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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 12. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.

Das Haus in der Schlucht.
Von Balduin Möllhausen.
(Schluß.)
7.

Pünktlich um Mitternacht war Bertus zur Stelle. Seiling erwartete ihn schon, und eine gewisse Zärtlichkeit lag in seiner Stimme, als er den jungen Mann begrüßte.

„Wir brauchen nicht weit zu gehen,“ fuhr er fort, „hier auf dem nackten Strande belauscht uns am wenigsten Jemand. Denn ich will Dir nicht nur ein Geheimniß anvertrauen, sondern Dir auch die Kordel, für welche allein ich so lange gelebt und gesorgt habe, für alle Ewigkeit als Dein Eigen übergeben.“

Sie setzten sich auf eine Geröllanhäufung, und während der Wind ihre Schläfe umsauste, nahm Seiling seine Mittheilungen wieder auf:

„Es ist wohl an die zweiundzwanzig Jahre her,“ sprach er in ruhigem, überlegendem Tone, „als Klaas und ich in San Francisco das Schiff, auf welchem wir als Matrosen dienten, verließen und uns landeinwärts wendeten. In den Goldminen trafen wir mit einem Deutschen, Namens Hager, und dessen junger Frau zusammen, und da es sich einzeln weniger ergiebig arbeitete, so kamen wir überein, beim Goldwaschen unser Glück gemeinschaftlich zu versuchen. Der Klaas war keine gute Zugabe, allein da er zu schaffen verstand und wir Sonnabends jedesmal unsern Erwerb redlich theilten, so hing Keiner von dem Andern ab. Handelte es sich doch nur darum, daß wir uns gegenseitig in die Hände arbeiteten. Wir hatten eine Hütte gebaut, in welcher Hager’s Frau die häuslichen Obliegenheiten verrichtete und für unsere Beköstigung sorgte, wofür Klaas und ich sie natürlich entschädigten, und die schlechtesten Tage meines Lebens waren es nicht, welche ich dort verlebte. Das Glück war uns günstig, allein während Hager und ich unsern Gewinn zusammenhielten und allmählich nicht unbeträchtliche Summen ersparten, verwendete Klaas die Sonntage dazu, das, was er im Laufe der Woche erworben hatte, zu verspielen und zu verjubeln. Drei Jahre waren hingegangen, und meine Ersparnisse beliefen sich auf etwa siebentausend Dollars; eine gleiche Summe hatte Hager erübrigt. Da trat ein Ereigniß ein, welches eine Störung in unserem gemeinschaftlichen Wirken verursachte: dem Hager wurde ein Töchterchen geboren. Doch die Freude seiner Vaterschaft sollte nicht lange ungetrübt bleiben, denn das Kind war kaum einige Wochen alt, als die Mutter sich hinlegte und nach kurzer Krankheit starb. Unser nächster Gedanke drehte sich um das Auseinandergehen. Hager und ich waren auch in dieser Absicht einig, gaben aber dem dringenden Zureden des Klaas nach und verpflichteten uns, noch unbestimmte Zeit beisammen zu bleiben. Wollte Gott, es wäre nicht geschehen! Dann stände es heute besser um mich und auch wohl um die Kordel –“

„So ist sie nicht Eure Tochter?“ fiel Bertus fast athemlos vor Erstaunen ein.

„Nicht meine Tochter,“ bestätigte Seiling tief aufschluchzend, „nein, nicht meine Tochter, obwohl sie mir an’s Herz gewachsen ist, wie ein Kind seinem leiblichen Vater. Sie ist die Tochter jener armen Frau und –“ schaudernd brach er ab und entfernte die Schweißtropfen von seiner Stirn: „Störe mich nicht mit Fragen, Bertus! Ich muß Alles so abspinnen, wie ich’s in meinem Kopfe zurecht gelegt habe, oder das Gedächtniß übermannt mich, daß ich nicht weiter kann. – Das Goldwaschen und das Kinderpflegen wollte nicht zusammen passen. Hatten wir früher in leidlicher Eintracht gelebt, so war’s jetzt bald dem Einen, bald dem Andern nicht recht, und wenn einmal eine kleine Havarie zwischen mir und dem Hager ausgebrochen war, hatte der Klaas eine Art, den Unfrieden zu schüren, daß Keiner dem Andern mehr traute. Und dabei blieb’s nicht. Klaas zog den Hager allmählich zu sich hinüber, und dieser, ohne seine gute Frau und im Kummer um dieselbe, gab nur zu leicht den Schmeichelreden des Verführers Raum und betheiligte sich an Spiel und Trunk. Ich rieth wohl zur Umkehr und bat den Hager, an sein Kind zu denken, allein er wurde um so grimmiger gegen mich, und Reden führte er, wie sie ihm allein der Klaas eingegeben haben konnte. Er nannte mich einen schamlosen Verführer, der ihm das Andenken an seine Frau in Galle verwandelt habe, und meinte, es müsse seinen Grund haben, daß ich so besorgt um die kleine Kordel sei. Ich schwieg zu solchen himmelschreienden Anklagen, aber im Geheimen beschloß ich, die erste Gelegenheit zu benutzen, um mich mit den Beiden gänzlich aus einander zu setzen und meiner Wege zu ziehen. Bevor ich indessen meinen Vorsatz ausführte, kam’s zur Entscheidung. Hager nannte mich eines Tages den niederträchtigsten Schurken, der jemals eines ehrlichen Mannes Weib verführt habe. Das war mir zu viel. Vor ihn hintretend forderte ich, daß er im nüchternen Zustande seine Anklagen wiederholen möge, damit ich sie widerlegen könne. Da lachte er laut auf, wie ein Wahnwitziger; und seinen Revolver hervorziehend, schoß er zweimal nach mir, ohne mich zu treffen. Als er aber zum dritten Male die Mordwaffe hob, sah ich wohl ein, daß es um mich geschehen sei. Was in den nächsten Minuten geschah, ist mir nie recht klar geworden. Meine Sinne hatten mich verlassen, und als ich wieder zu mir selbst kam, sah

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