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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

man sich – es war im Jahr 1233 – zum dritten Kreuzzuge vor. Graf Burchard von Oldenburg beschloß mit seinen Schaaren den Hasberger Paß anzugreifen; am Hemmelskamper Walde kam es zum Kampfe, und wie einst Hermann von der Lippe, so mußte jetzt Graf Burchard den Zug gegen das brave Bauernvolk mit dem Leben büßen; außer ihm fielen zweihundert Mann unter den Streichen der Stedinger; das Heer wurde in die Flucht geschlagen, und zum dritten Male blieben die Stedinger Sieger.

Dies sollte aber auch ihr letzter Erfolg sein.

Durch einen gewandten Schachzug hatte der Erzbischof den einzigen Bundesgenossen der Stedinger, den Welfen Otto von Lüneburg, mit dem er bisher in Fehde lag, auf einige Zeit matt gesetzt; die Friesen, auf deren Hülfe die Stedinger doch vor Allem rechnen durften, ließen sie in thörichter Kurzsichtigkeit im Stiche; die Ministerial- und Edelleute, welche vordem auf Seiten der Stedinger gestanden, hatten sich nach dem Bannfluch zurückgezogen, ja selbst die Hülfe, welche ihnen aus der Opposition der Fürsten und zum Theil selbst der Cleriker gegen die wahnsinnige Ketzerwirthschaft Gregor’s zu erwachsen schien, zerrann in Nichts – so standen sie da, verlassen von aller Welt, nur auf Gott, ihren starken Arm und ihr gutes Recht vertrauend. Auf der andern Seite aber wuchsen die Kräfte höchst bedrohlich an. Die Aufhetzung gegen die freien Bauern hatte eine immer gewaltigere Ausdehnung genommen; von der Elbe bis zum Rhein wurde von fanatischen Mönchsschaaren das Kreuz gepredigt; von Kloster zu Kloster wanderten aufregende Schreiben; die Marschlande, damals wie heute noch der unbekannteste Theil unseres Vaterlandes, wurden in der Phantasie des Volkes zu einer fremden, mit einer bestialischen Ketzerrasse angefüllten Gegend – von allen Seiten fing die Menge an herbeizuströmen: verblendetes Volk, das sich den Himmel mit Todtschlagen der Ketzer erwerben wollte, raublustige Ritter, alte Kreuzsoldaten, die sich überall unnütz im Lande herumtrieben, abenteuerliches Gesindel, Grafen und Herzoge, z. B. Graf Heinrich von Oldenburg, Graf Ludwig von Ravensberg mit seinen Mannen, Graf Otto der Dritte von Geldern, Graf Florentin von Holland, Herzog Heinrich der Jüngere von Brabant, Adolph der Siebente von Berg, Wilhelm der Vierte von Jülich, Dietrich von Cleve und Andere mehr – eine so noble Räuberbande, wie sie die Geschichte nicht häufig beisammen gesehen.

Im Frühjahr 1243 war das Kreuzheer in Bremen versammelt, und am 27. Mai, am Sonnabend vor Himmelfahrt, brach man gegen die Marsch auf.

Wir stehen vor dem letzten Verzweiflungskampfe dieses vielgeprüften tapferen Bauernvolkes. Man hatte seine Waffen oft genug empfunden, um nicht zu wissen, daß bei einem Sturm auf die Befestigungen des Hasberger Passes die Entscheidung trotz der gewaltigen Uebermacht des Kreuzheeres eine sehr zweifelhafte werden konnte; hatte man doch gerade hier erst eine Niederlage erlitten. Man benutzte daher die vielen vorhandenen Schiffe zur Herstellung einer Schiffsbrücke über die Ochtum und entwickelte somit in freiem Felde die ganze Uebermacht. Bei Altenesch, zwischen der Ochtum, Ollen und Lintow standen die Bauern, an die zweitausend, in tiefem Ernste des Angriffs harrend. Sie wußten wohl, daß es der Entscheidungskampf für ihre höchsten Güter war, der ihnen bevorstand, aber: „Lieber todt als Sclave!“ – das war ihr einziger Gedanke. An ihrer Spitze regten die drei Führer Bolke von Bardenflet, Tammo von Huntdorf, Detmar von Dieke den Kampfmuth durch Hinweis auf die siegreiche Vergangenheit noch mehr an. So standen sie in schlagfertigen Schaaren wohlgeordnet da, ausgerüstet mit nichts als einem Lederschild, Spieß und kurzem Schwerte – reckenhafte Männer müssen es gewesen sein, in denen die ganze deutsche Kampfeswuth lebendig war, und deren Heldengröße erst recht deutlich hervortritt, wenn man bedenkt, daß diese kleine Schaar leicht bewaffneter Bauern auf offenem Felde einer Uebermacht von zehntausend meist eisengepanzerten kriegsgeübten Streitern zu Fuß und zu Pferd sich gegenüberstellte. Gegen Mittag begann der Angriff unter dem Befehl des Herzogs von Brabant. Von sicherer Höhe aus stimmte die Clerisei das alte, damals vielgesungene Lied an: „Media vita in morte sumus!“ („Mitten wir im Leben sind von dem Tod umschlungen“); die goldnen Kreuze und Fahnen leuchteten aus ihrer Mitte herüber, und durch diesen Gesang und Anblick noch mehr fanatisirt, warf sich das erste Treffen unter der Führung Florentin’s von Holland auf die Stedinger, von denen es mit grimmigen Hieben empfangen wurde. Ein wilder Kampf begann – zwischen das Schlachtgeschrei und Getöse erklangen die frommen Lieder der Mönche. Furchtbar wüthete die Hand der Bauern unter den Kreuzträgern und edeln Herren – Graf Heinrich von Oldenburg wurde vom Pferde gerissen und zusammengehauen. Bis zum Abend dauerte das blutige Ringen freier Männer gegen Pfaffenwuth und Raubgier, ja die Stedinger hieben so furchtbar ein, daß das Kreuzheer in’s Schwanken gerieth; aber die Uebermacht war zu groß – die Stedinger wurden überflügelt, und als nun der Graf Dietrich von Cleve mit frischen Truppen ihnen in den Rücken fiel, war ihr Schicksal entschieden; nur eine sehr kleine Anzahl entkam durch die Flucht, fast die ganze waffenfähige Mannschaft lag erschlagen auf dem Schlachtfelde.

Als die blauen Abenddünste der Marsch emporstiegen und die Sonne am Deich hinabsank, da blickte sie auf verwaiste friedliche Höfe, wo blaue Kinderaugen vergeblich nach dem Vater ausspähten, der bleich und starr in der blutigen Ebene lag – ihre letzten Strahlen aber trafen auf ein Kreuz, das Zeichen der ewigen Liebe, das ein triumphirender Priester in blutigen Händen hoch empor hielt, während die Schaaren ringsum heilige Lieder anstimmten und, den Namen Gottes lästernd, ihr wüstes Treiben mit seinem Willen deckten. Nun folgte der zweite Act des Dramas, das Plündern, Sengen und Morden im Lande – den Genuß von Ketzerverbrennungen mußten sich die Priester entgehen lassen, da keine Gefangenen gemacht worden waren.

Neben den erschlagenen Stedingern aber, unter denen sich auch viele Frauen befanden, lagen über viertausend Kreuzfahrer, darunter viele vornehme Herren. Der Haufen der Gefallenen war so groß, daß die Leichen der Ketzer und Kreuzfahrer nicht geschieden werden konnten, sondern in gemeinsamen Gräbern bestattet werden mußten. Ueber der Grabstätte der auf dem Schlachtfelde selbst Beerdigten wurde die Capelle des heiligen Gallus errichtet, die Kirche zu Süderbrok, welche unser Bild zeigt. Von den Edeln wurde eine große Zahl in den Kirchen zu Warfleth und wahrscheinlich auch zu Berne und Elsfleth bestattet. Da aber eine Scheidung von Ketzern und Kreuzfahrern nicht stattgefunden hatte, mußten Kirchen und Grabstätten von Neuem geweiht werden.

So hatte denn Gerhard sein Ziel erreicht – das freie Bauernvolk war vernichtet; in der Marsch herrschte die Ruhe des Kirchhofes. Wie viel Niedertracht und Lüge, wie viel blutige Niederlagen und Opfer selbst aus seiner eigenen Familie es gekostet, was kümmerte es ihn? Die heilige alleinseligmachende Kirche hatte gesiegt, und sie mußte siegen, denn sie muß herrschen oder untergehen. Und so stiftete Gerhard eine Gedächtnißfeier, aus Procession und Messe bestehend, die alljährlich am Sonnabend vor Himmelfahrt „als Gedenkfeier an den Sieg über die Stedinger zu Ehren der heiligen Jungfrau“ abgehalten wurde. Drei Jahrhunderte lang stiegen diese Jubelhymnen in der Peterskirche zu Bremen empor, mahnend an eine der schändlichsten Thaten der Hierarchie, welche die Geschichte je verzeichnet hat, bis endlich die Wogen der Erkenntniß im Volke immer höher schwollen, bis der Geist der Reformation hier seinen Einzug hielt.

Die Tragödie der Stedinger blieb nicht ohne Nachspiele.

Diejenigen Stedinger, welche aus der Altenescher Schlacht entkommen waren und bei den Friesen Aufnahme gefunden hatten, schürten in deren Mitte zum Kampf gegen die Oldenburger Grafen, welche hauptsächlich in Oberstedingen Besitz genommen hatten – der Zweck war die Befreiung Niederstedingens. In der Mitte des Jahrhunderts griffen die Rustringer und Niederstedinger zu den Waffen, erlitten aber eine Niederlage durch den Grafen Johann von Oldenburg. Da öffneten die Stedinger ihre Siele – und sieben Jahre lang war das Land eine Wüste; Wölfe nährten in der Kirche von Elsfleth ihre Brut und – damit der Tragödie die Komik nicht fehle – die biederen Benedictiner in Rastede mußten ihren Convent auflösen, weil sie in Folge jenes Zustandes nichts mehr zu beißen hatten. Und als die Oldenburger nun in Rustringen eindrangen, wurden sie auf dem Boitwardener Moor auf’s Haupt geschlagen. Erzbischof Hildebrand drohte jetzt, zu Gunsten der Oldenburger Grafen einzugreifen, aber die Bremer nahmen Stellung gegen ihn, und so zog er es vor, im Jahre 1260 einen Frieden herzustellen, welcher sich auf einen gemeinsamen Vertrag zwischen Friesen, Oldenburgern, Bremern und dem Erzstift gründete und der den Niederstedingern für alle Zeiten eine Unabhängigkeit gewährte, welche ihnen gestattete, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen.

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