiere zu erkennen; und das geht oft so weit und ist so allgemein, daß man schon aus der Farbe eines Thieres dessen Wohnort zu bestimmen vermag. Die Thiere des hohen Nordens, welche meist auf Schnee und Eis leben, sind im Allgemeinen weiß; die der Wüste haben eine gelbe oder gelbbraune Farbe; solche, die sich auf grünen Pflanzen aufhalten, sind grün gefärbt, und andere, welche auf irgend einem dunklen Gesteine ihre Existenz fristen, zeigen die dunkle Färbung desselben. Deshalb sind Thiere derselben Gattungen je nach ihrem Wohnort oft ganz verschieden gefärbt. Der Hase unserer Felder gleicht, wenn er sich geduckt hat, der Ackererde; sein Vetter, der die Schnee- und Eisfelder bewohnt, ist weiß. Der arktische Bär hat die Farbe des Eises, der graue Bär unserer Gebirge diejenige der dunklen Felsen und Wälder. Auch die Schnee-Eule ist, entsprechend ihrem hochnordischen Aufenthaltsort, besonders im Alter vollständig weiß. Noch zweckentsprechender ist die Eigenthümlichkeit mancher Polar- und Hochalpenthiere, die Färbung ihres Haar- oder Federkleides der Jahreszeit angemessen zu verändern und im Winter die Maske des weißen Schnees, im Sommer dagegen die der dunklen Erde anzunehmen, wie das vom Schneehuhn allgemein bekannt ist.

Aber nicht allein der Gegensatz von Winter und Sommer, von weißen Schneefeldern und dunklen Landflächen bedingt eine derartige Farbendifferenz der Thierkleider, sondern auch jeder andere Licht- und Farbengegensatz in der Natur steht in Beziehung zu einer entsprechend verschiedenen Färbung der Thiere.

Die Adler, Falken und Eulen tragen die rothbraune Farbe der Felsen, in denen sie nisten; die Möven dagegen, welche immer über dem Wasser schweben, zeigen das Blaugrau des wolkenlosen Himmels oder das Silberweiß der schäumenden Meereswellen. Viele Papageien haben die Farbe der Baumkronen, in denen sie sich geschickt zu verstecken wissen, während Rebhühner, Trappen, Schnepfen und andere Vögel dem Boden gleichen, auf dem sie ihre Nahrung oder ihre Schlupfwinkel suchen. Die Wüstenhühner tragen die feinsten Schattirungen des Bodens auf ihrem Gefieder, sodaß sie sich nur ruhig hinzulegen brauchen, um unsichtbar zu sein, das heißt: ein Stück Wüste zu scheinen. Die Farbenpracht tropischer, etwa brasilianischer Vögel entspricht derjenigen der üppigen Flora dieser Länder, während die Vögel, welche unter meist grauem Himmel und auf blumenarmen Feldern leben, weit geringeren Farbenreichthum auf ihrem Gefieder tragen.

Noch auffallender als bei Vögeln und Säugethieren ist diese Anpassung an die Farbe der Umgebung bei niederen Wirbelthieren und bei Insecten. Die meisten Heuschrecken, welche zwischen dem Grase ihr Wesen treiben, und die Blattläuse, welche sich an grünen Stengeln und Blättern aufhalten, sind ihrer Umgebung entsprechend grün gefärbt. Die Schmetterlinge sind bunt wie Blumen, oder ähneln dürrem Laube, wie die Raupen den Rinden oder Blättern, auf denen sie geboren wurden. Die Raupen des rothen Ordensbandes z. B. haben die Farben der Pappeln und Weiden, auf welchen sie sich ernähren; der Pappelschwärmer sieht aus der Ferne einem dürren Pappelblatte zum Verwechseln ähnlich, und die Eier des Fichtenschwärmers sind grün wie die Nadeln, an die sie geklebt wurden.

Auch bei den See- und Süßwasserthieren ist diese sogenannte „sympathische Farbenwahl“ vielfach zu beobachten. Die meisten freischwimmenden Fische gleichen in ihrem Silberweiß dem schäumenden Wasser, während der Zitteraal die Farbe der Wasserpflanzen hat, zwischen denen er sich aufhält, und die Grundfische wie der Sand und Schlamm aussehen, auf welchem sie ihre Beute erlauern. Eine Menge der freischwimmenden, sogenannten pelagischen Thiere dagegen, wie die Quallen, Ruderschnecken, Mantelthiere, pelagische Krebse und Fische sind farblos und durchsichtig wie das Wasser. Die Krabben leben alle zwischen grünen Seepflanzen oder zwischen Steinen, die mit solchen bewachsen sind, und fast ausnahmslos sind sie selbst grün. In Neapel machte man vor etwa zwei Jahren eine interessante Entdeckung. Auf der sogenannten „Zecca“ (ein erhöhtes Plateau im Meere zwischen Ischia, Capri und dem Posilipo) fand man eine Stelle, an welcher alle Thiere ganz intensiv roth gefärbt sind. Der Seegrund ist dort noch nicht genügend untersucht, aber ich vermuthe, daß er selbst roth oder mit rothen Algen bedeckt ist.

Durch eine derartige Anpassung an die Farbe des Aufenthaltsortes gelingt es einmal dem Räuber leichter, sein Opfer zu beschleichen, da er von diesem nicht leicht erkannt wird; in den meisten Fällen aber bildet die „sympathische Farbenwahl“, wie sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_818.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)