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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Katzenjammer herbeiführt, so wird der Morphiumvertilger seiner traurigen Lage bewußt und kommt zu dem verhängnißvollen Schlusse, daß er sein geistig und körperlich zerrüttetes Leben nur durch erneute Zufuhr des Giftes wieder heben könne.

Die zerstörende Wirkung des übertriebenen Morphiumgebrauches tritt bald nach einem Zeitraume von fünf bis sechs Monaten, bald erst nach Jahren ein. Viele Morphiumsüchtige befinden sich eine Zeit lang unter dem Morphiumgebrauche ganz wohl, bis plötzlich eine Reihe von Störungen im Allgemeinbefinden eintreten, welche den Menschen bei plötzlicher Entziehung des Gewohnheitsgiftes in einen Zustand bringen, wie derjenige ist, den ich vorher in meiner Erzählung schilderte. Es stellen sich Kopfcongestionen, Herzklopfen, rheumatische Anfälle mit gespanntem Pulse ein, welch letzterer auch plötzlich verschwindet. Angstzustände, hervorgerufen durch Hallucinationen und Illusionen fast sämmtlicher Sinnesorgane, bilden schließlich einen Krankheitszustand heraus, welcher dem Säufer-Delirium ähnlich ist.

In einer solchen Lage nun befand sich mein Reisegefährte. Ich hatte ungefähr eine Stunde in dem Buche gelesen, als er erwachte und, sich behaglich dehnend, mir nochmals dankte. Wir unterhielten uns eine Weile über seinen lobenswerthen Entschluß, mit äußerster Energie die üble Gewohnheit künftig zu vermeiden. Ich rieth ihm, auf Grund meiner aus seinem Büchlein erworbenen Kenntnisse, die Cur erst zu beginnen, wenn er unter der Leitung eines tüchtigen Arztes sich befände, und er gab mir darauf auch das Versprechen, sich gegen Morgen selbst noch eine Morphiumeinspritzung in gewohnter Weise zu machen. Da ich somit einen neuen Anfall seinerseits nicht zu befürchten hatte, konnte ich mich selbst der nöthigen Ruhe hingeben; ich erwachte erst, als unser Zug in dem Anhaltischen Bahnhofe zu Berlin einfuhr. Mein Genosse hatte sich zwischen drei und vier Uhr noch eine Morphiuminjection gemacht; es sollte die letzte sein für’s Leben, wie er sich vorgenommen. Wir verabschiedeten uns am Bahnhofe. Er wurde von einem jungen Arzte, wie mir schien aus der Anstalt, in die er sich freiwillig begab, begrüßt und nach einem zweispännigen Gefährte geleitet, während mir der wachhabende Schutzmann die übliche Droschkenmarke einhändigte. Ich hatte dem Kranken versprochen, ihn in Neuschöneberg zu besuchen.

Die Heilart, welche daselbst zur radicalen Bewältigung der Morphiumsucht üblich ist, beruht auf einer sehr raschen und energischen Entziehungsmethode, während man in anderen Anstalten erst durch allmähliche Verringerung der Morphiumdosen ein stufenweises Abgewöhnen vornimmt. In Marienberg bei Boppard am Rhein bei Dr. Burkart, in Bendorf bei Dr. Erlenmeyer, in Wien bei Dr. Eder und in vielen Wasserheilanstalten werden gleichfalls solche Curen mit Erfolg durchgeführt.

Die Theilnahme, welche mir Major von B. eingeflößt, veranlaßte mich bald, mein Versprechen zu erfüllen und ihn in der Heilanstalt aufzusuchen. Er befand sich in einem wahrhaft jammervollen Zustande. Die Entziehungscur hatte sofort begonnen. Zufälle, wie ich solche in dem Eisenbahncoupé mit ihm erlebt, waren im Verlauf der verflossenen Tage mehrere vorgekommen; der Patient war kaum wieder zu erkennen. Er lag auf einfachem Sopha, von einer Pflegeschwester und zwei kräftigen Krankendienern bewacht; im Nebenzimmer saß einer der Assistenzärzte, welcher zur Beobachtung des Kranken fortwährend anwesend sein mußte. Die Thüren und Fenster des Krankenzimmers hingen in Charnierbändern, hatten weder Angeln, Griffe noch Riegel, sondern waren so eingerichtet, daß sie von innen weder geöffnet noch geschlossen werden konnten. Außerdem war das Bett mit glatten abgerundeten Pfosten versehen. Auf dem Tisch standen Champagner, Portwein, Cognac, kleingeschlagenes Eis, eine Theemaschine mit Zubehör. In dem anstoßenden Cabinet des Arztes waren verschiedene Medicamente vorräthig, sowie ein elektrischer Inductionsapparat aufgestellt, um bei vorkommenden Schwächezuständen den Kranken sofort wieder zu beleben. Auf mein Befragen, weshalb das Krankenzimmer so eigenthümlich eingerichtet sei, wurde mir mitgetheilt, daß fast alle Morphiumsüchtigen, denen das Morphium entzogen werde, zu Selbstmordversuchen äußerst geneigt seien, daher jede Möglichkeit zu solchen Vorkommnissen in der Bauart eines derartigen Locals vorgesehen werden müßte.

Die Erfolge, welche bei der geschilderten Heilmethode gegen die Morphiumsucht verzeichnet werden, sind in Bezug auf die Entwöhnung günstig, in Bezug auf die Rückkehr zur Leidenschaft getheilt. Bei charakterfesten, widerstandsfähigen, geistig und körperlich gesunden Personen ist die Aussicht auf absolute Heilung sicherer, als bei schwächlichen Charakteren. Eine einzige Injection nach geheilter Morphiumsucht besiegt den monatelang mit Erfolg geleisteten Widerstand gegen die Leidenschaft.

Auf mein Befragen, ob derartige Patienten in jener Anstalt sehr häufig Hülfe suchten, erfuhr ich, daß die Krankheit sowohl dort wie anderwärts allerdings in ganz erschreckender Weise zugenommen habe. Es zeigt sich hier wiederum, wie es im modernen Culturleben so oft zu finden ist, daß die Anmaßung der Laienwelt, sich selbst ärztlichen Rath ohne Einholung der Meinung eines tüchtigen Arztes zu erteilen, zu den unheilvollsten Ausschreitungen führen muß. So heilsam und glückbringend die Erfindung der Morphiuminjectionen für viele Leidende geworden ist, in eben dem Grade stiftet sie in leichtsinniger Hand Unheil und Verderben.

Der ferneren Ausbreitung der Morphiumsucht kann einzig und allein durch ein energisches Zusammenwirken der Aerzte mit den zuständigen Behörden entgegengewirkt werden. Die von verschiedenen Regierungen erlassenen Verbote beziehentlich der Verabreichung von Morphiumlösungen ohne ärztliche Specialverordnung sind von den zuständigen Aufsichtsbeamten der Apotheken in verschärfterem Maße zu handhaben. Besonders sollen die Apotheker keine Morphiumrecepte wiederholt anfertigen, wenn solche nicht die deutlich ausgedrückte Zustimmung eines im Orte ansässigen Arztes enthalten. Aber auch die Aerzte sollten jede Morphiuminjection nur persönlich oder durch Assistenten bewirken, unter keinen Umständen aber dem Kranken oder dessen Angehörigen überlassen.

Mein durch so eigenthümliche Zufälle neu erworbener Freund wurde nach einigen Wochen vollkommen geheilt aus der Anstalt entlassen. Bei dem festen Charakter des strammen Militärs ist anzunehmen, daß er nicht wieder in seinen früheren Fehler zurückverfalle. Mögen ihm die Folgen eines Rückfalls in die Morphiumsucht, Schwächezustände, die schließlich zum Tode führen, erspart bleiben!

Th. St.




Gerechtigkeit in Rom.

Erinnerungen eines einstigen Schlüsselsoldaten.

(Schluß.)


So marschirten wir ziemlich kleinlaut und düster in der Gegend der Maremmenstraße dahin. Schon den dritten Miglienstein hatten wir erreicht, keine Seele war uns begegnet, ja nicht einmal ein Gebäude kam uns zu Gesicht, außer den halb zerfallenen mittelalterlichen Thürmen, die sich hier und dort in der Nähe der Seeküste erhoben – der einstige Schutz gegen Normannen und Barbaresken. Die Stimmung war eine gedrückte, und tiefes Schweigen herrschte in den Gliedern. Die Bemerkung des Compagniewitzmachers, daß wir genau wie ein Zug Todtengräber einherzögen, war sehr zutreffend.

Da endlich, als wir die Höhe eines niedrigen Hügelzuges erreicht hatten, bot sich eine Erscheinung, von der auch offenbar die Lösung unserer Zweifel kommen mußte. Zu Füßen des Hügels erblickten wir eine größere Menge Truppen, die wir an ihren rothen Beinkleidern sofort als Franzosen erkannten. In zwei parallelen Linien aufmarschirt, hatten vier Compagnien die Gewehre zusammengestellt und erwarteten uns augenscheinlich, denn kaum gewahrten sie uns, als die Commandos der Officiere erschollen und sich die Reihen ordneten. Der Commandant aber ritt unserm Hauptmann entgegen und machte ihm Mitteilungen, worauf wir als Verbindungsglied zwischen die beiden sich gegenüberstehenden Linien der Franzosen einrückten, auf diese Weise mit ihnen ein auf einer Seite offenes Carré bildend. Auf dieser offenen Seite aber, die gegen die Anhöhe gerichtet war, zeigten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_723.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)