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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Meiner Rache fallen der Opfer genug; ich brauche Euch nicht dazu, und selbst in dem, was ich von Euch fordere, habe ich es nicht auf Euer Unglück abgesehen. Meine Lebensschicksale mögen Euch meine Handlungsweise erklären. Ich bin der Sohn eines Weißen und einer seiner Sclavinnen. Ich hatte einen liebevollen Vater, aber dafür hegte der Bruder desselben eine um so unbegrenztere Antipathie gegen den farbigen Bastard-Neffen, und manche Strafe und Demüthigung, die meine Jugend traf, danke ich ihm. Er that mehr – er, dieser Onkel –“ die Augen des Mulatten glühten und seine Fäuste ballten sich – „er hat nach meines Vaters plötzlichem Tode meine Mutter weit hinein in die Union verkauft und unserer Beider Freibrief aus dem Nachlasse verbrannt. Er war ja Vormund für meinen saubern Halbbruder, dem die Erbschaft zufiel, und dieses Brüderchen – haha! – dieses Brüderchen war die getreue Copie des Onkels und ich der ‚Hund von einem Sclaven’ für ihn. Während der Herr Onkel in Europa drüben sich vergnügte, hörte sein Neffe hier eines Tages auf zu leben. Ich hatte zufällig einen Strick gefunden, der ihm paßte. Seitdem habe ich in den Wäldern auf die Rückkehr des Onkels gewartet; und ich mußte lange warten – bis der Krieg ausbrach. Da kam er herüber und fing an, auf mich zu fahnden.“

Der Mulatte schwieg einen Augenblick und lachte, wie in eine Erinnerung verloren, heiser auf.

„Vor zwei Monaten,“ fuhr er endlich fort, „habe ich ihn und seine ganze Brut umgebracht, bis auf das Mädchen, welches Ihr heirathen sollt, und eine Nacht mich am Brande seines Hauses gewärmt. Das Mädchen fanden meine Leute im Weinkeller ohnmächtig in den Armen einer Mulattin. Sie gefiel mir, wie gesagt, und ich ließ sie eigentlich für mich übrig. Und – der Teufel weiß, warum: ich habe nun einmal eine Schwachheit für sie, auch da sie mich nicht will. So mag sie denn anderswie verschwinden, damit sie mich hier nicht genirt, und Ihr seid der einzige Mann um das zu ermöglichen. Sie muß nach Europa. Diese secessionistische Seifenblase kann über Nacht zerplatzen; dann ist der Friede da, und treten erst die sogenannten geordneten Zustände wieder ein, so darf Niemand mehr hier sein, der mit unangenehmen Reklamationen gegen mich aufträte.“

„Nun, so will ich sie mit nach Europa nehmen und sie dort in einer gebildeten Familie unterbringen, bis sich eine passende Versorgung für sie findet.“

Melazzo schüttelte den Kopf.

„Ich muß eine Garantie haben, daß ihr Leben mir keine Sorgen mehr macht. Möglicherweise will sie von einer passenden Versorgung drüben nichts wissen und taucht eines Tages wieder hier auf. Wenn Ihr sie heirathet, so ist sie für mich so gut wie todt. Die Deutschen – das weiß Jedermann – sind ein friedsames Volk, das sich nicht gern in fremde Händel mischt und zufrieden ist, wenn es die Nase in ein Buch stecken kann. Daß Ihr künftig zu Hause bleibt, das weiß ich, auch ohne daß Ihr es versprecht, und ist sie Eure Frau, so muß sie eben bei ihrem Manne bleiben – dagegen hilft ihr kein Gott. Darum entschließt Euch, denn fort muß sie, so oder so – auch ihr Leben liegt in Eurer Hand.“

Walter wußte nicht mehr, was er sagen sollte.

„Aber fühlt Ihr denn nicht,“ rief er endlich, „daß so zu heirathen etwas geradezu Entsetzliches ist?“

„So wollt Ihr lieber hängen? Oder vielleicht zieht Ihr es vor, daß ich Euch meinen Leuten ausliefere? Es sind Indianer dabei, die es meisterhaft verstehen, auch dem starrsinnigsten Dulder noch einen letzten Schmerzensschrei zu entlocken –“

„Nein, nein!“ rief Walter, schon bei der bloßen Vorstellung halb wahnsinnig.

„So willigt Ihr ein?“

Der Tod ist ein gewaltiger Bekehrer. Noch vor wenigen Minuten hatte der junge Mann sich so sicher gefühlt in dem Bewußtsein seiner unerschütterlichen Seelenkraft – und nun – nun war es doch anders. Er wand sich förmlich unter der Marter dieser immer zunehmenden Hülflosigkeit. Und daneben flüsterte die Hoffnung lügnerisch von den tausend Zufällen, welche die Trauung, sogar noch im letzten Augenblicke, vereiteln konnten – gab es davon nicht Beispiele genug? Und träfe das auch nicht bei ihm ein, gab es nicht Mittel, die lästige Fessel später von sich abzustreifen? Und war es nicht seine Pflicht, sich der Mutter, den Freunden, der Heimath – ach! das egoistische Herz rief überlaut, dem Leben zu erhalten, so lange es noch eine Möglichkeit dazu gab?

„Aber wie kann ich heirathen,“ rief er in einem letzten Anlaufe seiner Gewissenhaftigkeit, „ohne meine Papiere – ohne die geringste Legitimation?“

„Ich habe Euren Paß und die Licenz – das genügt.“

„Aber die deutschen Gesetze –“

„Ihr werdet nach amerikanischem Gesetze getraut. Das geht durch die ganze Welt.“

„Aber eine Trauung ohne kirchliche Einsegnung –“

„Auch dafür ist gesorgt. Beruhigt Euer Gewissen! Ich bin ein frommer Mann. Ihr sollt so fest verheirathet sein, daß weder Pfaff noch Jurist ein Nägelchen davon losschrauben kann.“

Es war der letzte Nothanker, den der Unglückliche ausgeworfen, und er hatte selbst gefühlt, wie schwach er war. Seine Bande waren zerschnitten; der Neger half ihm auf die Füße, und Walter ergab sich in sein Schicksal. Aber er taumelte, und unwillkürlich war es der Arm des Mulatten, nach dem er, um sich zu stützen, griff.

„Schnell – schnell!“ drängte dieser, „oder wir haben die Secessionisten auf dem Halse!“ und er zog sein Opfer nach der Thür. Doch Walter hielt noch immer zurück. „Aber das Mädchen kennt mich nicht,“ stammelte er fassungslos. „Wie, wenn sie mich auch nicht will? Eine so resolute Person –“

„Sie kennt Euch – sie will Euch – sie hat mir heute noch erklärt: Alles sei ihr recht, um nur von meinem verhaßten Anblick erlöst zu sein. Aber schnell, oder es ist zu spät.“

Und er faßte den Gefangenen ungeduldig am Arm und riß ihn mit sich hinaus.

Draußen herrschte pechschwarze Finsterniß; nur die nächste Umgebung des Verschlages war von der rothen Gluth einiger Kienfackeln spärlich erleuchtet. Ihr unheimlicher Schein erhellte nothdürftig einige verwegene, wilde Gestalten, wohl die Intimen des Mulatten. Zwischen diesen standen zwei weiße Männer, beide gefesselt, zitternd und bleich. Der Eine im langen Talar, die Tonsur im dichten, kurzgeschnittenen Haare, verrieth den katholischen Priester in jedem seiner angstentstellten sanften Züge; der Andere war offenbar eine Magistratsperson. Zwischen den gebundenen zuckenden Händen hielt er krampfhaft ein zusammengefaltetes Papier.

Bei Walter’s Erscheinen wurden ihnen im Nu die Fesseln gelöst; zugleich entstand noch eine andere Bewegung unter den Versammelten. Zwei Farbige, denen eine schluchzende Mulattin folgte, brachten auf einer Art Tragsessel einen Gegenstand herbei, der mehr einem Bündel unordentlich auf einander geworfener Kleidungsstücke, als einem menschlichen Wesen glich. Walter bedurfte keines sonderlichen Scharfsinns, um zu schließen, daß er seine Braut vor sich habe. Ein großes buntgestreiftes Tuch, wie es die Negerinnen zu tragen pflegen, bedeckte nicht nur die Gestalt des Mädchens, sondern auch ihr ganzes Gesicht. Als man sie auf die Füße stellte, knickte sie zusammen und sank mit einem leisen Aufschrei der Mulattin an die Brust. Walter hörte, wie die Frau in der wohllautenden spanischen Sprache ihr allerhand Liebesworte zuflüsterte: „Mein Liebchen! Mein Goldkindchen! Mein einziges Töchterchen!“ und so weiter. Er fühlte eine Regung von Mitleid für das arme Geschöpf, das offenbar ebenso ungern, wie er, in diese gezwungene Verkuppelung einging.

Nur Melazzo war gepanzert gegen jede Anwandlung eines nachgiebigeren Gefühls. Ungestüm hatte er das vorhin erwähnte Papier an sich gerissen, es entfaltet und, nachdem er dem Nächststehenden bedeutet, mit seiner Fackel die Schriftzüge besser zu beleuchten, es der Magistratsperson wieder in die bebenden Hände gedrückt.

Es war der Ehecontract.

Mit stotternder Stimme begann der Friedensrichter, oder was er immer sein mochte, die ersten Worte zu lesen. Da erscholl plötzlich aus der Ferne das Knattern einer Kettenlinie von Schüssen durch die Nacht.

Aller Augen wendeten sich nach der Seite, woher der Ton kam, und in Walter’s Seele erhob sich ein Sturm der Hoffnung und der Furcht zugleich. War es Grant? War es Davis? Waren es die Verfolger, von denen Melazzo gesagt? Zornig stampfte der Mulatte mit dem Fuße. Er riß einen Revolver aus dem Gürtel und spannte den Hahn; das Papier auf eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_762.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)