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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Der Landvogt von zehn Tagen.
Charakterbild aus den Tagen der dänischen Fremdherrschaft.
(Schluß.)



II.


Von befreundeter Seite war Lornsen vor seiner Verhaftung gewarnt worden, daß Böses gegen ihn im Werke sei. An Fahrzeugen zu einer Flucht hätte es ihm in der Heimath nicht gefehlt. So etwas aber lag seiner furchtlosen, jeglicher Gewaltsamkeit abholden Natur vollständig fern. Seine damalige Umgebung versicherte später, daß er dem schnell hereingebrochen Verhängniß gegenüber nicht einen Augenblick seinen heiteren Gleichmuth verlor. Kurz und bestimmt forderte er von den beklommenen Beamten nur einen Aufschub der Reise bis zum nächsten Tage, und die ganze Nacht verbrachte er wachend, in lebendigster Unterhaltung mit den Freunden, denen er mehr als einmal sagte: „Meine Sache ist klar wie die Sonne.“ Als er am anderen Morgen durch munteres Abschiednehmen die Verwandten getröstet hatte und eine große Schaar betrübter Sylter ihn an den Strand geleitete, sprach er dort einen Bekannten mit den Worten an: „Na, Thomsen, so kurz habt Ihr doch noch keinen Landvogt gehabt.“ In dieser Stimmung reiste er seinem dunklen Geschick entgegen; auf Umwegen brachte man ihn in die Festung Rendsburg.

Unterdeß hatte sein ausgesandtes Manifest wie ein Posaunenstoß auf den gesunden Körper der Bevölkerung gewirkt, und in allen Theilen des Landes gab es sehr Viele, die bereits mit Gefühlen des Stolzes und der erwachenden Hoffnung auf den hervorragenden Landsmann blickten, der sie mit einem Male über die Grundursachen ihrer jahrelang nur dunkel empfundenen Noth so unwidersprechlich belehrt und ihnen so handgreiflich den Weg zur Rettung gewiesen hatte. Wo absolute Machthaber ihre Gewalt gegen den Willen des Volkes behaupten wollen, da ist ihre blinde und trotzige Leidenschaft noch immer die beste Helferin der Volkssache gewesen. So gewann auch die schleswig-holsteinische Bewegung erst ihre rechte Zug- und Schwungkraft, als sie in einem Lornsen ihren ersten Märtyrer erhielt. In demselben Augenblicke, wo man unter dem frischen Eindrucke seines Wortes sich gestehen mußte, daß er nur die Wahrheit gesagt, verbreitete sich auch schon die Kunde, daß die Regierung deshalb feindselig sich an seiner Person vergriffen habe und der Mann bereits ein Opfer seiner Wahrheitsliebe und seines Eifers für das Land geworden sei.

Aus der innigen Theilnahme, von welcher selbst bisher Fernstehende ergriffen wurden, erzeugten sich starke Regungen einer Erbitterung, die nicht wenig zur Beschleunigung des Scheidungsprocesses zwischen beiden Nationalitäten beitrugen. Und wie sehr mußte die Erbitterung sich steigern, als man hörte, daß die Untersuchungshaft des Patrioten mit gänzlich unnöthiger und durchaus ungerechtfertigter Strenge gehandhabt wurde! Den ganzen Winter hindurch sperrte man den so gewaltig organisirten Mann einsam in eine winzige Zelle und schnitt ihm so viel wie möglich die seiner leidenden Gesundheit so unentbehrliche Bewegung im Freien ab. Der Anklage, welche auf gesetzwidrige und den öffentlichen Frieden störende Umtriebe lautete, setzte Lornsen die ruhige und feste Offenheit seiner Ueberzeugung entgegen. Er leugnete keinen Punkt, bestritt aber in jedem Punkte das Ungesetzliche seiner Handlungsweise. Zu dieser Ansicht gelangten auch die beiden Untersuchungsrichter. In dem Gutachten, welche sie dem schleswig’schen Obergericht bei Einsendung der Acten erstatten mußten, sprachen beide die Ueberzeugung aus, daß weder in der gedruckten Schrift, noch in der darauf bezüglichen Thätigkeit etwas Gesetzwidriges sich finden lasse. Während aber der holsteinische Richter hiernach die vollständige Freisprechung Lornsen’s verlangte, kam sein schleswig’scher College zu einem entgegengesetzten Resultat. In einer langathmigen Auseinandersetzung drehte er sehr künstlich die Unterscheidung zurecht, daß eine Handlung nicht verbrecherisch zu sein brauche, um doch sehr unpatriotisch, sehr gefährlich und strafbar zu sein. Dieser Meinung schloß sich nach längeren Verhandlungen auch die Mehrheit des entscheidenden Gerichtshofes an. Nach mehr als siebenmonatlicher Untersuchungshaft wurde dem Schwergepeinigten am 1. Juni 1831 der vom Könige bestätigte Spruch eröffnet, daß er seines Amtes entsetzt und zu einjähriger Festungshaft nebst Tragung der Kosten verurtheilt sei. Diesen Ausgang, namentlich die Sperrung seiner Laufbahn, hatte er nach der unbefangen von ihm erwogenen Lage der Angelegenheit nicht für möglich gehalten, ebenso wenig wie die Mehrzahl seiner Landsleute, welche dem Verlaufe des Processes mit wachsender Spannung gefolgt waren, da ja der ganze Thatbestand des angeblichen Verbrechens ein offenkundiger und Jedermann bekannter war. Nicht Wenige empfanden das Urtheil wie einen Schlag in das Angesicht des schleswig-holsteinischen Volkes, und schon damalige Rechtskundige politisch neutraler Art bezeichneten dieses Straferkenntniß ohne nachweisbare Verschuldung als eine „juristische Ungeheuerlichkeit“, einen nur von Liebedienerei oder politischer Leidenschaft dictirten Gewaltstreich.

Wüßten wir nicht, daß Lornsen während des nun folgenden Jahres Schweres erdulden mußte, aus seinen schriftlichen Aeußerungen in jener Zeit würde sich nichts davon ersehen lassen. In der That nahm er den grausamen Riß durch sein Leben mit der ruhigen Selbstbeherrschung des Mannes hin, und wenn ihn eine Sorge quälte, so war es nur die, es möchte die Theilnahme seiner Freunde sich für ihn verwenden und so eine Milderung des Urtheils durch königliche Gnade herbeigeführt werden. Würde ihm auch noch dieser „Tort einer Heimsuchung mit der Gnade“ angethan, so war er entschlossen, sich „derb“ dagegen auszulassen und ausdrücklich zu erklären, er werde auch ferner für die Herbeiführung einer schleswig-holsteinischen Repräsentativverfassung mit allen seinen Kräften zu wirken suchen. „Es wäre doch abscheulich,“ so drückte er in einem Briefe sich aus, „wenn man, nachdem mir das Wesentliche geraubt ist, durch Schenkung des Unwesentlichen sich den Schein des Wohlwollens gäbe, und ferner würde man mir mein künftiges Auftreten erschweren. Denn ein großer Theil meiner Landsleute würde es mir übel nehmen, wenn ich künftig wiederum gegen die Regierung aufträte, nachdem ich mir einen Theil der Strafe allergnädigst hätte schenken lassen.“

Sonst erscheint in ihm alle Beschäftigung mit seiner unerquicklichen Lage, aller Zorn und Gram über das eigene körperliche und seelische Leiden vollständig überwunden und zurückgedrängt durch den mit aller Hingebung ausgeführten Vorsatz ernster Geistesarbeit, durch die begeisterungsvolle, von sittlichem Willen bestimmte Richtung auf das eine Ziel, sich durch historisch-politische Studien und durch gründlich-scharfe Beobachtung der Zeitentwickelung für eine großartige öffentliche Wirksamkeit im Vaterlande auszurüsten, der er nun erst recht sein Dasein widmen wollte. Der unermüdliche Feuereifer, mit welchem er dieser Aufgabe oblag, prägte sich namentlich in der sehr großen Zahl umfangreicher Briefe aus, die er im Gefängnisse an die Parteigenossen schrieb und in denen er sehr wenig von sich selber und fast ausschließlich von den allgemeinen Fragen sprach. „In einer Sprache, aus der man nicht selten das Brausen des Nordmeeres zu hören glaubt,“ sagt sein vortrefflicher Biograph Jansen, „äußert sich in diesen Briefen ein ganzer Mann von Entschlossenheit und Gradheit, von männlichem Selbstbewußtsein und wahrhafter Bescheidenheit, von tiefem Ernste und selbstlosem Eifer für Freiheit und Vaterland!“

Deutschland, seine Gegenwart und Zukunft war und blieb in den einsamen Tagen und Nächten der Mittelpunkt seiner Gedanken. Spiegelte sich doch in seiner eigenen Mißhandlung das damals hereinbrechende Verhängniß, die erneuerte Vereinigung der Gewalthaber wider das Freiheitsringen der Völker. Nur von der entschieden revolutionär gesinnten jüngeren Generation, die „ihre Blicke auf das Ganze gerichtet halte“, hoffte er eine Besiegung der Cabinete und des alten Lakaien- und Spießbürgerthums. In tiefster Seele theilte er die zornige Erbitterung aller gleichgesinnten Zeitgenossen wider die reactionäre Politik der damaligen preußischen Regierung. Aber als außerordentlich merkwürdig und im höchsten Grade bezeichnend für ihn muß es hervorgehoben werden, daß er nicht blind genug war, die Erkenntniß abzuweisen, es werde dieser mächtigste deutsche Staat sich früher oder später seines geschichtlichen Berufes für Deutschland erinnern müssen. Diesen Proceß wünschte er beschleunigt zu sehen und schlug für beabsichtigte Volksversammlungen wie das Hambacher Fest – man denke, es war dies vor nun beinahe fünfzig Jahren! –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_099.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)