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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

rief. Eine sehr wichtige Sache – darum mein Ausgang, mein längeres Fortbleiben.“

„Ein Wort, Erich – und ich wäre beruhigt gewesen.“

„Warst Du je um mich beunruhigt?“ fragte er bitter. „Es war ja eine eilige Sache.“

„Ich tadele Dich auch nicht, Erich. Ich bin zufrieden mit Allem, was Du thust.“

Er warf einen überraschten Blick auf seine Frau, denn diese ergebene Stimmung an ihr war ihm neu. Dann aber ging er nach einer hingeworfenen Frage über das Befinden des Kindes mit kurzem. „Gute Nacht!“ hinaus.

Vielleicht hätte sich sein Herz ihr milder, weicher erwiesen, wenn nicht etwas Anderes, Neues dasselbe schwer bedrückt hätte.

Erich war, wie er bereits bemerkt hatte, vom Minister ein Billet zugegangen, das er in sein Zimmer eintretend auf seinem Schreibtische fand. Der Inhalt hatte ihn noch an demselben Abende zu seinem Chef berufen, so spät es auch sein möge. Er leistete dem Rufe Folge und machte sich auf den Weg.

Es war kurz vor zwölf Uhr, als er beim Minister eintrat. Derselbe empfing ihn mit großer Freundlichkeit und mit jenem Schmunzeln, hinter dem sich bei großen Herren stets eine Ueberraschung zu verbergen pflegt.

„Ich weiß Alles,“ sagte er im Eintreten zu Erich. „Sie sehen, mein College, der Justizminister, war mit seinen Weisungen an die Criminalbehörde nicht lässig.“

„Ja, das muß ich sagen,“ bemerkte Erich. „Ich war von der Reise zurückgekommen, aus dem Eisenbahncoupé heraus zu Excellenz geeilt, um meinen Bericht zu erstatten – von hier nach Hause, um Frau und Kind zu begrüßen – “

„Frau von Rechting geht es gut?“

„Wenn eine Frau bei einem Feste ist, geht es ihr immer gut,“ bemerkte der Assessor mit scherzendem Tone.

„Frau von Rechting zürnte mir wohl, daß ich ihr ihren Mann entführte?“

„Um so glücklicher war sie, Excellenz, als ich zurückkam.“

„Man freut sich, eine so glückliche Ehe zu sehen, wie die Ihre. Bei welchem Feste war sie denn?“

„Meine Frau war bei Wandelt’s eingeladen.“

„Welch ein Zusammentreffen!“ rief der Minister.

„Und ich kam, sie von dem Gartenfeste abzuholen.“

„Noch besser!“

„Dort, Excellenz, bewunderte ich eben die Exactität, mit der unsere Vollzugsorgane arbeiten. Ich war ganz erstaunt, als ich, im Garten angekommen, schon auf einen der Criminalbeamten stieß. Seit meiner Rückkehr von der Reise waren kaum zwei Stunden vergangen.“

„Die Sache erklärt sich daraus, daß auf Ihren Chiffrebericht, den Sie mir sandten, hier Alles vorgesehen war. Sie haben dem Vaterlande, mein lieber Rechting, einen großen Dienst geleistet. Vielleicht haben Sie demselben einen Krieg erspart.“

„Die Anerkennung, Euer Excellenz, gebührt nicht mir, sondern dem Manne, der Ihnen die Anzeige gemacht und das kostbare Schriftstück in Ihre Hände zurückgegeben hat.“

„Ja, ja, Herr Warbusch! Es kam mir zu Statten, daß der Mann keine Ressorts kennt,“ sagte der Minister lachend hinzu, „und mir die Sache zur Anzeige brachte, statt dem Kriegsminister. Wer weiß, was geschehen würde, hätten unsere Nachbarn den Plan in die Hände bekommen! In dieser Beziehung war die Entdeckung von unberechenbarem Werthe. Ihr Verdienst halte ich dabei aufrecht, wenn Sie dasselbe auch schmälern wollen. Durch Ihren Scharfsinn, Ihren Eifer, durch Ihre Hingebung an die Sache haben Sie mir alle Maschen dieses Netzes von Verrath an die Hand gegeben. Ich mußte Beweise in Händen haben, um auf die Nachbarregierung eine Pression üben zu können. Quos ego! Und dieses Material haben Sie mir, lieber Rechting, durch Ihre Reise geliefert. Ich danke Ihnen. Um Ihnen aber einen Beweis zu geben, wie unzufrieden ich mit Ihnen bin, theile ich Ihnen mit, daß, nach einem Uebereinkommen mit dem Justizminister, Sie zum Staatsanwalt am hiesigen Orte ernannt worden sind.“

„Excellenz!“

„Der Fall Lideman soll Ihr erstes Debüt als Staatsanwalt sein.“

Es entstand eine Pause. Als der Minister den Schirm der Lampe in die Höhe schob, um an dem jungen Beamten den Eindruck seiner Freudenbotschaft zu beobachten, bemerkte er in den Mienen Rechting’s den Ausdruck der Bestürzung.

„Nun, lieber Rechting, Sie haben mir gar nichts darauf zu antworten?“

„Ich bin Euer Excellenz unendlich dankbar. Eine so hervorragende Stellung – es ist Alles , was ich mir nur wünschen konnte – “

„Aber?“ setzte der Minister in gedehntem Tone hinzu.

„Ich habe zu dem Verhafteten in persönlichen, geselligen Verhältnissen gestanden, und ich wünschte wohl, Eure Excellenz, daß gerade dieses Debüt mir erspart bliebe.“

„Um so mehr müssen wir darauf bestehen. Kein Anderer wäre wie Sie in der Lage, diese zum Mindesten dunkle Persönlichkeit zu beurteilen und hier werden Sie gleich eine glänzende Gelegenheit haben, Ihre Objectivität zu zeigen. Ein Vertreter des öffentlichen Rechtsbewußtseins muß an der Stelle, wo andern Menschen das Herz schlägt, das Strafgesetzbuch haben. Ich kannte aus meiner Praxis einen Staatsanwalt, der in zärtlichen Momenten zu seiner Frau sagte. ‚Ach, könnte ich Dich doch einmal anklagen!’“

Bei dieser scherzhaften Erwähnung vermochte Erich eine innere Bewegung nicht zu bemeistern. Er mußte an Doris denken, und damit verband sich gleichsam visionär eine Vorstellung wie von schmerzlichen Erfahrungen und schweren Conflicten, welche die freudige Stimmung verdüsterten, in die ihn sonst seine Beförderung versetzt haben würde.

Beim Abschied bemerkte der Minister ihm noch, daß er in den nächsten Tagen seine Functionen zu beginnen habe.




11.

Am Tage nach jener Unterredung befand sich Rechting bereits in voller Arbeit. Seine Beförderung hatte er seiner Frau erst am nächsten Tage mitgetheilt, aber zur Mitwisserin der inneren Kämpfe, mit denen er an seine Aufgabe ging, machte er sie nicht. Doris war still in sich verschlossen, nicht unfreundlich. Sie gab sich offenbare Mühe, das, was trüb und schwer in ihrem Herzen war, durch eine leichte Miene zu verhüllen. Mit dieser nahm sie auch die Nachricht auf; sie erschien froh, weil sie wußte, daß eine derartige Stellung längst in Erich’s Wünschen lag. Dann aber ward es wieder stille zwischen den Gatten. Das Wort, das den Alp von ihrem Herzen nehmen sollte, wurde nicht gesprochen. Jedes erwartete von dem Andern den Anlaß dazu. Und Jedes scheute sich, zu beginnen.

Um so eifriger ging Erich an das ihm übertragene Werk, und im Laufe der Untersuchungen kam er auf Details, die ihm die mündliche Auskunft des alten Buchhalters nothwendig erscheinen ließen. Er suchte diesen Mittags zu einer Zeit, wo er wußte, daß der Alte nicht in seinem Comptoir war, in der Wohnung auf. Vielleicht sprach bei diesem Gange auch das Bedürfniß mit, sich nach Regina umzusehen. Seit seiner Rückkehr war sie nicht mehr bei ihm erschienen, hatte auch nichts von sich hören lassen. Er klopfte an ihre Thür; diese war verschlossen, auch keine Antwort erscholl von innen. Dagegen fand er Warbusch in seinem Stübchen. Diesen forderte er auf, sämmtliche Geschäftsbücher an die Staatsanwaltschaft auszuantworten. Möglicher Weise fänden sich in denselben Aufschlüsse über die Summen, die Lideman für seine Dienste von der Nachbarregierung bezogen hatte.

„Ich werde die Bücher des Bankvereins amtlich requiriren lassen, wie sich das von selbst versteht, Herr Warbusch. Der Zweck meines Kommens ist das Ersuchen, daß Sie Alles bereit halten möchten, damit die Sache selbst keine Zögerung erleidet.“

Wenn Warbusch mit seinen Händen auf den Knieen rieb, so war das ein Zeichen der Verlegenheit. Er that es auch jetzt und wiederholte mit gedehntem Tone:

„Amtlich, Herr von Rechting?“

„Sie werden diesen Abend im amtlichen Anzeiger meine Ernennung zum Staatsanwalt finden.“

Warbusch machte eine Miene der Ueberraschung. Es war derselben noch der Ausdruck einer andern Regung beigemischt, sodaß sich Rechting veranlaßt fand, nach der Ursache dieser auffallenden Erscheinung zu fragen. Warbusch machte Ausflüchte. Die Ursache seiner Ueberraschung sei die Freude darüber gewesen, daß hier einem Manne wieder einmal dasjenige würde, was ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_171.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)