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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

dahin niemals verwendet. Diese Wahl des Dichters erregte große Verwunderung, und man versprach sich nichts Gutes davon. Es kam ein Augenblick, wo auch Grillparzer zu fürchten begann, daß seine Wahl eine unglückliche gewesen. Lassen wir uns dies vom Dichter selbst erzählen:

„Es war bei der dritten Probe … Ich saß im finsteren Parterre allein auf einem Sperrsitze … Da, zwischen dem vierten und fünften Acte, wo man mit Vorrichtungen für den Sturz vom Leukadischen Felsen längere Zeit hinbrachte, raschelt es plötzlich neben mir. Ein Frauenzimmer hat sich neben mich gesetzt; sie fängt an zu reden; es ist Madame Korn.

‚Sagen Sie mir doch,’ hebt sie an, ‚haben Sie sich denn die Melitta so gedacht?’

‚Aufrichtig gesagt,’ erwiderte ich: ‚Nein!’

‚Aber wie soll ich sie denn sonst spielen?’ fährt sie fort.

‚Ich glaubte, Sie würden sie spielen, wie Sie Ihre übrigen Rollen spielen.’

‚Aber mein Mann und die Schröder sagen, im griechischen Trauerspiel müsse Alles gehoben sein.’

‚Da haben Ihr Gemahl und die Schröder allerdings Recht, aber der Vers, die Umgebung – ich hätte hinzusetzen können, Ihr unvergleichliches Talent – werden schon die nöthige Hebung hineinbringen, ohne daß Sie sich deshalb besondere Mühe zu geben brauchen.’

‚Aber,’ sagt sie weiter, ‚das Stück wird morgen schon gegeben; wie soll ich denn die ganze Rolle umlernen?’

Das wußte ich freilich nicht, meinte aber, sie sollte wenigstens so viel wie möglich von ihrem natürlichen Tone hineinbringen. – Damit ging sie fort, warf über Nacht die ganze ihr aufgedrungene Ansicht der Rolle von sich und war bei der Aufführung so über alle Beschreibung liebenswürdig, daß sie die Krone des Abends davontrug.“

Am 21. April 1818 wurde Sappho zum ersten Mal am Burgtheater gegeben und erregte die größte Sensation.

Der Dichter selbst hatte sich nur ein einziges Mal sein Erstlingswerk: „Die Ahnfrau“ vom Zuschauerraum angesehen, aber der Eindruck der Vorstellung war für ihn ein unangenehmer, ja geradezu widerlicher gewesen, und er hatte sich fest vorgenommen, nie wieder dieser marternden Empfindung sich auszusetzen. Während der ersten Aufführung seiner Stücke schritt er von nun an, immer den Dialog, ohne es zu wissen, vor sich hin recitirend, hinter den Coulissen auf und ab und verließ auch zeitweilig, wenn seine Aufregung zu groß wurde, das Theater, sich in frischer Luft durch einen Spaziergang auf die Basteien zu erholen. Kehrte er dann auf die Bühne zurück, so war seine erste Frage: Wie es denn draußen gehe?

Die Mutter des Dichters saß am ersten „Sappho“-Abende auf einem Sitze in der dritten Gallerie; sie wurde erkannt, von Einigen aus dem Publicum umringt und ihr zu ihrem Sohne und zu seinem heutigen glänzenden Erfolge Glück gewünscht, sodaß die gute Frau, vor Freude weinend, ihrem Franz, den sie nach beendeter Vorstellung am Ausgange des Theaters erwartete, um den Hals fiel.

Der Eindruck, den die „Sappho“ machte, war ein großartiger. „Mit der Kritik,“ schreibt Grillparzer in seiner Selbstbiographie, „kam ich diesmal sehr gut zurecht. Höchstens meinten Einige, das Stück sei nicht griechisch genug, was mir sehr recht war, da ich nicht für Griechen, sondern für Deutsche schreibe.“

Aber auch im Publicum war die Wirkung eine durchschlagende. Aus den Papieren und Briefen, die sich im Nachlasse Grillparzer’s fanden, seien hier einige, bisher unveröffentlichte, sich an „Sappho“ knüpfende Documente mitgetheilt.

Die Dichterin Karoline Pichler, in deren Hause Grillparzer um diese Zeit oft musicirend seine Abende zubrachte, schreibt ihm unmittelbar nach der Aufführung:

„Mitten unter den glückwünschenden Freunden und Bekannten, die sich heute um Sie drängen und die Siegesfeier des gestrigen Abends durch ihre Bemerkungen und Lobeserhebungen wiederholen und verlängern werden, soll auch dies Blatt erscheinen und Ihnen die herzliche Theilnahme einiger Menschen bringen, welche zwar nicht so laut und stürmisch, aber darum nicht weniger tief Alles, was gestern die Menge fühlte und Ihnen zeigte, mitempfunden. Nehmen Sie von uns Allen die wärmsten Glückwünsche an! Mir haben Sie einen genußreichen, aber nicht frohen Abend gemacht, außer in so weit, als der rauschende Beifall des Publicums und das Anerkennen Ihrer hohen Talente mir Freude machen mußte. Ich war erstlich zu aufgeregt und unruhig durch Alles, was vorging im Theater, und dann – durch Sappho’s Schicksal und das gefolterte Dasein Melitta’s nach dem durch sie veranlaßten Tode ihrer Wohltäterin zu verstimmt, als daß selbst das Triumphgetöse, mit dem das Publicum Sie zu sehen verlangt hatte, jene Stacheln ganz hätte beschwichtigen können. Warum quälen Sie die Menschen so gerne, so anhaltend, so unheilbar? Ich hätte viel, viel mit Ihnen zu zanken. Mit Ihrer Sappho und Melitta waren Sie wohl ganz zufrieden? Die Korn hat ganz unübertrefflich gespielt, und in Schröder-Sappho sah ich Madame Staël, nach allen Individualitäten, die ich an dieser Frau weiß. Gut, menschlich, großmüthig, hingebend, leidenschaftlich, unbedacht in der Wahl ihrer Liebe, eifersüchtig und durch die Kunst dem Leben, wie der Weiblichkeit entfremdet, eine Frau, die, wie J. Paul sagt, ‚liebt wie ein Mann und geliebt sein will wie eine Frau.’ Melitta aber ist ein Himmelshauch, verkörpert in einer holden Mädchengestalt; so hat sie die Korn nach meinem Gefühle auch gegeben. Mit Phaon-Korn bin ich nicht zufrieden; er hat kalt, theilnahmlos, besonders im Anfange, gespielt. Leben Sie nun recht wohl! Ich sage nichts von Wiedersehen; jetzt gehören Sie der Kunst und nicht dem Leben und nicht denen, die gerne mit Ihnen sein möchten.“

Bereits am 22. April richtete die Direction des Burgtheaters nachfolgende Zuschrift an „Herrn von (sic) Grillparzer, Conceptspraktikanten der k. k. allgemeinen Hofkammer“:

„Die Anerkennung eines so ausgezeichneten Talentes, als der Verfasser der ‚Sappho’ beweiset, ist eine angenehme Pflicht für jeden Freund der Kunst; um so erfreulicher ist es mir, Ihnen für den seltenen Genuß, den ich bei der Darstellung dieses Trauerspiels mit allen Gebildeten theilte, zugleich im Namen des k. k. Hoftheaters danken zu können. Sappho hat die Erwartungen vollkommen gerechtfertigt, welche schon Ihre erste Arbeit von Ihren dramatischen Talenten erweckte, und Wien darf schon jetzt auf einen jungen Mitbürger stolz sein, den bald ganz Deutschland unter seine vorzüglichsten Dichter zählen wird. Es macht mir Vergnügen, Ihnen durch die nachträgliche Erhöhung des Honorars für die Sappho einen Beweis geben zu können, welchen hohen Werth die Direction auf dieses schöne Werk legt, und ich ersuche Sie hiermit, den desfälligen Betrag von 400 Gulden gegen Ihre Quittung an der k. k. Hoftheatercasse erheben zu lassen.“

Graf Stadion, der damalige Finanzminister, ein Gönner Grillparzer’s, darauf bedacht, die ökonomische Lage des jungen Dichters zu verbessern, veranlaßte, daß das Hoftheater einen für diesen überaus günstigen Vertrag mit ihm abschloß, in welchem ihm eine jährliche Bestallung von tausend Gulden Wiener Währung zugesichert wurde.

Auch mitten aus dem Publicum heraus sollte der Dichter einen werkthätigen Beweis erhalten, wie tiefgehend die Wirkung seiner Dichtung gewesen, wie sich die Theilnahme der Besten und Edelsten mit ihm beschäftigte.

Am 1. Mai jenes Jahres, einem wahren Glückstage seines Lebens, erhielt er folgendes Schreiben:

„Eine Gesellschaft dramatischer Kunstfreunde fühlt sich berufen, ihre Schuld für mehrere genußreiche Abende, welche Ihr vortreffliches Gedicht ‚Sappho’ ihr gewährte, thätiger als durch leeren Weihrauch der Bewunderung abzutragen. Selten sind himmlische und irdische Güter gleichmäßig vertheilt, und sie sollten sich stets schwesterlich die Hände reichen, um auszutauschen, was den Reiz des Lebens erhöhet. Ohne Scheu und Bedenken darf daher wahres, über Schmeichelei oder Spott erhabenes Verdienst ein Opfer inniger Verehrung annehmen, und als solches ist die Gesellschaft so frei, Ihnen die beiliegende Bankactie anzubieten. Möge dieses Schärflein Andere zum Wetteifer spornen, die Muße des Dichters zu sichern, jedes Wölkchen von Nahrungssorge zu zerstreuen, welches seine heitere Welt trüben könnte, und so die schönen Hoffnungen verwirklichen helfen, wozu sein hohes Talent berechtigt!“

Der Ruf der „Sappho“ verbreitete sich rasch über Deutschland, und die Theater beeilten sich mit deren Aufführung.

Noch im April schrieb der kunstsinnige Leiter des Berliner Hoftheaters, Graf Brühl, an den Dichter:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_356.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)