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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

feierlichen Gelegenheiten, auch Hüte getragen, wenn man sie sich verschaffen kann.

Die Kleidung der Frauen besteht aus einem ähnlichen Mantel, wie ihn die Männer tragen; nur wird er vorn am Halse mit einem Nagel oder Dorn zusammengesteckt. Unter dem Mantel tragen die Weiber ein weites Unterkleid, das von den Schultern bis zu den Knöcheln reicht. Bei Herstellung der Frauenstiefeln wird das Haar an der Thierhaut gelassen, während es bei den Männerstiefeln sorgfältig entfernt wird. Die Frauen lieben den Schmuck sehr; sie tragen gewaltig große Ohrgehänge von viereckiger Gestalt an kleinen, durch das Ohrläppchen gehenden Ringen und Halsbänder von silbernen oder blauen Perlen. Auch die Männer tragen häufig diese Halsbänder und schmücken ihre Gürtel, Pfeifen, Messer, Scheiden und ihr Pferdegeschirr mit Silber, wenn sie es erlangen können.

Beide Geschlechter bestreichen sich das Gesicht und gelegentlich auch den Leib mit einem Gemisch von Fett und rothem Ocker oder von schwarzer Erde. Bei feierlichen Gelegenheiten, wie z. B. zum Tanze, schminken sich die Männer auch noch mit weißer Farbe oder mit gepulvertem Gyps, den sie anfeuchten und auf die Hände schmieren, mit welchen sie dann weiße Abdrücke der fünf Finger auf Brust, Arme und Beine machen. Bei Trauer verwenden sie schwarze Farbe, und geht es zum Kampfe, so bringen sie zuweilen unter den Augen ein wenig weiße Farbe an, die, weil sie von den übrigen auffallend absticht, dem Gesicht einen wilden Ausdruck verleihen hilft.

Ferner tätowiren sich beide Geschlechter am Vorderarme, indem sie mit einer Ahle sich Stiche in die Haut machen und mit einem Stück Glas ein Gemisch von blauer Erde hineinbringen. Die gewöhnlichen Muster bestehen aus einer Reihe Parallellinien und zuweilen einem einzelnen oder auch einem doppelten Dreieck, wobei das obere auf der Spitze des unteren steht.

Die Hauptnahrung der Patagonier besteht in dem Fleisch von Mutterpferden, Straußen und Guanacos. Sie sind aber nicht wählerisch und essen fast alles, was sie fangen können; das Fleisch junger Mutterpferde wird allem Andern vorgezogen. Sie kochen ihre Speisen und essen sie mit einem Stück Fett und mit Salz. Das Fett von Stuten und das von Straußen wird zusammengekocht und in Blasen gegossen, aber das der Guanacos wird roh gegessen.

Es giebt auch zwei Wurzeln, welche sie verspeisen; die eine heißt Tus und die andere Chalas. Das Tus ist eine knollige Wurzel, die wild wächst, und wenn sie gebacken, oder vielmehr geröstet ist, mehlig wird, wie eine Yamswurzel. Das Chalas ist eine lange weiße Wurzel, ungefähr von der Dicke eines Gänsekiels. Sie wird entweder in heißer Asche geröstet oder in Fleischbrühe gekocht. An der Seeküste sammeln die Weiber und Kinder Tellermuscheln.

Capitain Bourne beklagt sich bitter über den Mangel an Sauberkeit bei Bereitung der Speisen. Es hat ihm, namentlich anfangs, viel Ueberwindung gekostet, das von Rauch und Schmutz geschwärzte, kaum warm gewordene Fleisch hinunter zu würgen.

Die von Hagenbeck nach Europa gebrachten Patagonier sind Jagdnomaden im vollen Sinne des Wortes, vielleicht in so hohem Grade, wie kein anderes Volk. Landbau treiben sie nicht, und selbst Fische verstehen sie nicht zu fangen. Als echtes Reitervolk leben sie nur von der Jagd und suchen ihren Hauptreichthum in Pferden. Im Winter schlagen sie gern ihre Zelte in der Nähe der spärlichen europäischen Ansiedelungen auf und hungern dem Frühling entgegen. Im Sommer dagegen führen sie ein fröhliches, unstätes Jägerleben. Der Charakter der Patagonier ist ein gutmüthiger zu nennen; gegen Feinde sind sie mißtrauisch, besonders gegen die Spanier. Unter sich sind die Tehueltschen ehrlich, einen Fremden bestehlen sie indessen ohne Gewissensbisse. Im gewöhnlichen Leben lügen sie fast immer; nur wenn es gilt, reden sie die Wahrheit.

Die Toldos (Hütten) dieser Wandervölker sind der Gestalt nach Zigeunerzelten nicht unähnlich. Es werden Pfähle in die Erde gesteckt, daran andere befestigt und mit zusammengenähten Thierfellen bedeckt, sodaß eine unregelmäßige zeltförmige Hütte entsteht. Drei Seiten und die Spitze sind bedeckt, aber die vordere, gegen Osten gerichtete Seite ist offen. Diese Toldos sind etwas über 2¼ Meter hoch und hinten, das heißt gegen Westen, etwas niedriger, als gegen Osten. Das Innere derselben wird nach Bedürfniß in mehrere Abtheilungen geschieden, die unverheiratheten Familienglieder erhalten aber nur einen gemeinsamen Raum. Die innere Einrichtung des Toldo beschränkt sich fast ausschließlich auf Kissen aus alten Fellmänteln, die als Sitze, als Ruhelager und den Weibern auch als Sattel dienen müssen. Der Rauch, der diese Hütten fast beständig füllt, genirt die Bewohner gar nicht.

Die Frau wird gekauft, ohne Rücksicht auf ihren eigenen Willen. Meist haben nur die Häuptlinge mehrere, bis zu drei Frauen, unter denen die vornehmste die Hauptfrau und Herrin ist. Bei der Ehe, einer mehr oder weniger nichtigen Ceremonie, wird nur der erste Verwandtschaftsgrad beobachtet.

Capitain Bourne weiß über die höchst eigenthümliche Art der Brautwerbung Interessantes mitzutheilen. In der Hütte des Häuptlings, der ihn gefangen hielt, lebte dessen verwittwete Tochter mit ihrem Söhnchen. Eines Nachts hört Bourne lautes Geräusch von vielen Menschen vor der Hütte und eine Stimme, welche mit dem Häuptling wegen der Hand der Tochter unterhandelt. Entrüstet weist der Vater das Ansinnen zurück, der Freier sei ein Bettler und der großen Ehre, sein Schwiegersohn zu werden, nicht werth. Bescheiden giebt Jener seine Armuth zu, macht aber geltend, daß er ein ausgezeichneter Spitzbube sei, dem es schon gelingen werde, sich Pferde, Guanacos und anderes Besitzthum zusammenzustehlen, wenn er nur erst glücklicher Bräutigam sei. Da dies dem gestrengen Herrn Papa keine genügende Garantie für das Glück der Tochter zu sein scheint, wendet sich der Freier an die Dame seines Herzens selbst, die auch gern geneigt ist, ihn zu erhören, und sich ihm völlig zu eigen geben will, als er ihr einen steten Vorrath von Fett zum Pomadisiren verspricht. Sie vereinigt ihre Bitten mit den seinen, ohne indessen den Rabenvater erweichen zu können. Selbst der Mutter, der es wahrscheinlich erscheint, daß aus dem jungen Menschen ein großer Dieb und gewaltiger Häuptling werden könne, gelingt es nicht, das Oberhaupt der Familie umzustimmen. Ja, er geräth endlich in eine solche Wuth, daß er die Wiege, in welcher sein ahnungsloser Enkel schlummert, aus der Hütte wirft, auf demselben Wege das übrige Besitzthum seiner ungerathenen Tochter folgen läßt und endlich diese selbst hinauscomplimentirt. Die junge Dame soll darüber nicht unwillig gewesen und die Ehe damit geschlossen gewesen sein.

Alle Arbeit und Plage fällt der Frau anheim, während der Herr Gemahl gemüthlich faullenzt. Zu den nützlichen Beschäftigungen der Männer gehört die Verfertigung der sonderbar gestalteten hölzernen oder steinernen Pfeifenköpfe; auch finden sich unter ihnen geschickte Eisen- und Silberarbeiter. Die Hauptunterhaltung der Männer besteht in Pferderennen, Karten- und Würfelspiel oder einem Spiel mit kleinen Steinen und einem Ball. Die Kinder wachsen wild auf und sind fast gänzlich sich selbst überlassen. Kurz nach ihrer Geburt entscheiden Vater und Mutter, ob man sie am Leben lassen will oder nicht. Ist Letzteres der Fall, so wird das arme kleine Geschöpf ohne Weiteres erstickt und an einen Ort geworfen, wo es die Beute der wilden Hunde und Raubvögel wird. Bleibt es dagegen dem Leben erhalten, so wird es von den Eltern zärtlich behandelt; bis zum dritten Jahre bleibt es der Mutter überlassen, die es in der ersten Zeit, auf ein weich ausgestopftes Brett gebunden, mit sich führt; im vierten Jahre nimmt man dann das Ohrlochstechen mit ihm vor, ein Gebrauch, welcher bei den Tehueltschen genau die Stelle einnimmt, wie bei uns die Taufe. Der Vater schenkt dann dem Kinde ein Pferd, das an den vier Füßen gebunden auf die Erde gelegt wird; oben darauf legt man das festlich bemalte Kind, und der Häuptling oder Aelteste der Familie durchsticht das Ohrläppchen mit einem zugespitzten Straußknochen. In die Wunde steckt man ein kleines Stückchen Metall, um sie zu vergrößern und offen zu erhalten. Wie bei allen Festlichkeiten wird zum Schlusse eine Stute geschlachtet und eine Schmauserei abgehalten. Allen Theilnehmern wird mit demselben Straußknochen, mit welchen dem Kinde das Ohrläppchen durchbohrt wurde, ein Einschnitt in das erste Glied des Zeigefingers der rechten Hand gemacht. Das hervorquellende Blut gilt als ein Dankopfer für die Götter. Jedem Kinde werden in frühester Jugend Pferde und Zubehör zugewiesen, die hinfort als persönliches Eigenthum betrachtet werden, sodaß die Eltern sie nicht wieder zurücknehmen können.

Die Erziehung des jungen Patagoniers wird so eingerichtet, daß er bald ein nützliches Mitglied der Familie wird. Schon im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_426.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)