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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

näher zusammen, während tiefes Roth sich über ihre lieblichen Züge ausbreitete.

„Die unsinnigen Nachreden müssen verstummen,“ sprach sie nach einer Pause, „und dazu giebt es nur ein sicheres Mittel. Mißtrauen die Leute Deinen Betheuerungen, so sage ihnen in’s Gesicht, Du wüßtest es besser! Sage ihnen, die braune Kordel sei nicht stolz, aber sie habe ihren eigenen Sinn. Sie würde keinen Andern heirathen, als Jemand, dem sie zugethan sei, unbekümmert darum, ob er ein vornehmer Rheder oder ein einfacher Fischerknecht. Zweifeln sie trotzdem, dann behaupte ruhig, die braune Kordel habe längst ihre Wahl getroffen.“

Sie athmete tief auf, und wie einer ihr Gemüth fast erdrückenden Last sich gewaltsam erledigend, stieß sie schnell auf einander die Worte heraus:

„Magst ihnen auch den Namen des Fischerknechtes nennen – ja, erkläre ihnen, es sei der bravste und ehrlichste Bursche weit und breit, und er heiße – heiße Bertus Seger – ja – Bertus, es ist mein Ernst – doch achte auf Dein Boot! Sieh da, das Segel flattert.“

Todtenbleich saß Bertus am Steuer. Er meinte falsch gehört zu haben und konnte nur glauben, daß er als Mittel zur Zerstreuung böswilliger Gerüchte dienen solle.

„Kordel,“ stotterte er, „auch das will ich sagen, schwer, wie es mir werden mag, aber sie glauben’s nicht. Nein, sie können’s nicht glauben – Kordel, strafe mich nicht so hart! Hab’s wohl verdient um Dich, aber ich bin ja vernünftig geworden seit dem verhängnißvollen Abend –“

„Ja, Du hast’s verdient um mich,“ bestätigte Kordel, und die hellen Thränen drangen ihr in die Augen, während ein herzliches Lächeln den Trotzeszug um ihre Lippen verdrängte, „Bertus, Du hast’s um mich verdient mit Deinem treuen Herzen, daß ich Deine Frau werde. Und daß es Dich an jenem Abend hinriß, daß Du mit mir sterben wolltest, gilt mir ebenso gut als Beweis Deiner Anhänglichkeit, wie die Geduld, mit welcher Du Dich in’s Unabänderliche ergabst, und mir Deine Freundschaft nicht entzogst, nachdem ich Dir die letzte Hoffnung genommen hatte. Damit aber alle Welt es erfahre, komme morgen zu meinem Vater und fordere mich zur Frau, und denjenigen möchte ich sehen, der mich zwingen wollte, Dir nicht zu folgen. Ich kümmere mich nicht um Geld und Gut. Hält mein Vater den Klaas höher als mich, so mag er ihm Alles geben und sich dadurch von ihm loskaufen! Deine Frau werde ich dennoch. Sind wir arm, so können wir arbeiten, wie Deine Mutter Deinem Vater geholfen hat, bis ihr die Kräfte versagten, will ich Dir helfen, bis mir’s Auge bricht.“

„Kordel, nimmer hätt’ ich’s gewagt, Dich noch einmal zu fragen,“ brachte Bertus nunmehr mühsam hervor, und das andringende Blut färbte seine braunen Wangen dunkelglühend, während es aus seinen Augen wie Verzückung leuchtete, „aber wenn Du’s selber sagst, Kordel, wär’s sündhaft, zu zweifeln – mir ist’s wie ein Traum – Kordel, wie’s Blut mir wild durch die Adern jagt – eben noch so elend, daß ich am Leben verzagte, und jetzt, Kordel, Kordel –“

„Nun ja, Bertus, aber beruhige Dich! Weißt Du doch, daß ich mich Dir versprochen habe, und das kann keine Macht der Erde lösen. Ja, Bertus, hier in dem Boot haben wir uns verlobt, ernstlich verlobt und wie verständige Menschen, nicht wie Schmetterlinge, die über den Blumen fliegen, sich küssen und ihre schönen Kleider hoffärtig zur Schau tragen. Unser Ja hält fester, als tausend Eide, die draußen in der Welt geschworen werden. Doch nun halt’ auf’s Land, damit ich hinausspringe!“

„Nur noch eine kurze Strecke!“ bat Bertus.

„Nicht weiter!“ fiel Kordel erröthend ein, „denn noch bin ich die eigensinnige braune Kordel. Wir sind jetzt weit genug; von der Schlucht aus sieht uns Niemand mehr.“

Bertus drehte einem Träumenden ähnlich das Steuer. Das Segel flatterte, und von einer krausen Dünung getragen streifte der Kiel des Bootes den Sand.

Kordel hatte sich erhoben.

„Lebe wohl, Bertus!“ sprach sie zärtlich, und ihren Arm um des jungen Mannes Hals legend, küßte sie ihn, „still, still! Bleib sitzen – ich gehöre jetzt Dir,“ und sie küßte ihn zum zweiten Male. Bertus ließ Segelleine und Steuer fahren und streckte beide Arme aus, um sie zu umfangen, als sie gewandt wie ein Eichhorn auf die Bank trat und, bevor die nächste Dünung das beinahe trocken liegende Fahrzeug wieder hob, auf den feuchter Sand sprang. Flüchtig eilte sie aus dem Bereiche der Wellen; dann kehrte sie sich lachend um.

„Auf Wiedersehen, Bertus!“ rief sie dem glücklichen Burschen zu, „richte Alles zum Besten ein! Je schneller ich bei Dir einziehe, um so lieber ist’s mir.“

„Kordel!“ hob Bertus wieder an.

„Fort, fort!“ unterbrach sie ihn, „oder möchtest Du dem Schiff den Boden eindrücken lassen? Was Du mir sagen möchtest, weiß ich, jedes einzelne Wort – auf Wiedersehen! Nun eile nach Hause und sage Deiner Mutter, wie’s mit uns steht!“

„Auf Wiedersehen, Kordel!“ rief Bertus, indem er seinen Südwester um’s Haupt schwang; „jetzt fürchte ich keinen Menschen mehr; ich hasse keinen, wünsche Niemand Schaden. Kordel, meine Kordel!“

Er hatte eine Ruderstange ergriffen und landwärts in den Sand gestoßen. Eine Woge rollte heran und hob das Boot. Indem sie zurückströmte, lehnte er sich mit voller Wucht auf die Stange; gleich darauf schwamm das Boot frei. Anfänglich langsam treibend, nahm es seine Richtung nach der Landzunge hinüber; dann schien etwas von den glücklichen Empfindungen seines Besitzers in dasselbe übergegangen zu sein, so lustig schoß es über die grauen Wellen dahin. Bertus aber in seinem Uebermuth drehte das Steuer, daß das Segel das Wasser beinahe berührte und die vor dem scharfen Bug sich teilenden Wogen feinen Sprühregen über ihn hinsandten. Und je schneller die Fahrt, je höher das Wasser empor spritzte, um so lustiger schwang Bertus seinen Hut. Was kümmerte es ihn, daß er sich längst im Gesichtskreise der Männer in der Schluchtmündung befand, deren Blicke argwöhnisch auf ihm ruhten! Mochten sie denken, was sie wollten. Die Wahrheit mußten sie bald genug erfahren, die schöne, glückliche Wahrheit, die er der ganzen Welt hätte zujubeln mögen.

Kordel blieb so lange auf dem Strande stehen, wie sie den Geliebten zu sehen vermochte, und so oft sie das Schwingen des Hutes entdeckte, ließ sie ihr Tuch grüßend hoch über ihrem Haupte flattern. Dann kehrte sie sich den Strandhöhen zu. Der beruhigende Zauber, welchen der Anblick des davon eilenden Bootes auf sie ausübte, war gebrochen, ihr Antlitz erhielt einen sorgenvollen Ausdruck, während sie sich auf einem Umwege der Schlucht näherte.




6.

Schon als Kordel das Boot bestiegen, welches sie heim tragen sollte, hatte Seiling sich zu seiner Warte auf dem Uferabhange hinauf begeben. In gewohnter Weise seinen düstern Betrachtungen nachzuhängen, hinderte ihn Klaas, der sich bald darauf zu ihm gesellte. Seiling hatte übrigens in den letzten Wochen stark gealtert.

„Da bringt der Lump die Kordel,“ sagte Klaas, indem er den Gefährten auf das im Wellentumult daher treibende Boot aufmerksam machte; „eine feine Art für ein junges Ding, mit einem verliebten Burschen die Woche ein paar Mal unbewacht zwischen Himmel und Wasser zu schweben! Deine Sache wär’s, dergleichen nicht zu dulden.“

„Die Kordel geht auf rechten Wegen,“ antwortete Seiling dumpf, „und ihr etwas zu verbieten – hm, dazu fehlt mir die Lust und – nun ja – der Muth.“

„So werde ich’s ihr vorhalten,“ versetzte Klaas mit tückischem Seitenblick auf Seiling, „sie muß von dem Häringsknecht lassen, sag’ ich Dir, und wenn ich darauf bestehe, so weiß ich warum.“

Seiling’s Antlitz verzog sich zu einen ungläubigen Lächeln.

„Ich will sie schon bekehren,“ fuhr Klaas höhnisch fort, „und Du bist der Mann, mir eine Hand dabei zu leihen. Ich hab’s jetzt satt, von ihr wie ein Landstreicher behandelt zu werden. Bietet sie mir doch kaum die Tageszeit, und trägt sie mir’s Essen auf, geschieht’s, wie wenn sie Lust hätte, mir Rattengift darüber zu streuen. Nein, Maat, so begegnet man keinem Freunde und obenein einem Verwandten des leibeigenen Vaters – hahaha! – ich meine des leibeigenen Vaters.“

„Ich Dir eine Hand leihen?“ fragte Seiling erbleichend. „Höre, Klaas, mit mir verfahre, wie Dir’s beliebt – und ich dächte, wenn’s lange so weiter geht, wirst Du bald genug ein Ende mit Allem gemacht haben – aber an die Ruhe der Kordel rühre nicht!“

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