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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

herrschenden Sättigungsgrades der Luft mit Feuchtigkeit, der in den Karten gewöhnlich nicht verzeichnet steht. Daher erscheint auch der praktische Nutzen der Kartenveröffentlichung von einem problematischen Werthe, denn der durchschnittliche Zeitungsleser wird kaum im Stande sein, sich daraus einen einigermaßen sichern Schluß über die kommende Witterung abzuleiten.

Von einem viel größeren Werthe muß es somit für Feld-, Garten- und Forstwirthschaft, für Weinbau, Fischerei, Schifffahrt und Handel, für alle Gewerbe, die des Sonnenscheins oder des Regens bedürfen, erscheinen, wenn auf der Centralstation von einem erfahrenen Meteorologen sogleich ein Wahrscheinlichkeitsbild von der künftigen Gestaltung des Wetters entworfen und mitgetheilt wird. Die Hoffnung, welcher der große Lavoisier schon im Jahre 1790 Ausdruck gegeben, daß man einst im Stande sein werde, des Morgens in der Zeitung ein Bülletin darüber auszugeben, wie die Witterung an dem betreffenden Tage und vielleicht auch dem folgenden sein werde, hat sich trotz der dazwischen erfolgten Verzweiflung der Meteorologen, siebenzig Jahre später erfüllt. Schon im Jahre 1863 gab das Pariser meteorologische Institut unter der Leitung von Marié-Davy sogenannte Wahrscheinlichkeiten (Probabilités) für die Witterung des nächsten Tages aus, und obwohl dieselben bald wieder eingeschränkt wurden, gebührt ihm, wie bei den Sturmwarnungen, auch für die Einführung der allgemeinen Prognose, das Verdienst der Initiative.

Später sind auf demselben Wege auch England und die Continentalstaaten gefolgt, aber zu der größten Ausdehnung ist dieses System in Nordamerika gelangt. Die Verbreitung der von Washington ausgegebenen Voraussagen (Probabilities oder Inications) geschieht unter allen möglichen Erleichterungen seitens der Verkehrsämter nach allen Richtungen der Windrose. Um elf Uhr Abends wird die Prognose für den nächsten Tag telegraphisch an zwanzig Centralämter versandt, welche sie an alle Postanstalten übermitteln, denen sie bis zum nächsten Mittag zukommen kann. Seit 1873 wird sie auf allen Postanstalten angeschlagen, und gleichzeitig erhalten die Anwohner der Wasserläufe regelmäßige Wasserstands- und Eisgangsberichte.

Seit dem September 1878 hat auch die unter der Leitung des ausgezeichneten Meteoro- und Hydrologen Neumayer stehende deutsche Seewarte damit begonnen, solche Witterungs-Prognosen auszugeben, und durch das ihr von allen Seiten, auch seewärts zuströmende Material ist sie offenbar vorzüglich befähigt, als Centralstätte einer solchen Organisation zu dienen. Aber in richtiger Erkenntniß der Schwierigkeit, diese Prognosen den Verhältnissen der einzelnen Bezirke anzupassen und die vor Allem nöthige schleunige Beförderung zu garantiren, macht sie die weitere Bearbeitung ihres Materials von den Centralstationen der einzelnen Provinzen zur ersten Bedingung ihrer Mitwirkung.

Einige solcher Bezirksorganisationen haben sich bereits seit mehreren Jahren bei uns völlig bewährt. So versendet Professor Klinkerfues in Göttingen seit 1876 alltäglich seine Prognosen an die „Göttinger“, „Kölnische“ und „Braunschweigische Zeitung“, sowie an die Landwirthschaftlichen Vereine in Braunschweig und Celle, auch an einige Privatpersonen. Er verwerthet dabei außer den Isobarenkarten vorzüglich noch Hygrometerbeobachtungen, welche für die Voraussage von Niederschlägen und namentlich von Nachtfrösten sehr wichtig sind. Vorzüglichen Erfolges erfreut sich das unter der Leitung des Professor Bruhns in Leipzig seit Jahr und Tag bestehende System der Vorhersage für Sachsen, welches vorläufig auf zwei Jahre vom Landesculturrathe eingeführt worden ist. Es kommen dort täglich, außer den directen Berichten von Dresden, Annaberg, Bamberg und anderen Orten, drei Depeschen von der Seewarte, die letzte um fünf Uhr Abends, an. Um sechs Uhr ist die Prognose fertig und wird telegraphisch an die Stadtverwaltung von Dresden, Chemnitz, mehrere Zeitungen und Vereine gesandt, Außerdem wird sie in Leipzig sofort gedruckt und an zwanzig Orten angeschlagen, auch den Zugführern der abgehenden Eisenbahnzüge mitgegeben. Schließlich findet noch mehrfach eine Verbreitung durch optische Signale statt: eine an einer hohen Signalstange aufgezogene Kugel bedeutet gutes, zwei veränderliches und drei schlechtes Wetter. So erfahren die Landwirthe in weiten Kreisen das Wetter für den nächsten Tag um sieben Uhr Abends. Eine ähnliche Organisation für Mittelfranken bestand unter Leitung des Dr. van Bebber zu Weißenburg und wird für Württemberg durch Profeffor Dr. Schoder in Stuttgart projectirt.

Die vorjährige Conferenz zu Kassel beabsichtigte die Ausdehnung einer solchen Voraussage für das ganze Reich in’s Auge zu fassen und über die Heranziehung der Interessenten zur Kostenbegleichung zu berathen. Merkwürdiger Weise zeigten sich auf dieser Conferenz die amtlichen und nichtamtlichen Vertreter der Landwirthschaft den zu erhoffenden Vortheilen gegenüber am kühlsten. Sie fanden die Voraussetzungen nicht sicher genug. Die Statistik derselben betreffend, bemerkte Professor Klinkerfues, daß von seinen Prognosen 76 Procent eintreffen, Professor Bruhns erreichte bei strengster Controle, in welcher z. B. eine Prognose als falsch angesehen wurde, wenn der vorhergesagte Regen eine Minute nach Ablauf des Tages eintrat, im Juli 81 Procent und Dr. van Bebber sogar 98 Procent Treffer. Diese Verschiedenheit kann sich zum Theil auf eine verschiedene Kritik der einzelnen Ergebnisse, theils auch auf locale Schwierigkeiten beziehen, wenn z. B. nahe Gebirge Wetterscheiden bilden und die Prognose erschweren. Die Vertreter der Landwirthschaft machten geltend, daß nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung Jedermann 50 Procent Treffer haben würde und daß erfahrene Landwirthe es wohl auf 60 bis 65 Procent aus eigener Erfahrung und Beobachtung bringen würden, somit sei der Vortheil zu gering, um bedeutende Kosten aufzuwiegen.

Dabei wird aber übersehen, daß die wissenschaftlichen Prognosen nicht einfach die Alternative: gutes oder schlechtes Wetter in’s Auge fassen, sondern mancherlei Einzelheiten enthalten, die von großem praktischem Werthe sind. So haben die Prognosen des Professor Bruhns in Leipzig fünf Rubriken: 1) Wetter im Allgemeinen, 2) Temperatur, 3) Windrichtung, 4) Windstärke, 5) Niederschläge. Bei 50 Procent der Fälle waren alle fünf Angaben richtig. Auch darf man annehmen, daß bei geregelter Organisation die Treffer um einige Procent steigen werden, und sich fragen, ob der Vorsprung der 15 bis 20 Procent sicherer Prognosen nicht die Kosten lohnen würde.

Ein den Weinbauern vorausverkündeter Nachtfrost im Mai kann durch Schmokfeuer, die in Frankreich vielfach erprobt wurden, unschädlich gemacht werden, und was einige Sicherheit in der Erntezeit werth ist, weiß Jedermann. Aber auch selbst dann, wenn die Kosten den Nutzen für die Gesammtheit vorläufig übersteigen sollten – ein Nutzen, der freilich in keiner Weise zu berechnen ist, – können wir nur wünschen, daß die Reichsregierung die ihr gemachten Vorschläge ausführen möchte, denn es handelt sich hierbei offenbar um eine Culturaufgabe. Den Leser aber, der sich noch genauer über diese Fragen zu orientiren wünscht, verweisen wir auf das im ersten Artikel erwähnte und von uns mehrfach benutzte Buch: „Einiges über Witterungsangaben von Professor Dr. Hermann Kopp“.




Die Lohengrinsage und die Schwanenburg zu Cleve.

Wenn der Rhein beim Godesberge und Drachenfels das Wunderreich der Romantik verlassen und ihm die himmelanragenden Zinnen des Doms zu Köln noch den letzten Gruß der bildenden Kunst zugesandt haben, durchläuft er eine weite Strecke nüchternen Flachlands. Die vorher verschwenderische Natur ist schaffensmüde geworden, und die Sagen sind verklungen. Aber wie vielfach in den Ausgang eines Menschenlebens der Widerschein rosiger Jugend noch einmal blendend hineinfällt, so schmückt und ziert, wie es im Liede des Dichters heißt,

               „der letzte deutsche Gau
Den Rhein noch einmal mit den schönsten Reizen;
Geschichte, Sage, Wiese, Hügel, Au
Umarmen ihn.“

Da liegt Xanten, die Heimat des größten deutschen Sagenhelden, des kühnen Siegfried. Begeisterten Mundes erzählt uns der Dichter der Nibelungen von den hohen Festen, die dort gefeiert wurden, als das blühende Königskind, Sigmundens und Sigelindens Sohn, das Ritterschwert empfing, mit dem er, sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_586.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)