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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


auf den jugendlichen Nordländer. Da er in demselben Jahre 1818 bereits neben den hervorragendsten Mitgliedern als Vorsteher der Burschenschaft verzeichnet ist, muß er wohl durch Begabung, Charakter, Beredsamkeit und rege Betheiligung hier schnell einen ungewöhnlichen Einfluß erlangt haben. Mit Heinrich von Gagern stand er in naher Freundschaftsverbindung, Und Robert Wesselhöft urtheilte über ihn, daß er ein ausgezeichneter Freiheits- und Vaterlandsfreund und von ihm einst Bedeutendes zu erwarten sei. Auch läßt sich annehmen, daß solche Umgebungen und innige Beziehungen nicht ohne Einfluß auf das Wachsen seines inneren Menschen und auf den Ernst seiner Studien geblieben sind. Als ein Jünger der Lehre vom neuen deutschen Reiche kehrte er im Frühling 1819 von Jena zu seiner deutsch-dänischen Heimathsinsel zurück, um sich daselbst auf sein juristisches Examen vorzubereiten, das er 1820 „mit Auszeichnung“ bestand, worauf er sehr kurze Zeit in einer kleinen holsteinischen Stadt als Advocat lebte. In seiner Tracht, seinen Sitten, der ganzen Weise seines Auftretens und Disputirens hatte sich bis dahin noch viel Auffälliges, Anstößiges und Burschikos-Excentrisches gezeigt, als Merkmal innerer Gährungen. Dies legte und läuterte sich jedoch, und sein Wesen fand sich mehr in den herkömmlichen Lebensformen zurecht, als er die Laufbahn eines Verwaltungsbeamten wählte. Bald darauf erhielt er von Kopenhagen die Genehmigung, dort als Volontair in die schleswig-holsteinische Kanzlei zu treten. Als er zur Abreise am Strande erschien, war das Paketboot, das ihn mitnehmen sollte, schon sammt seinen Habseligkeiten davon gefahren. Rathlos stand er da; im Hafen lag nur ein einziger Ewer, eines jener Fahrzeuge, welche kleine Ueberfahrten und den Transport zu den Schiffen vermitteln.

„Du mußt mich nach Kopenhagen fahren,“ rief er schnell entschlossen den Führer an.

Dieser lachte über die ungeheuerliche Zumuthung, mit dem kleinen und offenen Ding die gefährliche Meerfahrt zu wagen. Lornsen aber, selbst noch ein gutes Stück von einem Seemann, ließ nicht nach und brachte den Mann herum. Noch vor dem Paketboot langten sie an der Zollbude an.

So war denn der deutsche Burschenschafter mitten in das Getriebe der fremden Haupt- und Hofstadt versetzt. Ohne alle Familienverbindungen und Gönnerschaften, ja selbst ohne das, was man in den höheren Kreisen liebenswürdig nennt, hatte er sein allmähliches Fortkommen auf dem erwählten Berufswege allein seiner Tüchtigkeit zu danken. Von der Stellung eines Comptoirchefs und Kanzleisecretärs, zu der er im Jahre 1826 aufgerückt, hatte er es von da bis 1830 zu dem bedeutendem Posten eines Kanzleiraths der schleswig-holsteinischen Oberbehörde gebracht. Der Ernst, mit welchem er weit über das gewöhnliche Maß seinen Amtspflichten oblag, kam ihm schon aus den Gegenständen seines täglichen Geschäftskreises. Mit Nachdruck wiesen sie ihn auf die düsteren Verhältnisse seiner Heimath hin, die ohnedies fortwährend seinen Geist beschäftigten und seine Ruhe trübten. Das Gefühl des Unbehagens, die Beängstigungen wegen der Zukunft des Landes waren in Schleswig-Holstein nicht beschwichtigt, sondern von Jahr zu Jahr gestiegen. Für ihre Hoffnungen auf Rettung aber hatten inzwischen auch dort die Gemüther nach dem Vorgange anderer Länder einen Gedanken ergriffen, in dessen Verwirklichung sie die Erfüllung aller ihrer Wünsche sahen. Der Gedanke hieß Constitution, Verfassung, freilich zunächst nur ein Wort, mit welchem kaum ein Begriff verbunden wurde, aber dennoch ein Ausdruck richtigen Zeitinstincts, der eigentliche Schlachtruf der Epoche, das Triebrad einer mächtigen Weltbewegung. Gestützt auf ihrem Freibrief von 1460, der ihnen, Dänemark gegenüber, Zusammengehörigkeit, Selbstregierung und Steuerbewilligungsrecht für alle Zeiten gesichert hatte, waren die alten Stände und Prälaten der beiden Herzogtümer nicht müde geworden, für die unter der Last unwillkürlich aufgebürdeter Abgaben fast erliegenden Gebiete die Wiederherstellung des alten Landesrechts von der Regierung zu fordern. Diese zeigte sich auch einer Vereinbarung nicht abgeneigt, hielt aber die Angelegenheit in der Schwebe, ohne den Nothzuständen und aller sonstigen Vergewaltigung des deutschen Elements Abhülfe zu verschaffen. Durch den Eintritt Holsteins in den deutschen Bund wurde der Weg nach Frankfurt offen und endlich auch von der Ritterschaft betreten. Der selige deutsche Bundestag aber ermahnte die „Reclamanten“ zum Vertrauen auf die Versprechungen des dänischen Königs. So war auch hier dem offenbaren Volksrecht, der bestehenden Gewalt gegenüber, jede Handhabe genommen, und in den Bureaus der Kopenhagener Regierung wurde nunmehr diese Verfassungsfrage zu den Acten gelegt.

In der schleswig-holsteinischen Bevölkerung aber konnte der einmal im Keimen begriffene Gedanke nicht wieder erstickt werden, und auch die jungen deutschen Regierungsbeamten in der dänischen Hauptstadt hörten nicht auf, ihn zu besprechen und in ihren Herzen zu bewegen. Fleißig hielten sie zu diesem Zwecke Zusammenkünfte, deren bewegende Seele kein Anderer als Uwe Jens Lornsen war. Mit seiner gewohnten Schärfe verscheuchte er hier zunächst alle nebelhaften Vorstellungen, sowie alle unklaren und abgelebten feudalen Begriffe in Betreff der Fragen, um welche es bei einer Verfassung des neunzehnten Jahrhunderts sich handelte. Vor Allem kam man darin überein, daß wider die dänischen Trennungsabsichten unerschütterlich an der Zusammengehörigkeit und Untrennbarkeit der beiden Herzogthümer festgehalten werden müsse. An eine Loslösung vom dänischen Staate aber dachte damals noch Niemand; als höchstes und kühnstes Ziel aller Forderungen hatte Lornsen vielmehr nur den Vorschlag einer sogenannten Personalunion in die Debatte geworfen. Auf sein Andringen und seinen Betrieb aber wurden alle diese Punkte von den Freunden nicht wie ein äußerliches Programm und Glaubensbekenntniß aufgestellt, sondern in umfassenden und gewissenhaften Erörterungen bis in das Speciellste durchgearbeitet. In solcher gründlichen Gedankenarbeit, die ihre Ausstrahlung jedenfalls auch in die Heimath hinübersandte, offenbarte sich vor Allem der gewaltige Einfluß Lornsen’s auf diesen Kreis gebildeter Landsleute, die bald in liebevoller Bewunderung zu ihm aufblickten. Wie die dumpfe Unzufriedenheit der Schleswig-Holsteiner in seiner Person zu vollständig klarem und sicherem Bewußtsein sich durchgerungen hatte, so war dieser Volksbewegung in ihm auch der bisher ihr mangelnde Führer erwachsen, der die Geister zu rufen und im rechten Augenblicke das rechte Wort zu sprechen wußte.

Inzwischen hatten öfter wiederkehrende Krankheitsleiden, die immer mit starken Anwandlungen einer eigenthümlichen Schwermuth verbunden waren, vielfach sein amtliches Wirken gestört. Er sehnte sich nach einer ruhigeren und zugleich selbstständigeren Stellung, die ihm auch mehr Muße zu schriftstellerischer Thätigkeit ließ, für welche er einen besonderen Beruf in sich fühlte. Auf seinen Wunsch wurde ihm der Posten eines Landvogts von Sylt verliehen, wodurch ihm die lange ersehnte Rückkehr in die Heimath und zu den Seinen ermöglicht ward. Dies geschah im Jahre 1830, dem Jahre der Julirevolution und ihrer welterschütternden Wirkungen.

Von einer solchen Bewegung des Welt- und Zeitgeistes mit dem er eine so starke Fühlung hatte, mußte ein Charakter wie Lornsen bis in das Innerste durchschauert werden. Mit Recht sah er die Freiheitsbestrebungen der Zeit um ein halbes Jahrhundert ihrem Ziele näher gerückt, und im Bewußtsein seiner Befähigung und seiner Willenskraft meinte er, „daß es die Pflicht jedes streitbaren Mannes sei, in diesem thatenvollen Moment sich wohlgerüstet finden zu lassen“. Alsbald nach seiner Ankunft in Kiel setzte er sich mit den hervorragendsten Vertretern der Intelligenz in’s Vernehmen.

Theodor Olshausen, der ihn damals zum erstem Male sah, schrieb noch vierzig Jahre später (1869) über den Eindruck der Persönlichkeit Lornsen’s. „Ich habe niemals einen Mann gesehen, der eine so anziehende Wirkung auf mich ausgeübt. Und dieser Eindruck ist mir bis zum heutigen Tage geblieben … sein Edelmuth, seine begeisterte Freiheitsliebe, seine selbstvergessende Hingebung übertreffen in meinen Augen noch immer Alles, was ich bei Anderen gesehen.“

Einem so gearteten Menschen, der überdies ein angesehener Beamter war, konnte die entsprechende Wirkung nicht fehlen, als er einem engen Kreise von Gleichgesinnten seine Absicht zu erkennen gab, in den Herzogtümern eine kräftige Agitation hervorzurufen für eine Verfassung und für die Rückführung der Verbindung mit Dänemark auf eine bloße Personalunion. Der Gedanke zündete bei allen Kieler Notabilitäten derselben Richtung, und als nächstes Mittel wurden Massenpetitionen an den König aus allen Bezirken und Städten bezeichnet. Zu kräftigem Betriebe der Sache unternahm Lornsen sofort eine Rundreise, um vertrauenswürdige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_079.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)