Seite:Die Gartenlaube (1879) 736.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Publicum die Garantie halten, daß es unter den zünftigen Meistern nur vollkommen in ihrer Thätigkeit erprobte Männer finden werde. Demselben Zwecke dient ein anderes Institut, welches noch weit schärfer in die sogenannte Freiheit von Handel und Wandel einschneidet, nämlich „die Schau“. Auch gehören hierher die sehr zahlreichen Vorschriften, welche die Anfertigungsart der Handwerkswaaren vorschreiben.

Was zunächst die Schau betrifft, so ist vorauszuschicken, daß jeder Handwerksmeister seine Waaren mit seinem Werkstattsstempel versehen mußte, dessen Anwendung durch Andere bei schwerer Strafe verboten war. Diese solchermaßen in Bezug auf ihren Ursprung gekennzeichnete Waare durfte nun aber nicht zum Verkauf gebracht werden, bevor sie nicht von den geschworenen Schaumeistern als den gesetzlichen Vorschriften entsprechend und gut gearbeitet anerkannt und zur Beglaubigung dessen mit dem Schaustempel (entweder ein Adler, oder ein N.) gezeichnet worden war. Zuwiderhandlungen wurden, außer mit Vernichtung der vorschriftswidrig oder schlecht gearbeiteten Waaren, mit hoher Geldstrafe geahndet. Den Zinngießern war z. B. verboten, mehr als ein Pfund Blei auf zehn Pfund Zinn zu verwenden, und dieses Verbot wurde schließlich auch gegen anders lautende Privatbestellungen aufrecht gehalten und nur gestattet, ein mit mehr Blei versetztes Zinn auf Privatbestellung bei solchen Gegenständen zu verwenden, mit welchen (nach damaliger Sitte) kein Handel getrieben wurde, wie Badewannen, Brunnenröhren u. dergl.

Die Goldschmiede, bezüglich deren Arbeiten die Bestimmungen der Gesetze sehr detaillirt sind, durften nur achtzehhnkarätiges Gold und vierzehnlöthiges Silber zu ihren Waaren verwenden, und um die Uebertretungen dieses Gebotes zu hindern, waren zwei geschworene Meister verpflichtet, mindestens ein Mal in jedem Monate in die Schmieden zu gehen und von dem dortigen Werksilber und -Gold etwas zu nehmen, das von den vier Geschworenen auf seinen Feingehalt geprüft wurde. Wer sträflich befunden ward, büßte mit fünf Pfund neuer Heller. Um das Publicum gegen Uebertheuerung zu schützen, hatten die Arbeiten einzelner Handwerke bestimmte Preissätze, z. B. die der Schlosser.

Nach außen bildete die Zunft eine Corporation mit bestimmten Rechten und, wie wir soeben gesehen, nicht unerheblichen Pflichten. Die Vorsteher des Gewerbes hatten auf die strenge Beobachtung der Gesetze zu sehen. Was das Verhältniß der Meister unter sich betrifft, so soll es nach der Auffassung der damaligen Zeit dem von Brüdern ähnlich sein; kein Meister soll vor dem anderen einen Vorzug haben, und wo er Gelegenheit hatte, durch größeres Vermögen einen solchen sich zu verschaffen, ist er an der Ausführung dieses Vorhabens durch die Gesetze gehindert, welche wollen, daß keiner den anderen benachtheilige. Deshalb war verboten das „Abspenstigmachen“ der Gesellen oder der Arbeit und das Halten von mehr Gesellen, als gesetzlich erlaubt war – denn auch die Zahl der Gesellen war durch Gesetz beschränkt. Damit nicht beim Einkaufe des Arbeitsmaterials ein Meister vor dem andern einen Vortheil erziele, war nicht nur der Ankauf von mehr Material, als der Meister in seiner Werkstatt verarbeiten konnte, ganz allgemein verboten, sondern er war sogar gehalten, von dem eingekauften seinen Mitmeistern einen Theil käuflich zu überlassen.

Daß selbst das größere Genie nicht dazu verwandt werden sollte, seinem Besitzer vor den anderen Meistern einen Vortheil zu verschaffen, dafür spricht in eigenthümlicher Weise eine Nürnberger Verordnung vom 9. März 1570, derzufolge einem Neberschmidt (Zeugschmied) Heinrich Veit, welcher ein von ihm erfundenes Handwerkszeug zur Herstellung einiger Gattungen von Sägeblättern „einem gemeinen Handwerckh zu sondern schaden und nachtheil“ verwendete, von Raths wegen dessen Gebrauch bei 5 Heller Strafe untersagt wurde.

Der Grundsatz der Brüderlichkeit zeigt sich vielleicht am meisten in der Vorschrift, daß, wenn ein Meister mehr Arbeit hat, als er in seiner Werkstatt bewältigen kann, er dann die Arbeit ohne jeden Nutzen an andere Meister abgeben muß.

Es hat dieser Grundsatz im Jahre 1556 sogar zu einer vollkommen communistischen Arbeiterorganisation bei den Tuchscheerern geführt, auf deren Ansuchen der Rath der Stadt unterm 5. Juni des gedachten Jahres eine Einigung genehmigte, nach welcher die elf Tuchscheerermeister „alle Tuch, so Ihnen yeder Zeit zu scheeren fürfallen möchten, miteinander arbeiten und bereyten wollten. Und was also in ein yeder Werkstatt mit dem Gesinde für Arbeit ausberaitet und verdient werden könnt, das solt bey den verordneten in eine verwharte Püchsen eingestoßen und alle Sambstag pro Rata in die Eilf Werkstetten ausgetheilt werden“ und zwar zu gleichen Theilen.

Indessen hatte diese Einrichtung, von welcher das zum Theil im Wortlaute citirte Decret des Rates rühmt, „daß sie den alten, abgearbeiteten maistern zur Wohlfahrt gereichen möcht,“ nur ein halbes Jahr Bestand, denn am 9. December 1556 cassirt der Rath bereits die obgedachte Verordnung, weil es „mit dem Tuchscheeren gantz unordentlich und nachtheilig gehandelt werde.“

Aber auch den Meistern anderer Innungen war der Nürnberger Zunftmeister des sechszehnten Jahrhunderts die Bethätigung einer brüderlichen Gesinnung gesetzlich und bei Meidung namhafter Strafe schuldig. Zunächst kommen hier in Betracht jene zahlreichen und in die kleinsten Einzelheiten eingehenden Verordnungen, deren Zweck ist, zu verhindern, daß die Meister mit ihren Arbeiten den Kreis ihrer eigenen Zunft überschreiten und denjenigen einer anderen betreten. Diese Verordnungen haben bekanntlich in den deutschen Staaten, welche bis zur Einführung der Reichs-Gewerbe-Ordnung die Zunftverfassung beibehalten, noch in den fünfziger Jahren zu zahllosen Processen Anlaß gegeben, in denen z. B. darüber gestritten wurde, ob ein Kaufmann das Recht habe, mit Shlipsen zu handeln, oder ob dies nur dem Schneider zustehe.

Ferner war es strenger Grundsatz, daß die Handwerker das von ihnen bereitete Material (z. B. das durch die Gerber bereitete Leder) zunächst den Nürnberger Handwerkern (z. B. der Lederbranche, den Sattlern, Schustern etc.) anbieten mußten und in zweiter Linie erst nach auswärts verkaufen durften, wie umgekehrt diese ihr Material in erster Linie aus Nürnberg zu beziehen hatten. Auch den Händlern war geboten, ihre in Werkstätten gefertigten Waaren, soweit ihnen überhaupt gestattet war, dergleichen feilzuhalten, von den Nürnberger Handwerkern zu beziehen. Auf „Staudenwerkstätten“ (das sind solche, welche von den Nürnbergern nicht für ehrlich gehalten wurden) gefertigte Waaren durfte Niemand weder kaufen noch feilhalten; auf „redlichen“ Werkstätten auswärts gearbeitete Waaren unterlagen der „Schau“ und durften im Allgemeinen nur während der Messen verkauft werden.

Ueberblickt man das Wesen des deutschen Handwerks, wie dasselbe im Vorstehenden auf Grund der regelnden Gesetze erscheint, so wird man nicht umhin können, dem ehrlich-biederen Sinne, der in der ganzen Organisation sich ausspricht, seine tiefste Achtung zu bezeugen. Hoch ist daneben der Eifer anzuschlagen, mit welchem der Meister ob der Ehre und dem Ruhm seines Gewerbes wachte. Das sind so lichtvolle Seiten, daß sie wohl des Schattens vergessen lassen, welchen der eifersüchtige Streit um die Grenzlinie der verschiedenen Gewerbe damals nicht selten warf. Man muß aber einen Schritt weitergehen und anerkennen, daß das Zunftwesen der damaligen Zeit die Verwirklichung eines bestimmten socialen Systems mit dem allergünstigsten Erfolge darstellt, mit dem Erfolge nämlich, daß der gesammte städtische Arbeiterstand vor eigentlicher Noth geschützt war. Die Arbeit nährte ihren Mann, aber nur die redliche, nach den Vorschriften des Gesetzes treulich gethane Arbeit – die andere, welche nach dem Motto „Billig aber schlecht“ sich richtet, war verpönt; den Vortheil, den ein großes Capital gewähren kann, auszunützen, verhinderte das Gesetz, indem es die Zahl von Lehrlingen und Gesellen auf ein verhältnißmäßig geringes Maß festsetzte und damit dem Uebergang des Handwerks in die Fabrikation einen unübersteiglichen Damm entgegensetzte. Mit diesem einen Steine steht und fällt das ganze System des strengen mittelalterlichen Zunftwesens, und an dieser Stelle eben ist es, wo Gegenwart und Vergangenheit als scharfe Gegensätze sich gegenüberstehen. Wie im Mittelalter das Handwerk, so stellt in der Gegenwart die Fabrikation das eigentliche Wesen der Arbeit dar, welche bereits die Mehrzahl der Handwerke – mit Ausnahme natürlich der Kunstgewerbe – sich unterthänig gemacht hat. Deshalb mögen wir heute immerhin neue Innungen, hoffentlich mit dem besten Erfolge für die Besserung mancher socialen Beziehungen, gründen; nur soll man seine Hoffnungen nicht zu hoch spannen. Der in erster Linie auf Gewinn gerichtete Geist des heutigen Geschlechtes wird sich niemals in den um ein völlig fremdes Centrum schwingenden Ideenkreis jener Männer bannen lassen, die im sechszehnten Jahrhundert in erster Linie für den guten Ruf und die unbefleckte Ehre ihrer Zunft thätig waren.

Fl. Korell.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_736.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)