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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Lucile’s durchscheinen; nur die Augen, diese groß aufgeschlagenen, schillernden Sterne, blitzten wie Steingefunkel durch einen schmalen Streifen dünnen Spitzengrundes.

„So, nun wären wir fertig,“ sagte sie und griff nach ihrem Taschentuch.

Felix reichte ihr den Arm.

„Liebes Herz,“ bat er, unter der Thürwölbung den Schritt anhaltend, mit gedämpfter Stimme, „sprich nicht, so lange wir im Hause sind, und gehe möglichst geräuschlos die Treppe hinab!“

„Aber, mein Gott, weshalb denn? Wir sind doch keine Spitzbuben?“ fragte sie verwundert. „Ach, das kleine Kind ist wohl krank?“

„Nicht krank, aber sehr schwachnervig.“

„Ah, ich verstehe.“

Sie traten hinaus auf den Vorsaal. In dem jungen Mann wogte ein nicht zu beschreibender Aufruhr. Seine Hände ballten sich wie im Krampfe, und der fieberhaft angstvolle Wunsch: „Nur keine Begegnung zwischen ihr und meiner Mutter!“ wurde mit jedem Schritt weiter in die dräuende Tiefe hinab immer mehr zur inbrünstigen, gen Himmel gerichteten Bitte.




6.

Ein tiefes Dämmern war hereingebrochen. Drunten in der Hausflur mußte schon die Wandlampe brennen – ein blasser Schein lief die Treppenwand herauf; er genügte gerade, um die Holzfiguren des Geländers in’s Grauenhafte zu verzerren, den weiten, schwarzen Schlund eines ausgedienten Kamins und die Wölbung einer offenen Thür zu zeigen, die in den unergründlich dunklen Bodenraum eines Hintergebändes führte und an welcher die Hinabsteigenden vorüber mußten.

„Um Gotteswillen, Felix, wie hältst Du es hier in dieser Hexenküche auch nur für eine Stunde aus?“ flüsterte Lucile, die Augen furchtsam schließend, dicht an seinem Ohr.

Er drückte beschwichtigend ihren Arm fest an sich. Sein elastischer Tritt war fast ebenso leicht, wie die huschenden Füßchen seiner Begleiterin, und doch seufzten die Stufenbretter in schreckhafter Weise und geriethen in schütternde Bewegung. Zu seiner großen Beruhigung aber sah der junge Mann sehr bald durch das Geländer, daß die erleuchtete Hausflur vollkommen leer war, und keine der Thüren offen stand – nur noch wenige Augenblicke, und er war aus der herzbeklemmenden Situation erlöst.

In diesem Moment des heimlichen Aufathmens sprang plötzlich ein dunkler Körper tigerartig aus der unbeleuchtete Ecke der unteren Treppenwendung und schoß mit einem riesigen Satz dicht neben Lucile hin, um lautlos im oberen Stockwerk zu verschwinden – es war der verhaßte große Kater, der in seinem Lieblingswinkel eine Abendsiesta gehalten hatte.

Das junge Mädchen stieß einen gellenden Schrei aus, riß sich von ihrem Begleiter los und lief wie toll die Treppe hinab.

Sofort öffneten sich verschiedene Thüren. Aus der einen trat die Amme, den kleinen Veit im Arme; durch die breite Spalte der Küchenthür guckten die Köpfe zweier Mägde, und auf der Schwelle der „Amtsstube“ stand die Majorin, vollbeleuchtet von der schräg gegenüber hängenden Wandlampe.

„Was giebt’s?“ fragte sie in ihrem gewohnten kurzen, herrischen Ton, ohne die Thürstufe zu verlassen.

Felix war der jungen Dame nachgesprungen und hielt die an allen Gliedern Zitternde in den Armen. „Beruhige Dich, Lucile! Wie magst Du Dich über eine harmlose Katze dermaßen erschrecken!“

„O – eine Katze? Wer’s glaubt!“ stammelte sie, Zorn und halbverschluckte Thränen in der Stimme. „Dieses entsetzliche, alte Klosternest! Mönchsseelen sind’s, die in den Ecken hocken und Einem den Tod einjagen.“

Die Mägde kicherten, und die Amme kam ungenirt herbei, um sich die furchtsame Dame näher anzusehen, die den alten Hauskater für ein Mönchsgespenst hielt. Diese dreiste Ungehörigkeit, die auch die anderen Mägde ermuthigte, aus der Küche zu treten, war nicht zu dulden. Die Majorin verließ die Schwelle, durchmaß mit raschen, festen Schritten die Hausflur, schob die erschrockenen Mägde in die Küche hinein und schloß hinter ihnen die Thür.

„Und Sie gehen augenblicklich in die Schlafstube zurück, wo Ihr Platz ist, Trine!“ gebot sie, und die widerstrebende, frech stehenbleibende Person ohne Weiteres mit kraftvollen Händen an den breiten Schultern fassend, dirigirte sie dieselbe nach dem verlassenen Zimmer.

Die Hausflur war leer.

„Und nun mache dem Skandal ein Ende!“ sagte die Majorin zu ihrem Sohne und zeigte gebieterisch nach dem Ausgang.

Jetzt erst sah er, wie ihr todtenbleiches Gesicht in Grimm und Schmerz förmlich versteinert war – dieser Anblick erschütterte ihn in tiefster Seele.

„Mama!“ rief er in flehender Bitte.

„Wie, Felix, ist das Deine Mama?“ fragte Lucile, sich erstaunt aus seinem Arm windend, und blickte mit großen Augen zu der Frau empor, die, ein so prachtvolles Haardiadem über der weißen Stirn, so modern und elegant gekleidet, in imposanter Schönheit neben dem Sohne stand. „Geh, ich bin böse, Felix! Du hast mir nie gesagt, daß Du eine so wunderhübsche Mama hast. Ich habe Sie mir nie anders, als mit krummem Rücken und einer großen Haube auf dem Kopfe denken können, Madame.“ Sie lachte lustig auf – das Mönchsgespenst war vergessen. „O, wie ganz anders sehen Sie aus! So präsentable, so sehr stolz und vornehm! Und da hat mir Felix weißmachen wollen, Sie seien durchaus nicht dazu angethan, einen Gast wie mich zu empfangen.“

„Er hat die stricte Wahrheit gesagt, Fräulein,“ versetzte die Majorin mit eisiger Kälte, und sich gemessen abwendend, sagte sie mit einer leichten, aber bedeutungsvollen Neigung des Kopfes nach der jungen Dame hin zu ihrem Sohne:

„Die beste Illustration zu meinen heutigen Aussprüchen! Als mir der ungebetene Besuch in meinem Zimmer angezeigt wurde, da kam mir der lebhafte Wunsch, von meinem guten Recht in nicht sehr sanfter Weise Gebrauch zu machen. Aber ich sagte mir, daß einem Manne von Ehre, der auf Wahrung der Frauenwürde und Reputation hält, von selbst die Augen aufgehen würden bei einer so beispiellosen Dreistigkeit. Hoffentlich bist Du für immer geheilt. Jetzt gehe! Und kömmst Du allein zu mir zurück, dann – soll Alles – vergeben und vergessen sein.“

Die letzte Sätze sprach sie mit erhobener Stimme, und in den strengen Befehlston mischte sich ein Klang, den Felix noch nie von diesen Lippen gehört hatte, die Bitte eines angstzitternden Mutterherzens.

Während sie sprach, hatte Lucile vergeblich versucht, den Schleier zurückzuschlagen – die große, goldene Hutnadel hatte ihn gefaßt, er lag festgespannt über dem Gesicht; sie fühlte das brennende Verlangen, der imponirenden Frau mit dem bitterernsten Gesicht zu zeigen, wie schön sie sei. Bei diesen Bemühungen hörte sie anfänglich nur mit halbem Ohr auf das, was die Majorin sagte – ein Verständniß dafür hätte sie aber auch bei ungetheilter Aufmerksamkeit absolut nicht gehabt. Sie, die Gefeierte, Vergötterte, um die sich die aristokratischen Gäste im eleganten Salon der Mama huldigend drängten, sie, das Schooßkind des Glückes, auf dessen Wink die Dienerschaft flog, das daheim unter einem rosa atlassenen Betthimmel schlief, sie hätte sich doch nicht träumen lassen, daß sie hier in dieser nie gesehenen spießbürgerlichen Umgebung eine Niederlage erlitte, wie sie demüthigender nicht gedacht werden konnte. Bei den letzten mit so großem Nachdruck gesprochenen Worten der Majorin aber fuhr sie plötzlich empor; ihre Hände sanken an dem widerspänstigen Schleier nieder; sie schob ihren Arm in den ihres Begleiters und schmiegte sich weich und geschmeidig wie ein schmeichelndes Kätzchen an seine hohe Gestalt.

„Was hat denn mein armer Felix verbrochen, daß Sie von Vergeben und Vergessen sprechen?“ fragte sie. „Und allein soll er wiederkommen? Das geht nicht, Madame. Er führt mich jetzt in den Schillingshof, und dort, in dem wildfremden Hause, kann er mich doch unmöglich allein lassen – das werde Sie einsehen.“ Der ganze Uebermuth, der in ihrem frischen, heißen Blut schäumte, das unzerstörbare Selbstbewußtsein des von der Natur mit kostbaren Gaben überschütteten Menschenkindes sprachen aus der graziös trotzigen Geberde, mit der sie in diesem Augenblick den reizenden Lockenkopf hob. „Ich erlaube es ihm auch gar nicht, müssen Sie wissen, und es bleibt ihm auch keine Zeit. Wir werden uns sofort trauen lassen, wo und in welcher Kirche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_279.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)