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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Mac Mahon mit dem Prinzen Aumale immer gute Cameradschaft gehalten hatte; die Imperialisten sahen in Mac Mahon nur den Herzog von Magenta, den glorreichen Helden des Kaiserreiches, dem Napoleon den Marschallsstab und den Herzogshut verlieh, und so hofften und forderten sie jeder ihren Theil: die Kirche, daß am Elysée das Kreuz – die Legitimisten, daß die weiße Fahne Heinrich’s des Vierten – die Imperialisten, daß die kaiserlichen Adler aufgepflanzt würden, als aber die Tricolore fürder darauf flaggte und Mac Mahon am 16. Mai nicht Alarm schlagen und das Abgeordnetenhaus nicht sprengen ließ, haben sie ihn Alle zusammen verleugnet, verdammt, in Acht erklärt und, wie die Bonapartisten von der Tribüne herab durch ihren Bravo, Herrn Paul de Cassagnac, beschimpft.

Nicht durch das, was er that, sondern durch das, was er nicht that als Präsident der Republik, ist ihm ein Ehrenplatz in der Geschichte Frankreichs gesichert. Daß er den frivolen Lockungen der Bonapartisten nicht folgte, die Kammer nicht sprengte und nicht an die Armee appellirte, und daß er, ohne auf seinen Schein zu bestehen und die ihm noch gewährleistete Amtsdauer abzuwarten, freiwillig jetzt auf die Gewalt resignirte, das ehrt ihn wie kaum sonst etwas. Ob Mac Mahon so und nicht anders aus Ueberzeugung handelte, oder weil ihm im Augenblicke der Entscheidung die Weihe der Offenbarung ausblieb – wer will es entscheiden? Kamen ihm doch sonst im entscheidenden Augenblicke stets die „Erscheinungen“ zu Hülfe. In der Nacht vom 7. auf den 8. September 1855 erschien ihm im Traume ein Engel mit dem kaiserlichen Adler, und Tags darauf pflanzte er eigenhändig Frankreichs Fahne auf den Malakoff-Thurm; als der Kampf auf dem Schlachtfelde von Magenta hin und her schwankte, sich endlich zu Gunsten der Oesterreicher zu wenden und selbst Napoleon’s Gefangennahme unvermeidlich scheint, da tritt plötzlich Mac Mahon, der bei Turbigo das linke Ufer des Ticino inne hatte und weder den Donner der Kanonen von Magenta hören, noch eine Nachricht erhalten konnte, unerwartet als Retter Frankreichs auf: „le général par intuition divine – les nuages passant au-dessus sa tête lui apportent la nouvelle du danger, qui menace la France“ (der General durch göttliche Eingebung – die über seinem Haupte hinziehenden Wolken bringen ihm die Nachricht von der Gefahr, welche Frankreich bedroht) heißt es im officiellen französischen Generalstabsberichte. „Der General wußte nicht, wohin er marschirte, und traf auf dem Schlachtfelde von Magenta ein,“ lautet die beste deutsche Uebersetzung, und sie ist von Niemand Geringerem als von – Moltke. Mac Mahon hat als Präsident der Republik keine „Erscheinungen“ mehr gehabt, wie es scheint.

Aber Beide, Mac Mahon und Thiers, gehörten, wie gesagt, schon lange der Geschichte an, bevor sie die Regierung antraten. Der Eine brachte den Ruhm des nationalen Historikers, der wie kein Zweiter den Chauvinismus der Franzosen unter wissenschaftlicher Maske groß gezogen hatte, die langjährige Thätigkeit des Staatsmannes, der stets unter der Toga mit dem Säbel rasselte, und den zuletzt noch die Aureole des Patrioten umstrahlte, der Andere den lorbeerbekränzten Degen mit. Grevy bringt nur leichtes Gepäck in’s Elysée, nur den Talar des Advocaten.

Im Hause Nr. 8 in der Straße St. Arnaud bewohnte bisher Grevy, der verheirathet und Vater einer anmuthig aufblühenden Tochter ist, das dritte Stock; nur der nicht allzu geräumige Salon und das anstoßende Arbeitscabinet dienten zum Empfang der Gäste. Dieses zweifenstrige Arbeitszimmer war von oben bis unten, in allen Enden und Ecken mit Schriften, Büchern, Broschüren gefüllt; auf dem Sopha, auf den Stühlen wieder Schriften und abermals Schriften, und verlegen sah der Gast oft um einen freien Platz aus, wenn ihn der Hausherr zum Sitzen einlud. Auf dem Kamin befanden sich die Büsten von Lafayette und Rousseau, zwischen beiden hatte ein kostbares alterthümliches Schachspiel aus Elfenbein seinen Platz, und in der Ecke stand der große Schreibtisch, von einer mächtigen Bergkette von Schriften flankirt, vor ihm der Hausherr: ein kräftiger, stämmiger Mann, von mehr als mittlerer Größe, mit breiten Schultern und großen starkknochigen Händen; auf dem muskulösen Halse sitzt der mächtige Kopf; ein etwa drei Finger breiter strammer grauer Bart läuft von einem Ohr zum andern und begrenzt das Gesicht, ohne es zu verhüllen; die energisch geschlossenen vollen Lippen, das fleischige Kinn sind frei, wie die gesund gefärbten Wangen. Die Nase ist groß und fleischig, die hohe glatte Stirn erscheint um so größer, als die schlichten hinter den Ohren getheilten Haare auf dem Vorderhaupte bereits spärlich geworden sind; aus den großen Augen dringt ein ruhig prüfender Blick, der aber oft energisch dem Worte und der Glocke zu Hülfe kam, wenn der Präsident der Nationalversammlung, in der es oft tumultuarischer und wüster herging, als bei den Socialdemokraten, Ruhe gebot und Ordnung forderte.

Grevy’s Erscheinung ist nicht, was man gemeinhin interessant nennt, aber sie strömt Ruhe aus und flößt Vertrauen ein; sie ist das beste Bild jener Republik, von der er schon in den Februartagen 1848 als Commissar im Jura sagte: „Ich bringe Euch jene Republik, die nicht erschrecken, sondern beruhigen soll.“

Grevy ist ein gründlicher, starker, aber nicht schneller Arbeiter, ein dauerhafter Fußgänger, ein unermüdlicher passionirter Jäger und ein hochgeschätzter Schachspieler. Er ist kein Gourmand, aber ein starker Esser; er trinkt meist nur leichten Landwein, spricht aber auch im Kreise edler Waidmänner ganz tüchtig der Flasche zu.

François Paul Jules Grevy wurde 1813 in Mont-sous-Vaudrey im Departement Jura als Sohn eines Landwirthes drei Tage nach der Kriegserklärung Oesterreichs an Frankreich geboren. Er studirte die Rechte in Paris; ein siebenzehnjähriger Bursch, betheiligte er sich werkthätig an der Julirevolution und war unter den Vordersten, die eine kleine Caserne erstürmten, in welcher sich noch einige Schweizergarden verbarricadirt hielten, während die übrigen Truppen bereits mit dem Volke fraternisirten. Es ist das erste und auch wohl das letzte Mal, daß Grevy mit den Waffen in der Hand für die Freiheit kämpfte, aber daß dem noch unbärtigen, kaum dem Knabenalter entwachsenen Jüngling nicht etwa die rasche Wallung jugendlichen Ungestüms, die mitreißende Gewalt des allgemeinen Beispiels und die jugendliche Kampfeslust die Muskete in die Hand drückte, das zeigte sich bald. Nicht für Louis Philipp, für die Freiheit hatte er gestürmt, und der birnköpfige Parapluiekönig galt ihm just soviel, wie der fromme Karl der Zehnte.

Kaum Advocat geworden, tritt er für die Blanqui, Barbès und Martin Bernard ein; er gehört zur republikanischen Opposition des Bürgerkönigthums, ohne von sich viel reden zu machen, und sein Name klingt nicht außerhalb der Partei. Als aber die Februar-Revolution ausbricht, sendet ihn die provisorische Regierung als Regierungscommissär in sein Departement, wo er, der flotte Jäger, mit den Gutsherren und Bauern von je auf bestem Fuße steht; seine Mäßigung und Unparteilichkeit heben ihn auf den Schild aller Parteien; 65,150 Stimmen führen ihn in die Constituirende Versammlung; noch 7218 Stimmen mehr vereinigen sich für seinen Sitz in der Gesetzgebenden. Hier hält er sich ebenso fern dem „Montagne“, das heißt den Socialisten, wie den mit den Royalisten vereinigten republikanischen Parteigängern und tritt in entschiedenster Opposition gegen die Politik des Elysée auf. Da kommt der zweite December, und um Grevy strahlt der Glorienschein des Propheten; zu spät erkennen Thiers und Consorten, daß sie durch die Niederstimmung des Amendement Grevy dem Kaiserreiche die Thore geöffnet haben. Auch Grevy kommt nach Mazas. Nach einiger Zeit wieder in Freiheit gesetzt, zieht er sich ganz vom politischen Leben zurück, meidet auch in seinem Berufe als Advocat, dem er sich fast ausschließlich widmet, die politischen Processe und begnügt sich mit dem Brode und den dazu gehörigen Trüffeln und Fasanen eines Sachwalters der höheren Finance und der großen Actienunternehmungen.

Man wolle nicht vergessen, daß in Frankreich der blutige Schwamm der großen Revolution die socialen Schattirungen stark durcheinander gewischt hat; man wolle nicht vergessen, daß dort Jedermann aristokratische Passionen pflegt, wenn es seine Mittel erlauben, und daß dort Reichthum den Demokraten nicht schändet; der alte Raspail hinterließ zweimal so viel Millionen, als sein Name Buchstaben hat, Monnier, der wilde Republikaner, der vielmillionenreiche, ist Chocoladefabrikant, und Gambetta legte trotz immer wiederholten und heftigsten Andrängens der Gegner bis heute noch keine Rechnung über die Millionen ab, die unter seiner Dictatur verschwanden.

Erst sechszehn Jahre später betrat Grevy wieder die politische Bühne. Ein Abgeordnetensitz war in seinem Departement erledigt. Die republikanische Partei bestimmte ihn zu candidiren, und sein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_163.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)