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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Das gelobte Land.

Ein Wort über Colonisationsversuche in Palästina. Von Professor Sepp.

(Schluß.)


Trotz aller Eisenbahnen wird es mit der öffentlichen Sicherheit in Palästina noch auf lange hinaus schlimm bestellt sein. Wehe besonders denen, welche es wagen wollten, in der Nähe der Beduinen an der Wüstengrenze sich eine Farm zu gründen und ihren Kohl zu bauen! Sie würden bei Tag und Nacht vor Ueberfällen nicht sicher sein. Nie ist eine Prophezeiung genauer eingetroffen, als jene alttestamentliche von Ismael: „Er wird ein wilder Mensch sein und seine Hand gegen Alle wie Aller Hände gegen ihn.“ Sie ist eingetroffen, weil sie ihre Farben den schon gegebenen Verhältnissen entlehnte, die in der altbiblischen Zeit die Ismaeliten als ebensolche zeigen, wie wir sie heute sehen. Die Erklärung ist einfach genug: der Hunger ist eben die erste Großmacht, und die Wüste ist unfruchtbar. Die Sandwellen rücken auffallend dem Jordan immer näher, und die Ostseite des einst paradiesischen Sees Genezareth ist fast völlig verödet. Dazu kommt die Macht der Tradition, die Ueberkommenschaft des Blutes, welche dem Beduinen den Raub zur Lebensaufgabe setzen.

Vor einigen Jahren überfiel solch ein Trupp Beduinen das ein paar Stunden vom Genezarethsee abwärts gelegene Abadije, wo unser neu bestellter Consul Adler Mühlen hat, und schafften sich Weizen und Mehl in aller Schnelligkeit fort. Die Beduinen waren auf ihren Rossen einfach durch den Jordan geritten oder geschwommen. Zu ihrer Verfolgung wurden bei dem entstandenen Alarm wohl hundert Kejal oder Landreiter aufgeboten, und sie befanden sich bald dreien Beduinen gegenüber, welche, während die übrigen in aller Hast die Beute in Sicherheit zu bringen trachteten, die einzige Bedeckung bildeten und auf ihren gazellenfüßigen Thieren gleichsam spielend die Verfolger reizten, näher zu kommen. Nur ein Mann von dem eiligen Landsturm tummelte seine Rosinante keck voran: da schwenkten die drei Räuber, fielen über den Unglücklichen her, schnitten ihm den Kopf ab und seinen Leib in Stücke, und banden diese auf sein Roß, sodaß es zum Schrecken des bewaffneten Aufgebots mit den noch blutenden Gliedmaßen zurückjagte. Seitdem wagt Niemand mehr, sich in Bethsan und der Umgegend des Jordans anzukaufen. Die Beduinen spielen die Herren und haben während des jüngsten Krieges, da die Ernte im Ostland mißrieth, alle Dörfer diesseits überschwemmt, alles Korn fortgeschleppt und, wo sie Widerstand fanden, die Männer im Hause und auf der Tenne erschlagen. Aber auch die arabischen Fellahim sind im Durchschnitt elendes Räubergesindel.

Ich selbst habe auf früheren Reisen die Beweise davon zu spüren gehabt (1845). Das erste Mal am Samariterbrunnen zu Nablus (Sichem), wo mich etwa zehn Burschen packten, die sich nicht träumen ließen, daß ich mich wehren würde. Im ersten Schrecken entwand ich mich mit Gewalt der Umarmung und fand, als mein Stock in Stücke gegangen, das Heil in schleuniger Flucht nach dem nahen Stadtthor. Das andere Mal waren es fünf Fellahim mit Säbel und Flinten, welche halbwegs zwischen dem Carmel und Nazareth mich und meine drei deutschen Gefährten anfielen. Es gelang uns, sie zu verjagen, aber mein Nebenmann kam nicht davon, ohne vom Wurfe eines Feldsteines, der meinem Kopfe gegolten, bedenklich am Arme getroffen zu sein. Ich hatte mich rechtzeitig gebückt, sonst wäre es mir vermuthlich ergangen wie einem nachfolgenden Briten, welcher, auf demselben Wege angefallen, von einem schweren Steine todtwund, Monate lang in der Casa Nova zu Nazareth krank lag. Die arme – vielmehr reiche Miß Creasy, welche am 8. September 1858 Jerusalem verließ, wurde nach vier Tagen mit zerschmettertem Haupte als Leiche gefunden. Noch im September 1877 wurde auf dem bekannten Wege von Kaifa nach Nazareth ein Engländer, der unter einem Baume sich ausruhte, von vier Räubern förmlich in Stücke zerhackt. Das ist so ländlich sittlich, und wiederum nicht etwa eine Eigenthümlichkeit des modernen Palästina: die altbiblische Zeit und die Zeit der Römer weisen dieselben Erscheinungen auf. Nun sind die Paschas an die Stelle der römischen Landpfleger getreten, und die türkische Justiz macht in solchen erschwerten Fällen kurzen Proceß. Wird eine Gewaltthat ruchbar, ist ein Raub oder eine Blutthat begangen und dringen insbesondere die Consuln auf Bestrafung, dann bricht die rächende Gerechtigkeit los. Gestraft wird jedenfalls ein Einzelner oder eine Anzahl, ob freilich der Schuldige, das ist eine andere Frage. Uebrigens bildet die Verhängung der Todesstrafe seit dem Pariser Frieden ein Reservatrecht des Sultans, was angesichts der bestehenden Verhältnisse, welche die Blutrache in voller Geltung erhalten haben, freilich wenig besagen will.

Charakteristisch für die bisher geschilderten Zustände des Landes ist das Schicksal der erwähnten Vermessungen durch die englische Gesellschaft zur Erforschung Palästinas, welche, den Decan Stanley von Westminster an der Spitze, jährlich über mehrere tausend Pfund Sterling verfügt und zum ersten Mal mit amtlicher Genauigkeit die trigonometrischen Verhältnisse Palästinas feststellen ließ. Colonel Wilson und Warren haben das Werk begonnen; Capitain Stewart war durch Erkrankung zur Rückkehr genöthigt. Ihn ersetzte Tyrwhitt Drake, der schnell dem Klima und der Anstrengung zum Opfer fiel; er starb im Hôtel Mediterranean zu Jerusalem am 22. Juni 1874, während wir Abends mit unserem wackeren deutschen Consul an der Tafel saßen. Lieutenant Conder rückte in die Lücke ein. Eines Tages zog die englische Expedition, achtundzwanzig Mann stark und noch dazu wohl bewaffnet, nach Safed hinan und begann ihre trigonometrischen Instrumente aufzustellen. In der Nacht unternahmen die Eingeborenen, im Wahne, die Fremdlinge seien gekommen, um sich nächstens in ihren Grund und Boden zu theilen, mit allen möglichen Waffen einen Ueberfall. Conder sprang mit dem Revolver in der Hand im Hemd aus dem Zelte, willens durch einen Schuß die Feinde zu erschrecken; diese verstanden indeß keinen Spaß, und der muthige Officier erhielt mit Stock und Beil entsetzliche Wunden. Ein Säbelhieb, der ihm den Kopf spalten sollte, wurde mit Noth noch von Einem aus dem Gefolge parirt. Man schlug sich durch, aber neun Mann waren, zum Theil durch Steinwürfe, verwundet, und Lieutenant Conder derartig, daß man ihn mit Mühe lebend auf einem Maulthier nach Nazareth brachte, wo er ein halbes Jahr im Kloster der lateinischen Väter darniederlag, wie sein Diener in Aka, zwischen Tod und Leben schwebend; denn Wunden sind im heißen Lande entzündlicher als bei uns. Unfähig, die übernommene Aufgabe zu erledigen, mußte er nach England zurückkehren, wo er noch siecht. Die kostbaren Instrumente blieben zwar erhalten, aber das Unternehmen gerieth neuerdings in’s Stocken, und die Vollendung der Arbeit war in Frage gestellt. Erst im Januar 1876 reiste der Royal Ingenieur Colonel Kitchener von London nach Palästina ab, um noch den Rest von eintausend englischen Quadratmeilen im Norden und zweihundert im Süden zu vermessen; er kehrte dann in Eile im December desselben Jahres von Beirut wieder heim.

Das sind die großen Uebel in Palästina, von den kleineren ganz zu schweigen, wozu in erster Linie das massenhafte Ungeziefer gehört, wegen dessen die Eingeborenen es zumeist vorziehen, auf den Dächern zu schlafen; sie riskiren dabei freilich durch Erkältung die schlimmsten körperlichen Leiden, namentlich Augenleiden.

Meine Ansicht über die totale Ungunst der Verhältnisse gegenüber der Idee, Palästina zum Zielpunkte einer christlichen oder jüdischen Einwanderung und vielleicht gar Staatsregierung zu machen, wird durch das Schicksal der in dieser Richtung geleisteten Versuche hinlänglich bestätigt. Doppelt enttäuscht wurden die Anhänger der mosaischen Religion, welche nebenbei auf Anknüpfungspunkte bei den Resten ihrer Glaubensgenossen, wie sie besonders in der Nähe des galiläischen Meeres in geschlosseneren Mengen leben, rechnen mochten. In neuerer Zeit ist für diese Hebräer in Palästina so viel geschehen, daß man ernstlich fragen möchte: Reichen die Kräfte der Gesunden auch hin, um so viele Spitäler, Schulen und Versorgungshäuser zu versehen? Zum Danke hat jeder einwanderungslustige Israelit zu gewärtigen, von den dortigen Israeliten mit dem dreifachen Banne, der Ausschließung (Niddui), der Verfluchung (Cherem) und der Vertilgung im Namen des allmächtigen Gottes (Schammatha oder Maranatha) belegt zu werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_324.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)