Seite:Die Gartenlaube (1879) 746.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wurde, was er sprach, mit der zustimmenden Unterwürfigkeit entgegengenommen, die den Untergebenen gegen den Vorgesetzten ziemt.

Der Mann war unzweifelhaft eine erste Autorität unter seines Gleichen.

Während Walter sein Nachtmahl verzehrte und dazu seine Bowle schlürfte, überkam ihn plötzlich ein Gefühl, als habe er den Menschen schon früher gesehen, dieselbe hochragende Gestalt, dasselbe gebieterische Tragen des Kopfes und die meist von den langen Lidern verdeckten Augen, die, plötzlich sich öffnend, Blitze zu schleudern schienen. Hier und da auf den Marktplätzen der Städte durch die Menge streifend, im Dunkel des Urwaldes rasch verschwindend oder unversehens auftauchend aus den hohen Gräsern der Prairie – irgendwo an solchen Orten, und zwar öfters, mußte ihm der Mann begegnet sein, und jetzt dachte er daran, daß ja auch bei seinem Eintreten der Blick des Mulatten sich langsam von den Würfeln erhoben und ihn gestreift hatte mit einem Ausdruck – Walter konnte nicht sagen mit welchem, aber ein angenehmer war es keinesfalls gewesen. Es lag überhaupt nichts Anmuthendes in der glühenden dunklen Tiefe dieses Blickes, der selbst in seiner Ruhe an den des Königstigers erinnerte, wenn dieser, übersättigt und in sicherem Versteck hingelagert, das scheue ahnungslose Wild ungefährdet herankommen und vorbeistreifen läßt, zu träge, um eine Klaue zu rühren – nur der blinzelnde Blick folgt nach, als berechne er schon jetzt an dem Lebenden den Werth des ihm sicher zufallenden künftigen Fraßes.

Und wie Walter es dachte, hoben sich wieder jene düstern Augen, und wieder hefteten sie sich auf ihn mit demselben unerklärlichen Ausdruck, der dem jungen Manne jetzt ein beklommenes Gefühl erregte. Er stand auf und trat in’s Freie hinaus, um aus dem Gesichtskreise des Mulatten zu kommen.

Es war eine wundervolle, wenn auch herbstlich kalte Nacht. Durch die dichte Finsterniß der Tropen leuchtete der wolkenlose gestirnte Himmel mit bezaubernder Pracht. In die flammende Herrlichkeit über ihm verloren, saß er auf einem Baumstumpfe und hatte bald den sonderbaren Mulatten und sogar sich selbst vergessen.

Ein schwaches Geräusch vom Hause her weckte ihn aus seiner Versunkenheit, und den Blick dahin wendend sah er unter der weiten Thüröffnung den Mulatten stehen, deutlich von dem erhellten Hintergrunde sich abhebend, die Hand über die Augen gelegt, als spähe er aufmerksam in die Finsterniß hinaus. Neben ihm stand ein Neger, mit dem er gesprochen zu haben schien, doch huschte dieser eben in das Haus. Walter glaubte seinen Diener erkannt zu haben, nur war die Erscheinung zu flüchtig gewesen, um einen sichern Anhalt zu bieten. Der Mulatte mußte sich jetzt genügend orientirt haben, denn raschen sichern Fußes schritt er vorwärts durch die Finsterniß und blieb, als sehe er Walter, in Gesprächsweite von ihm stehen.

„Seid Ihr der kräuterkundige Fremde, der seit einiger Zeit sein Wesen in dieser Gegend treibt?“ fragte er im correctesten Französisch und mit einer Stimme, deren eigenthümlicher Wohllaut, trotz der herrischen Betonung, dem Botaniker schon vorhin aufgefallen war.

„Ja,“ antwortete er verwundert. „Wollt Ihr etwas von mir?“

„Ihr kehrt in Eure Heimath zurück, und zwar bald, sowie Ihr den Zweck dieser Reise erreicht habt?“

„Allerdings,“ versetzte Walter, nicht wenig überrascht, den Farbigen in seine Absichten so gut eingeweiht zu sehen.

Der Mulatte schwieg eine Weile.

„Wohl dem, der eine Heimath hat!“ sagte er dann.

„Ja wohl,“ stimmte Walter dieser unerwarteten, fast lyrisch gefärbte Bemerkung zu.

„Wollt Ihr heirathen?“ fragte plötzlich der Mulatte.

Walter stutzte. Der Mann schien es darauf abgesehen zu haben, ihn von Ueberraschung zu Ueberraschung zu führen.

„Nein,“ sagte er endlich, und dann mußte er lachen. Ein blondes Bäschen fiel ihm ein, das ihm stets als der Inbegriff aller weiblichen Abgeschmacktheit erschienen war und mit dem seine gute Mutter verfängliche Pläne gegen die Freiheit ihres Sohnes geschmiedet. Diese mütterlichen Bestrebungen, denen er nicht schroff begegnen wollte, hatten ihr gutes Theil dazu beigetragen, ihm die Reise über’s Meer als eine angenehme Abwechselung erscheinen zu lassen.

„Ihr seid ein junger Mann und bedürft einer Hausfrau,“ fuhr der Mulatte fort, „vielleicht seid Ihr schon verheirathet?“

„Auch das nicht. Die Wissenschaft ist bis jetzt meine einzige Geliebte gewesen, und nie wird sie mein Herz mit einem irdischen Weibe theilen. Ich denke, Ihr versteht mich,“ setzte Walter gutlaunig hinzu. Die Sache amüsirte ihn.

Vielleicht verdroß der leichte Spott den Mulatten. „Des Menschen Schicksale werden noch durch andere Einflüsse geleitet, als den eigenen Willen,“ bemerkte er scharf.

„Gewiß,“ versetzte Walter. „Allein gerade im Punkte des Heirathens erfreut sich der Mann, wenigstens bei uns, einer glücklichen Freiheit, die Keiner sich so leicht wird entwinden lassen.“

„Es kommt auf die Macht der Umstände an. Denkt Euch, Ihr hättet keine Wahl, als die Frau –“

„Ich würde einfach Nein sagen.“

„Auch um den Preis Eures Lebens?“

Walter verlor die gemüthliche Stimmung.

„Das Leben ist Jedem eine kostbare Sache,“ sagte er ernst. „Hat man doch nur das eine. Und eben darum hat der Staat diese kostbare Sache unter den Schutz des Gesetzes gestellt.“

Ueber die Lippen des Mulatten kam ein Laut, von dem es schwer war zu entscheiden, ob er mehr Zorn oder Verachtung ausdrücken sollte. Walter erhob sich. Das Gespräch, in dem er nichts als eine rohe Verhöhnung sah, fing an, ihm lästig zu werden, und er wollte in das Haus zurück. Der Farbige vertrat ihm den Weg.

„Bleibt!“ herrschte er den Deutschen an. „Ihr sollt meinen Willen thun, ob Ihr nun wollt oder nicht. Ich habe nicht umsonst Tage und Wochen und meiste besten Kundschafter daran gewendet, bis ich Euch hierher gelockt. Zwingt mich nicht, Mittel anzuwenden, vor denen all Euer Widerstand vergebens wäre. Das Mädchen, für das ich Euch bestimmt, vereinigt Alles, was ein Mann Eurer Art sich wünschen kann.“

„Ich aber will sie nicht!“ rief Walter, dem der Zorn nachgerade zu Kopfe stieg.

„Sie ist schön.“

„Meinetwegen.“

„Sie ist reich.“

Walter antwortete nicht und machte ein paar Schritte dem Hause zu. Der Mulatte blieb dicht neben ihm.

„Ihr sucht mir umsonst zu entkommen,“ sagte er. „Ueberlegt es nochmals! Ihr seid in meiner Gewalt. Wollt Ihr das Mädchen heirathen oder nicht?“

„Ich habe es Euch schon gesagt – nein!“ rief Walter, um so ärgerlicher, als er zu seiner Beschämung fühlte, daß er immer mehr die Geduld verlor, während sein Gegner vollkommen ruhig blieb.

„Nun gut, so seid Ihr mein Gefangener,“ sprach der Mulatte und hatte im selben Moment Walter’s Arm mit eisernem Griffe gefaßt.

Der junge Botaniker war den gewöhnlichen Vorfällen des Lebens gegenüber weit mehr ein Träumer, als ein Mann der That. In seiner Wissenschaft, wie in einer unbezwinglichen Festung, verschanzt, hatte er sich von den Leidenschaften und Wirren der außerhalb sich bewegenden Wirklichkeit bisher nur wenig berührt gefühlt. Dennoch stählte der rohe Angriff, der ihn so unerwartet traf, seine Nerven blitzartig zu ihrer ganzen, von ihm selbst kaum geahnten Kraft. Mit einem raschen Rucke machte er sich frei, sprang zwei Schritte zurück und hatte im nächsten Augenblicke auch schon den Revolver gefaßt. Aber mit der Waffe in der Hand und dem Bewußtsein der damit verbundenen Uebermacht, kehrte ihm auch sogleich die gewohnte Mäßigung zurück. Er war überzeugt, er habe es mit einem Wahnsinnigen zu thun, und einen Kranken niederschießen wegen der Aeußerung seiner Krankheit, das war für sein Gewissen weit ärger, als ein gewöhnlicher Mord. Er trat daher noch etwas weiter zurück, und den Revolver in Bereitschaft haltend, sagte er ruhig, aber fest: „Ich kenne Euch nicht und weiß nicht, was Ihr wollt. Laßt mich in Frieden! Ich habe nichts mit Euch zu thun –“

„Ihr sollt mich kennen lernen,“ zischte der Mulatte, und in seiner Stimme, obgleich sie jetzt verhalten war, grollte es wie drohendes Gewitter. „Ja, Ihr sollt Melazzo Guizcoa kennen lernen, und daß er noch nie vergebens gedroht –“

Und plötzlich, wie rasend und blind, drang er von Neuem auf den jungen Gelehrten ein.

War es das Knacken des Hahnes an dessen Revolver oder

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_746.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)