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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Am See von Maracaibo.
Skizze von A. Goering.


Im grellen Gegensatze zu dem malerischen, reich mit Wald geschmückten Küstengebirge von Puerto Caballo, Carácas und Paria im äußersten Osten, bietet die nordwestliche Küste Venezuelas einen öden Anblick dar. Wenn man, von Wind und Strömung begünstigt, in den fast immer wogenden Golf von Maracaibo hineinsteuert, erblickt das Auge zu beiden Seiten nur flaches Land, aus dessen sandigem Boden sich hier und da einzelne niedrige Bergzüge und Hügel erheben.

Der Golf von Maracaibo wird durch zwei nach Norden gerichtete Halbinseln, im Westen die Heimath der wilden und bis heute noch unabhängigen Goajiro-Indianer, und im Osten durch Paraguaná und einen Theil der Küste von Coro gebildet. Riesige Sandbänke, welche die von den Seeleuten gefürchtete Barra bilden, machen die Einfahrt am südlichen Ende des Golfes in den See ohne Lootsen zu einer nicht ungefährlichen. Noch weit gefährlicher ist das Auslaufen der Schiffe, weil sie zugleich gegen den Wind segeln müssen; Fahrzeuge, welche nicht über zehn Fuß Tiefgang hatten, haben hier auf den Sandbänken oft ihr Ende gefunden, und ich selbst habe ein solches Unglück auf der Barra erlebt. Wir mußten das festgelaufene Schiff verlassen, und nach wenigen Tagen war es durch die zerstörende Kraft der Wogen verschwunden. Nur kleine Dampfer, besonders die der „Hamburg-Amerikanischen Packet-Actiengesellschaft“, welche zwischen Maracaibo und Curaçao fahren, gewähren eine vollkommen sichere Ausfahrt.

Auf der ruhigen Fläche des Sees gelangt man in südöstlicher Richtung, an der kleinen, spärlich mit Mangroven bewachsenen Insel Bajo seco vorüber, nach der von den Spaniern gebauten Festung San Carlos, welche an der westlichen Seite auf einer langgestreckten, nur durch einen kleinen Fluß vom Lande getrennten Insel liegt. Südwestlich von San Carlos bildet die mit hohen Mangroven bedeckte Insel Toas einen malerischen Punkt im See. Etwas südöstlich von hier schiebt sich eine Landzunge weit in den See hinein, deren Spitze von einem prächtigen, eine lange Strecke das Ufer schmückenden Cocospalmenhaine Punta de Palmas heißt. Die Strecke von San Carlos bis Punta de Palmas bezeichnet man mit dem Namen Tablazo (von Schlag, Stoß), weil hier wegen der Seichtigkeit des Sees der Kiel der Schiffe oft den schlammigen Grund berührt, sodaß ein langer schmutziggelber Streifen auf dem Wasser den Weg des Fahrzeugs bezeichnet.

Nach etwas mehr als halbtägiger Fahrt erreicht man Maracaibo, das vom Wasser aus einen recht freundlichen Anblick gewährt, obgleich der Stadt jeder landschaftliche Hintergrund fehlt, denn die niedrige wellenförmige Umgebung ist auch hier nur spärlich bewachsen. Der sandige, trockene Boden vermag blos Mimosen- und anderes knorriges Gebüsch, neben Cactusarten und Agaven zu erzeugen; kein höherer, vor der brennenden Tropensonne schützender Baumwuchs bringt Abwechselung in das einförmige Einerlei des Hintergrundes.

Die Anlage der Stadt und die Bau-Art der Häuser, welche einander im Ganzen wunderlich gleich sehen, nur daß sie nach den Außenstädten zu ärmlicher und kleiner werden, ist dieselbe wie überall in Venezuela und bietet in architektonischer Beziehung wenig Fesselndes. Die sandigen Straßen sind nur theilweise mit Trottoirs versehen. Einiges Interesse gewährt der neuerdings schön hergerichtete, mit einem prächtigen Eisengitter umgebene Hauptplatz. Hier steht das Regierungsgebäude, und an einer Ecke die Hauptkirche der Stadt; Blumenbeete, von breiten Wegen durchschnitten, zieren ihn, und in der Mitte, wo früher eine in ihren Verhältnissen verfehlte Bolivarstatue stand (sie hatte nur ungefähr vier bis fünf Kopflängen), breitet sich ein freier Platz aus, auf welchem an den in Maracaibo fast immer schönen Abenden eine farbige Musikbande spielt und zuweilen auch die „Wacht am Rhein“ zum Besten giebt. Am Hafen entlang befinden sich die hervorragendsten Privatgebäude, welche sich durch flache mit Gallerien umgebene Dächer, Stockwerke, Balcone und Miradores, Ausguckthürme, auszeichnen. Hier haben sich zum großen Theil unsere deutschen Landsleute niedergelassen, welche in Maracaibo die ersten Handelshäuser inne haben. Das durch seine hohen Einnahmen für das Land höchst bedeutungsvolle Zollhaus liegt ebenfalls am Hafen. Ihm gegenüber ist eine breite Landungsbrücke wehrdammartig in den Lago hineingebaut, an welcher indeß nur kleinere Schiffe, Küstenfahrer und diejenigen Fahrzeuge, welche sich zwischen den verschiedenen Häfen des Sees hin- und herbewegen, anlegen können, während die größeren Seeschiffe weiter ab von der Stadt, auf der Rhede, vor Anker liegen.

Auf der nur zum kleinen Theil überdachten Landungsbrücke (el Muelle) lernt der deutsche Ankömmling zuerst etwas von dem regen, eigenartigen Treiben einer tropischen Handelsstadt kennen. Eine Menge fast nackter farbiger Arbeiter ist beschäftigt Waaren auszuladen und die Erzeugnisse des Landes zu verschiffen; ganze Mauern von Säcken, mit dem herrlichsten Kaffee gefüllt, sind auf der Brücke aufgebaut; schwerbelastete Boote legen an und gehen ab; hier und da stehen und wandeln, die Verladung beaufsichtigend oder eifrig mit den Zollwächtern verhandelnd, Vertreter der städtischen Handelsfirmen in völlig weißer Kleidung, darunter mancher deutsche Landsmann, den man mit herzlicher Freude unter dem großen Sonnenschirm entdeckt.

Am lebhaftesten geht es hier in den Morgenstunden zu, weil in der Nähe des Muelle, auf dem großen freien Platze zwischen dem Hafen und dem Zollhause, der Markt eine große Menge Menschen zusammenführt. Noch lange aber, bevor das Treiben auf dem Markte beginnt, bei vollständiger Dunkelheit noch, hört man hier schnell auf einander folgende, weithin schallende Schläge, welche nicht daran gewöhnte Menschen, die in den nächsten Häusern noch ihren süßen Morgenschlaf genießen, unbarmherzig wecken: eine ganze Reihe farbiger Waschweiber, welche bis an die Kniee im Wasser stehen, bearbeiten da unten mit Holzstücken und Steinen die ihnen zum Reinigen anvertraute Wäsche. Sobald dann die ersten Strahlen der Morgensonne auf den Marktplatz fallen, beginnt das bunteste Treiben. Boot an Boot, mit den Erzeugnissen des Landes gefüllt, legt sich an den Hafen und wird links von der Landungsbrücke auf den flachen Strand gezogen. Die verschiedenartigsten Menschentypen bewegen sich schreiend und sich unterhaltend durch einander. Neger, Mulatten, Indianer, Zambos, Mestizen etc. sind emsig beschäftigt, ihre Producte auf dem Markte auszubreiten, und in denkbar kürzester Zeit bietet die weite, sandige Marktfläche einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_404.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)