Seite:Die Gartenlaube (1879) 121.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ist man geneigt für ein Haus zu halten. Vom Kamm einer Bodenwelle aus verfolgt man links den Lauf eines Baches, der Engelmannsbeke, oder wie sie weiter abwärts heißt, der Aue. Tief in den Sand einschneidend, fließt der Bach bald zwischen steil abfallenden Ufern, bald in

Die „Braut“ bei Visbek.

einem schmalen Wiesenthale, und wo die Wiesen auch nur ein wenig sich verbreitern, hat der Mensch auf der Höhe sich angesiedelt, ein Haus gebaut und mit Föhren und Birken, auch wohl, wenn die Ansiedelung nicht ganz jung mehr ist, mit einigen Eichen und Obstbäumen umpflanzt. Rechts nach Norden hin gewinnt man einen Blick auf jene Colonisten, die sich längs der Chaussee muthigen Sinnes ein Heim gegründet, auf das Dorf Ahlhorn, das in dieser Ferne sich weniger durch seine versteckt liegenden Häuser als durch seine stattlichen Eichen als ein altes Sachsendorf ausweist.

Um uns herrscht tiefe Einsamkeit, aber die Einsamkeit ist nicht todt. Rothblühendes Haidekraut bedeckt in dichter Fülle den Boden. Eine einzige Art ist es, calluna vulgaris, die eine fast ausschließliche Alleinherrschaft

Der „Bräutigam“.

ausübt. Nur in den Vertiefungen, in denen das Wasser sich erhalten oder doch dem Boden dauernde Feuchtigkeit verliehen hat, machen die Glockenhaide (erica tetralix), das Fingerkraut und der reizende und neuerdings so viel beachtete Sonnenthau nebst allerlei Gräsern und Moosen ihr den Raum erfolgreich streitig. Um die Blüthen flattern tausend und aber tausend zierliche blaue Schmetterlinge, Argus genannt, und die Bienen suchen hier den letzten Honig, den das Jahr ihnen bietet, ehe sie ihre Winterquartiere beziehen. Kleine graue und grüne Grashüpfer springen in kurzen Sätzen um unsere Füße, und manchmal schwirrt oder richtiger schnarrt eine größere Heuschrecke mit leuchtend rothen Hinterflügeln aus dem Kraut in die Luft, um zehn Schritte weiter wieder hinabzufallen. Auf der Erde kriechen Spinnen und Käfer,

Der „Heidenopfertisch“.

und mitunter huscht eine schlanke Eidechse durch die Haidebüschchen. Einen Vogel sieht und hört man nicht, es sei denn, daß eine Lerche von den Feldern des Dorfes her in fahrendem Sängerthum sich bis über die Haide verirrt oder ein Krähenpaar in hohem Fluge weit über unsere Häupter weg von einem Walde zum andern zieht. Kurz, ein reiches Thier- und Pflanzenleben, aber ein Kleinleben. Doch vergesse ich der Schafheerden nicht, der Heerden von Haidschnucken, die im nordwestlichen Deutschland ja fast mit Nothwendigkeit der Haide zur Staffage dienen. Nicht allzu häufig – denn der Bauer hier scheint seine Haide zu schonen – aber doch ein- oder zweimal treffen wir sie. Die kleinen weiß-, meist aber schwarzwolligen Thierchen knuspern mit Behagen das dürre Kraut und schieben sich in gedrängten Haufen langsam auf der Fläche hin. Der Schäfer folgt, emsig an einem Strumpfe strickend, eingehüllt in einen weißwollenen Mantel, der ihn nicht nur gegen Regen und Wind, sondern auch gegen die Sonne schützt. Natürlich fehlt auch der Hund nicht, ein schwarz- und weißgescheckter Spitz, der gegen jeden Fremden einen wahren Ingrimm hegt und kaum einen Steinwurf so übel nimmt, wie wenn man sein unaufhörliches Bellen durch Schmeichelworte zu beschwichtigen sucht.

Das Gehen durch die Haide ist mühsam. Oft stolpert der Fuß über dicke Haidebüschel, und der hochbeinige Hahnentritt, zu dem man sich zeitweilig entschließt, läßt sich nicht lange festhalten. Die Schuhsohlen werden so glatt, als wären sie polirt, sodaß der Tritt seine Sicherheit verliert. Doch lassen wir uns den Gang nicht verdrießen! Die eigenthümlichen Eindrücke unserer Umgebung wiegen die Mühen auf, und zur wirklichen Ermüdung läßt uns die Kürze des Weges nicht gelangen. Schon nach vierzig Minuten erreichen wir zwei aufgedeckte Grabkeller. Sie können, ja sie werden ähnlich so ausgesehen haben, wie unser größtes Bild den einen darstellt. Jetzt sehen wir, halb aus der Erde ragend, drei aus großen neben einander gestellten und mit der flachsten Seite nach innen gekehrten Granitblöcken zusammengesetzte Mauern, welche einen hohlen Raum einschließen und nur nach der einen westlichen Seite offen lassen. Oben auf den Mauern liegt ein flacher Deckstein, groß genug, um mehr als einem Dutzend Menschen Platz zum Stehen zu bieten. Die umherliegende Erde und die Gestalt des festen Bodens ergeben, daß die Kammer mit Erde bedeckt gewesen und das Ganze ein Todtenhügel ist. Erde hat ohne Zweifel auch den inneren Raum erfüllt. Von Erde bedeckt findet man in den Kellern oder Kammern dieser Todtenhügel gewöhnlich Urnen, mitunter nur eine, gewöhnlich mehrere, ja bis zu zwanzig und darüber. Aus Thon geformt, enthalten sie neben der eingedrungenen Erde Aschentheile und steinerne oder bronzene, selten aus anderen Metallen gefertigte Geräthe. Oefter noch liegen die Geräthe neben den Urnen. Die Beschaffenheit der Asche läßt keinen Zweifel übrig, daß dieselbe von Leichenverbrennungen herstammt. Skelete hat man fast nie gefunden; der Schädel in unserem Bilde ist decorative Zugabe des Zeichners. Die Geräthe sind ihrer Bestimmung nach noch zu einem großen Theile unbekannt, ihre Form mannigfach, und die Kunst, welche bei ihrer Anfertigung angewandt ist, steht auf sehr verschiedenen Stufen. Neben den rohesten Erzeugnissen einer ungeschulten Industrie werden dann und wann unverkennbar römische Arbeiten, und keineswegs immer der schlechtesten Art, gefunden. Grabkeller sind auch, soweit man hat feststellen können, die Steingewölbe, welche man in den großen Steinumzäunungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_121.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)