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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

allgemeineres Interesse zu erregen verspricht, als dies das vergleichende Studium der Organformen vermocht hat.

Ich will im Nachfolgenden einige Beispiele für das eben Gesagte anführen, indem ich zunächst eine Vergleichung derjenigen Mittel und Wege gebe, deren sich die verschiedensten Thiere, wie nicht minder die Menschen, zum Abschrecken stärkerer Feinde bedienen.

Es ist sehr beachtenswerth, daß solche Thiere, welche sich niemals vertheidigen, sondern nur flüchten oder sich willenlos in ihr Schicksal ergeben und höchstens im tödtlichen Schmerze sich krümmen und zucken, auch niemals den Versuch machen, ihre Feinde abzuschrecken. Letztere Gewohnheit, insbesondere das Drohen, steht zum Vertheidigen in unmittelbarer Beziehung und bildet gewissermaßen die erste Stufe desselben, auf welcher denn auch eine ganze Anzahl Geschöpfe ausschließlich stehen bleibt.

Weder bei Urthieren und Pflanzenthieren, noch bei Würmern, Muscheln und Schnecken ist die Gewohnheit des Abschreckens zu beobachten; dagegen findet sie sich bei allen höher organisirten, intelligenteren Wesen, bei den Wirbel- und Gliederthieren und in der Gruppe der Weichthiere bei den Kopffüßlern, unter letzteren am ausgebildetsten bei den Pulpen (Polypen). Drohend entrollen sie beim Herannahen eines gleichstarken Gegners ihre schlangenförmigen Arme, blähen sich auf und bilden durch ungleiche Zusammenziehung der Haut eine Menge unregelmäßiger Höcker, insbesondere zwei größere Pickelhauben auf dem Kopfe über den beiden Augewülsten, durch welche sie sich ein furchtbar kriegerisches Aussehen geben.

Die Gliederthiere können sich ihrer Organisation nach sehr wenig oder gar nicht aufblähen; dagegen suchen einige Insecten den Angreifer dadurch zurück zu schrecken, daß sie diesem einen ganz unerwarteten Anblick bieten, was in der That oft nicht ohne Wirkung sein wird, da gerade unvermuthete Erscheinungen am meisten geeignet sind, Thiere stutzig und mißtrauisch oder gar furchtsam zu machen. So stülpt die Schwalbenschwanzraupe, sobald sie angefaßt wird, unvermuthet aus dem Nacken gabelförmig zwei Fleischzapfen hervor, und ein Weichkäfer (Melachius) drückt bei Berührung aus den Seiten des Brustkastens und Hinterleibs mehrere rote Wülste heraus.

Auch von der Feuerkröte ist ein ähnliches Mittel bekannt, welches sie in der letzten Verzweiflung anwendet. Kann sie das schützende Wasser nicht mehr erreichen, so schlägt sie plötzlich Kopf und Beine zurück und zeigt dem Verfolger die orangeroth gefleckte Bauchseite, und da hiernach das Thier unvermuthet ein ganz anderes geworden zu sein scheint, so mag gar oft der hungerige Räuber stutzig werden und sich anderweitig nach Beute umsehen.

Derartige Kunstgriffe scheinen indessen verhältnißmäßig selten vorzukommen. Allgemeiner ist dagegen die Gewohnheit verbreitet, dem Feinde durch Erheben und Ausbreiten der Gliedmaßen und der Hautgebilde, durch Aufrichten des Körpers und womöglich durch Aufblähen desselben, also durch scheinbare Vergrößerung der Gestalt, sowie durch ein wildes, furchterregendes Aussehen zu imponiren und ihn dadurch zurückzuschrecken, wie das schon von dem Polypen bemerkt wurde. Alle Fische erheben zu diesem Zwecke ihre Rückenflossen und breiten die Brustflossen aus. Der kleine Seeschmetterling weiß sich durch plötzliches Aufrichten seiner unverhältnißmäßig großen segelförmigen Rückenflosse bei stärkeren Fischen Respect zu verschaffen. Der Kugelfisch bläht sich durch Aufnahme von Wasser und Luft zu einer großen Kugel auf, wodurch er sich scheinbar bedeutend vergrößert und zugleich seine sonst anliegenden Stacheln aufrichtet.

Die breite Halskrause der Krauseneidechse sowie die Rückensegel und Kämme der Segelechse, der Leguane, Helmbasilisken und Kammanolis, welche Hautgebilde bei jedem Herannahen irgend eines Feindes sofort erhoben werden und den Thieren ein besonders gefährliches Aussehen geben, scheinen lediglich den Zweck des Abschreckens zu haben. Das Aufblähen ist bei fast allen Reptilien und Amphibien in einer Weise ausgebildet und verbreitet, wie bei keiner anderen Thiergruppe, weil es dort einen zweifachen Schutz bildet. Einmal können sie mit der vergrößerten Körperform mehr imponiren, und dann erschwert die Vergrößerung das Verschlungenwerden, ja macht es geradezu unmöglich. Viele Eidechsen, insbesondere die Leguane und Flugdrachen, haben bekanntlich stark erweiterte Kehlsäcke respective Kehlwammen, die sie durch Luftaufnahme ungemein anschwellen. Auch die Schlangen suchen den Feind durch Aufblasen des Halses abzuschrecken; ich erinnere hierbei an die Brillenschlange, welche ihren Hals zu einem breiten Schilde zu erweitern vermag. Die Frösche und Kröten treiben sich zu ihrem Schutze derart zu dicken Trommeln auf, daß die Fabel, wie bekannt, einen Frosch sogar schließlich platzen läßt.

Bei den Vögeln spielt das Aufblasen des Halses als Abschreckmittel ebenfalls noch eine wichtige Rolle; insbesondere suchen sich die Reiherarten und einige Schwimmvögel, z. B. der Alk, damit zu schützen. Zur weiteren Vergrößerung der Körperumrisse sträuben außerdem alle Vögel, sobald sie angegriffen werden, das Gefieder, heben den Schwanz, schlagen mit demselben ein Rad, breiten die Flügel aus, und solche, welche besondere Hauben, Kronen oder Federbüschel am Kopfe haben, was bei einem sehr großen Theil der gefiederten Welt der Fall ist, suchen sich durch Erheben und Ausbreiten derselben ein besonders kühnes und furchterregendes Aussehen zu geben. In ähnlicher Weise sträuben sich mehr oder weniger bei allen Säugethieren, namentlich auffallend aber bei Huf- und Raubthieren, wenn schreckenerregende Gefahr droht, die Haare, vornehmlich die Rückenhaare; ja in gewissem Grade verblieb auch dem Haar des Menschen diese Eigenschaft. In zoologischen Gärten kann man beispielsweise beobachten, wie Hyänen, wenn sie sich um einen Knochen zanken, die Rückenhaare sträuben und, was noch auffälliger ist, die Haare des erhobenen kurzen Schwanzes büschelförmig ausbreiten. Indeß erfolgt das Sträuben der Haare ohne Einfluß des Willens, während bei den Vögeln das Aufrichten der Schwanz-, Schopf- und Haubenfedern augenscheinlich ganz willkürlich ist. Eine Ausnahme von der Regel bilden unter den Säugern die Stachelschweine und Igel, insofern bei diesen das Erheben der zu Stacheln umgebildeten Haare ein willkürliches ist; es kommt dies daher, daß bei ihnen diese Schutzorgane zur directen Vertheidigung angewendet werden, weshalb hier die kleinen Haarmuskeln besser ausgebildet sind.

Ein Aufblähen findet auch bei den Säugethieren insofern statt, als sich dieselben, wie alle höheren Thiere von den Reptilien an aufwärts, sobald sie einem Feinde imponiren und ihn dadurch zurückweisen wollen, hoch aufrichten, wobei dann stets durch erhöhte Luftaufnahme die Brust hoch gewölbt wird. Hierin zeichnet sich der Mensch ganz besonders aus, und der Ausdruck „aufgeblasener Frosch“ ist für einen eitlen, wichtig thuenden Protzen äußerst bezeichnend. Manche Raubthiere, wie z. B. der Musang, ebenso Affen blasen dazu oft die Backen auf, und der Mensch thut unwillkürlich dasselbe, wenn er in Wuth geräth.

Eine weitere sehr allgemeine Gewohnheit zum Abschrecken des Feindes ist das Drohen mit den Waffen, welche den betreffenden Thieren zu Gebote stehen. Dieselben werden nicht nur gezeigt, sondern auch kräftig bewegt, um dadurch kund zu thun, wessen man fähig ist und was man beim thatsächlichen Angriffe zu thun gedenkt.

Schon die Krebse strecken jedem sich nahenden Feinde ihre Scheeren entgegen, und manche Krabben schlagen dieselben laut klatschend zusammen. Auch die mit größeren zangenartigen Kiefern versehenen Insecten bewegen diese oft drohend gegen einander. Oeffnet man einen Termitenhaufen, so erscheinen sofort die Soldaten des Insectenstaates und schlagen die Kiefer unter hörbarem Geräusche zum Abschrecken zusammen. Die Fische, welche mit stachligen Rückenflossen versehen sind, erheben diese zur Drohung, und sämmtliche Reptilien, Vögel und Säugethiere haben übereinstimmend die Gewohnheit, den Rachen respective Schnabel aufzureißen und, wo es vorhanden, das Gebiß zu zeigen. Reihervögel namentlich suchen den Angreifer mit drohenden Bewegungen des Schnabels abzuschrecken, indem sie den Kopf zurücklegen und dann vorschnellen, als seien sie gewillt, den Gegner gleich aufzuspießen. In großer Wuth und Gefahr wird von den Säugethieren das ganze Gebiß entblößt und laut auf einander geschlagen, wie das an Affen, Dachsen und jungen Bären besonders gut zu beobachten ist, und Hunde, sowie katzenartige Raubthiere zeigen jedem Feinde oder Nahrungsconcurrenten, den sie erblicken, sofort die Zähne. Hat der Feind noch keinen thatsächlichen Angriff gemacht, dann wird das Gebiß durch Fletschen entblößt, aber nicht geöffnet, und ist die Gefahr noch sehr fern, so legt die fletschende Oberlippe nur einen Eckzahn bloß.

Der Mensch zeigt auch hierin wieder, wie nahe er dem Thiere steht. In großer Wuth reißt er den Mund auf und zeigt alle Zähne. Frauen strecken nicht ganz selten die zum Kratzen gekrümmten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_802.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)