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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 47. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Verheirathet.
Novelle von H. Wild.
(Fortsetzung.)


Der dicke Herr kam auf ihn zu, lüftete den Hut und stellte sich als den Schiffsarzt vor.

„Mr. Walter?“ fragte er dann.

Walter verneigte sich bejahend.

„Hm,“ sagte der Arzt und musterte den Gatten seiner Patientin mit einem Blicke, der nichts Freundliches hatte. „Hm.“ Und er stülpte zugleich seinen Hut mit einer Entschlossenheit auf, die ganz das Gegentheil von Höflichkeit war. „Mistreß Walter sehr krank – bedenklich – kann für nichts stehen.“ Sein Blick streifte finster das Meer, als berechne er schon jetzt die Stelle, wo man sie nächstens einsenken werde. „Vollkommene Ruhe – jede Scene vermeiden – schon zu viel ertragen müssen.“ Hier sah er wieder auf den Ehemann, doch sehr von oben herab. „Pures Kind – hätten warten können – nichts zum Heirathen.“ Und plötzlich schnaubte er mit einer Art von Wuth: „Die geringste Rücksichtslosigkeit bringt ihr den Tod.“ Worauf er abermals kurz den Hut lüftete und mit dem Ausdruck sittlicher Mißbilligung so energisch vorüber ging, daß unter seinen markigen Schritten die Planken knarrten.

„Mein Gott!“ dachte Walter entrüstet, „hält der Narr mich für einen Kinderfresser?“ Und ganz aufgebracht kehrte er auf das Verdeck zurück. Doch sein Zorn hielt nicht Stand. Die Aussicht, daß er wohl Wittwer werden könne, bevor er noch eigentlicher Ehemann gewesen, bewegte seltsam sein Herz; obgleich er dadurch auf die bequemste Art der verhaßten Fessel los geworden wäre, vermochte er doch nicht, sich darüber zu freuen. Ein unbestimmtes Mitleid hatte sich in seine Seele geschlichen. Was mußte die Arme gelitten haben, um so innerlich verstört zu sein!

Und so jung sollte sie sterben! „Ein pures Kind“ hatte der Arzt sie genannt. Nein, das konnte Walter nicht wünschen, selbst nicht um den Preis seiner Freiheit. Gab es doch andere Mittel genug, die verbrecherisch erzwungene Trauung zu lösen! das einfache Verbrennen des Contractes hätte wahrscheinlich schon genügt. Welcher Gerichtshof konnte eine solche Scheinehe als gültig anerkennen? Verwirft doch selbst die Kirche die Eide, die unter dem Messer des Mörders geschworen werden!

Immer weicher wurde ihm das Herz; immer ungefährlicher, harmloser dünkte ihm, was ihm vor noch kaum zwei Stunden als ein unabwälzbares, entsetzliches Unglück erschienen. Das unterdrückte schmerzliche Klagen dieser Nacht wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn. Hätte er ihr nur ein freundliches Wort gesagt! Hätte er nur in irgend einer Weise sie beruhigen, sich ihr als Freund, als Schützer zeigen können! Aber nun sollte sie sterben, und er hatte sie nicht einmal gesehen.

Er dachte nicht mehr daran, ob die Natur sie schwarz oder weiß geschaffen. Der Schatten des Todes, der auf sie fiel, hatte in seinem Gemüth jeden Unterschied der Rassen von ihrem jungen Antlitz weggelöscht. – – –

Einige Tage waren vergangen. Die unmittelbare Gefahr, hieß es, sei gehoben. Dennoch schien der Arzt nicht zufrieden.

„Ist ein überaus zartes, schwaches Pflänzchen,“ sagte er eines Tages zu Walter, der ihn jetzt regelmäßig nach erfolgter Visite erwartete. „So ein Kräutchen ‚Rührmichnichtan!’ muß vor jedem Lüftchen gehütet werden. Schwere Last – kenne das – Geduld, Geduld, junger Mann!“ Er machte eine betrübte Geberde.

Das gesellige Leben auf dem Schiffe hatte sich inzwischen für Walter, der es, in seine Gedanken verloren, kaum bemerkte, weit erträglicher gestaltet. Mit dem Capitain stand er auf gutem Fuße, und auch die Damen, nachdem sie die Erfahrung gemacht, daß die von ihnen so sehr Bemitleidete ihr Mitleid durchaus nicht begehrte und hartnäckig dabei blieb, sich in ihrer Kabine eingeschlossen zu halten und den Eintritt allen wohlmeinenden neugierigen Rathgeberinnen zu verwehren, hatten es aufgegeben, den Gatten einer so starrsinnigen, undankbaren Frau durch weitere abweisende Strenge zu seiner Pflicht zurückführen zu wollen. Ja, manche fand sogar, es sei schade um den liebenswürdigen jungen Mann, daß er in die Fesseln einer Person gerathen sei, die seine Verdienste unmöglich schätzen könne.

Was den Capitain betrifft, so fand er des Botanikers seltsam fremdes Benehmen seiner Frau gegenüber hinreichend dadurch entschuldigt, daß er ein Deutscher sei und die Deutschen von Haus aus alle Narren seien, und da er sonst keinen Grund hatte, über seinen Passagier zu klagen, so fühlte er sich durch diese scharfsinnige Erklärung auch über dessen eheliche Verhältnisse vollkommen zufrieden gestellt.

Sehr hätte Walter gewünscht, von ihm etwas Genaueres über den Mulatten zu erfahren, allein der biedere Seemann versicherte unbefangen, daß er nichts über denselben wisse. Ein paar Wochen, bevor er in Galveston die Anker gelichtet, erzählte er, seien die besten Cabinen seines luxuriös ausgestatteten Schiffes für einen reichen Pflanzer und dessen kränkliche Gattin brieflich gemiethet und bezahlt und sei ihm auch die Stelle an der Küste bezeichnet worden, wo er sie erwarten müsse. Einige Tage habe sich die Ankunft der Passagiere verzögert; auch dafür sei er reichlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_777.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)