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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Wir nahmen das Buch schon um des Titels willen mit großer Spannung zur Hand, und unser Erstaunen wuchs, je mehr wir darin lasen. Der Verfasser trat uns als ein Mann von ungewöhnlicher Belesenheit, zugleich von scharfem und klarem Urtheil und als ein Meister eleganter Diction entgegen; was uns aber am meisten überraschte, war, daß dieser Mann in einer rein brasilianischen Umgebung, fernab von den deutschen Colonien, sich solche eminente Kenntniß der deutschen Literatur erworben und nun im Gegensatz zu der in Brasilien üblichen Ueberschätzung französischer Geisteswerke mit einer an Schwärmerei grenzenden Vorliebe für Deutschland eintrat.

Hier eine Probe von der Sprache, welche er der brasilianischen Eitelkeit gegenüber führt:

„Es ist bemerkenswerth,“ sagt er, „daß unser Franzosenthum sich durchaus nicht auf die Bewunderung der wirklich bedeutenden Männer stützt, die Frankreich besitzt. Schriftsteller und Denker niederer Gattung beherrschen uns heute, wie sie uns vor zehn oder zwanzig Jahren beherrschten. Einige Literaten, die nie Auguste Comte gelesen haben und die Daten seiner Geburt und seines Todes ignoriren, die Littré nicht kennen, die selbst unfähig sind, die Entwickelungsgeschichte eines Guizot zu erzählen – wissen, wer Feuillet ist, wer Sardou, wer Dumas Sohn, wer Feydeau ist. Die Werke dieser werden von den Eintagsfliegen unserer Intelligenz verschlungen, und ihr süßer Honig träufelt ihnen von den Lippen.“

Eine solche Sprache war unerhört in Brasilien und nichts natürlicher, als daß die brasilianischen Heißsporne ihrer Entrüstung gegen den kühnen Pernambucaner Luft machten, wobei freilich von einer sachlichen Polemik keine Rede war, sondern Alles auf persönliche Beleidigungen des Verfassers und des von ihm vertretenen Deutschthums hinauslief. Da dem wackeren Meneses in der isolirten Stellung, welche er einer ganzen Nation gegenüber einnahm, die Tagespresse der Hauptstadt, wo bekanntlich der brasilianische Chauvinismus seinen Herd hat, verschlossen war, so verfiel er auf ein eigenthümliches Mittel, um seinen Ideen Geltung zu verschaffen; er gründete nämlich unter dem Namen „Deutscher Kämpfer“ eine in Pernambuco erscheinende, in einer brasilianischen Druckerei mit lateinischen Lettern gedruckte deutsche Zeitung.

War die Thatsache, daß ein Brasilianer in Brasilien eine deutsche Zeitung herausgab, an und für sich schon geeignet, das Befremden der Brasilianer und das Interesse der Deutschen zu erwecken, so war dies in erhöhtem Grade der Fall bei der Wahrnehmung, daß der „Deutsche Kämpfer“ die bitteren Wahrheiten, die er dem brasilianischen Volke zu sagen hatte, in grammatikalisch meist correctem und schönstilisirtem, wenn auch etwas eigenartigem Deutsch ausdrückte.

Freilich hatte der „Deutsche Kämpfer“ wegen mangelnder Abonnenten keine Lebensfähigkeit und ging schon nach dem Erscheinen der fünften Nummer wieder ein, aber Meneses wollte das einmal begonnene Werk nicht wieder aufgeben, und in einer deutsch geschriebenen Broschüre: „Brasilien, wie es ist in literarischer Hinsicht“, brachte er die Ideen zum Ausdruck, für welche mit dem „Deutschen Kämpfer“ einzutreten, er sich durch die Ungunst der Verhältnisse verhindert sah. Die Vorrede sagt uns auch, warum er in deutscher Sprache gegen seine Landsleute polemisirt.

„Man sieht wohl,“ heißt es darin, „daß dies ein Protest ist, den ich gegen die in meinem Vaterlande herrschenden Tendenzen, gegen unser schlechtes Régime mental, wie sich ein französischer Positivist ausdrücken dürfte, mit der klaren Absicht niederschreibe, die Aufmerksamkeit der einzig Berechtigten auf unser elendes geistiges Leben zu lenken, und somit würde der Gebrauch des Portugiesischen ebenso verkehrt sein, wie wenn ein Brasilianer in Berlin mit den vaterländischen papierenen Milreis (brasilianisches Geld) ein Buch oder andere Waare kaufen wollte. Dort hat beides keinen Cours.“

Eine eingehende Besprechung dieser interessanten Schrift möchte uns hier zu weit führen; wir wollen nur einige Stellen mittheilen, welche, obgleich aus dem Zusammenhange des Ganzen herausgegriffen, genügen werden, um uns für den wackeren Pernambucaner einzunehmen.

„Von der Nothwendigkeit einer Reform des brasilianischen Geisteslebens tief durchdrungen“ – sagt er an einer Stelle – „hege ich den Wunsch, meinen Landsleuten, die in ihrer intellectuellen Richtung völlig irre gehen, die Größe Deutschlands mehr und mehr fühlbar zu machen, so weit meine Kräfte es gestatten.

Denn man darf unbedenklich annehmen, daß es unser Mangel an Geschmack und an Kenntnissen der gegenwärtigen deutschen Wissenschaft ist, welche uns noch am Gängelbande einer veralteten, in Verruf gerathenen Cultur befangen zurückbleiben läßt. – Mich quält schon lange der erhabene Wahnsinn – nichts Anderes als Wahnsinn – in Brasiliens Adern gleichsam einen Tropfen germanischen Blutes einflößen zu wollen, als das einzige Heilmittel, das uns eine Radicalcur vom allgemeinen Grundübel der Ignoranz verspricht.“

Indem er die Armut der portugiesischen Literatur berührt, kommt er zu einem Vergleiche derselben mit der brasilianischen und sagt dabei unter Anderm: „Möglichst lückenhaft und unvollständig stellt sich unsere Literatur dar. Nichts desto weniger trägt sie die Signatur unseres Geistes, oder richtiger, das Gepräge unseres Elends. Wir haben zwar eine unabsehbare Schaar Publicisten und allerlei Schriftsteller, die sich, wie die Kaninchen, von Tag zu Tag vermehren. Aber was gelten alle diese Prosaiker und Dichter, alle diese Gänse, aus denen man so gern lauter Schwäne machen will? Jeder von ihnen wiegt nicht die Feder, mit welcher er schreibt. – Giebt es doch kein Product aus brasilianischer Feder, nicht einmal eine einzige Idee, die einen Grad von zeitgemäßer Bildung bezeugte. Das gilt nicht nur von der Philosophie und Wissenschaft, sondern auch von der sogenannten schönen Literatur. – Die edle glorreiche deutsche Nation ist für uns noch nicht hinter dem Nebel hervorgetreten, womit sie die französischen Schriftsteller, Frau von Staël an der Spitze, umhüllten. Goethe und Schiller sind die einzigen deutschen Namen, die unsere Literaten zu buchstabiren wissen, und zwar nur als zwei Phrasen, die sie stets gebrauchen, deren Sinn sie aber völlig ignoriren. Kaum, daß die Strahlen einiger der hellleuchtenden Sterne am Himmel des deutschen Gedankens jetzt erst zu uns gelangen; bei der unermeßlichen Entfernung von unserer Welt wird uns das Licht eines Kant und eines Lessing wie das eines Nebelfleckes im astronomischen Gebiete vielleicht ewig unbekannt bleiben. – Im Allgemeinen ist die Ignoranz etwas Verneinendes, das heißt ein Mangel an Kenntnissen; bei uns aber ist sie etwas Positives, das heißt ein Ueberfluß an zurückgebliebenen Ideen, gleichsam ein Reichthum an angehäuftem, verrufenem Papiergelde, welches nicht mehr anerkannt ist. – Um unsere Bornirtheit zu bezeugen, sei auch dies noch vorübergehend bemerkt: Man sagt häufig in Bezug auf das alte Griechenland, daß in die Welt der Ideale sich zu versenken nur einer hocharistokratischen Gesellschaft möglich war, welche alle gemeinen Sorgen des Lebens auf die geduldigen Schultern ihrer Sclaven thürmte, und selbst ein Mann wie Treitschke steht nicht an zu behaupten, die Tragödien des Sophokles und der Zeus des Phidias seien um den Preis des Sclavenelends nicht zu theuer erkauft. Zugegeben! Aber ich frage: was haben wir uns denn drei Jahrhunderte hindurch um den Preis der Sclaventhränen erworben? Gar nichts! Die brasilianische Aristokratie ist eine der stupidesten, die man kennt, was sie nicht hindert, anmaßend und stolz zu sein.“

Mit schneidender Ironie geißelt Meneses in dieser Schrift den Verlauf des brasilianischen Culturkampfes, der in einem demüthigenden Frieden mit Rom endigte, und macht für diesen kläglichen Verlauf in erster Reihe den Kaiser von Brasilien, Dom Pedro den Zweiten, verantwortlich. Seine Abneigung gegen diesen Souverain ist überhaupt grenzenlos, wie wir nicht allein aus der genannten Broschüre, sondern auch aus einer erst kürzlich von ihm in Pernambuco unter dem Titel „Ein offener Brief an die deutsche Presse“ herausgegebenen Schrift ersehen.

Diese Schrift ist im Grunde genommen weiter nichts, als ein Protest gegen die schmeichelhaften Artikel, welche deutsche Zeitungen und Zeitschriften dem Kaiser von Brasilien widmeten, als derselbe vor zwei Jahren den europäischen Continent bereiste. Meneses wollte einen Protest in denselben Blättern veröffentlichen, wurde aber in Anbetracht des Artikel 103 des deutschen Strafgesetzbuches, der die Beleidigung fremder Regenten mit Strafe bedroht, von den betreffenden Redacteuren zurückgewiesen. Dies veranlaßte ihn, die obengenannte Schrift zu verfassen. Es ist nicht zu leugnen, und Jeder, der die politischen Verhältnisse Brasiliens genauer studirt hat, muß es bestätigen, daß es für einen wahrhaft patriotischen Brasilianer der Gründe genug giebt, um mit dem herrschenden Regime unzufrieden zu sein; aber die Art und Weise, wie Meneses mit seinem Souverain in’s Gericht geht, erscheint

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_702.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)