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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Freunde und – das Weib? – Du hast nicht mehr den Muth ‚Ja!’ zu sagen?“

Ich schwieg.

Pater Gregor ging ein paar Mal auf und ab, dann stellte er sich dicht vor mich und fragte:

„Bist Du ehrgeizig?“

„Ich weiß es nicht.“

„Prüfe Dich: wenn Du wüßtest, daß Du einmal Prior würdest, ein Mann von Würde und Macht, der viele Fäden in seiner Hand hält und Großes zum Gedeihen der Menschen und der Kirche damit schaffen kann, würde das Kloster Dich dann mehr befriedigen?“

„Aber mein Herz, mein Herz!“ rief ich.

„Dein Herz? Du darfst ja alle Menschen lieben. Sind alle Menschen nicht genug für Dein Herz?“

„Pater Gregor, was bekomme ich von ihnen?“

„Ah, Du verlangst Erwiderung. Wenn Dir ein Kranker, dem Du Hülfe geleistet und Trost zugesprochen, die Hand küßt und Dich segnet, so ist Dir das nicht genug? Du willst, daß er Dich mehr liebe, als alle Anderen, daß er sich in Dir vergesse, wie Du Dich in ihm vergaßest? Du denkst, draußen in der Welt liebt man die Menschen nicht umsonst. Du denkst, dort findet jedes Gefühl eine Erwiderung, jeder Liebesbeweis eine Anerkennung. Pater Josias, Du hast noch nichts vom Leben genossen; Du bist jung und dürstest nach – nach den Genüssen. Ich begreife das. Aber Du weißt, daß Du ein Gelübde auf Leben und Tod geleistet hast, und daß Du das Kloster nur durch die Flucht verlassen kannst.“

Als ich schwieg, sagte er:

„Sieh mich an! Siehst Du, was die Paradiese, nach welchen Du lechzest, aus mir gemacht haben? Ich will Dir sagen, was man in jenen Paradiesen findet: Leiden, Leiden, Leiden!“

„Aber ich leide hier auch! Und hier bin ich einsam.“

„Und Du wähnst, draußen sei man nicht einsam? Je mehr Du fühlst, je mehr Du denkst, desto einsamer bist Du draußen.“

„Aber die Freunde? Die Familie?“

„Die Freunde!“ sagte Pater Gregor bitter, „die Freunde sind Vampyre, die Dir das Blut bis zum letzten Tropfen aussaugen und Dich, wenn Du nichts mehr zu geben hast, elend am Wege liegen lassen. – Die Familie? Du meinst Frau und Kinder? – Das habe ich nie gehabt.“

„Wolltet Ihr es nicht haben?“

„Pater Josias, man kann im Kloster alles haben, was im Kloster zu finden ist, in der Welt aber ist manches, was man nicht haben kann.“

Er trat an’s Fenster.

„Komm,“ rief er leise und zeigte mit dem Finger nach den Bergen hinüber; „dort hinaus geht Dein Verlangen, nicht wahr?“

„Ja,“ sagte ich seufzend.

„So fliehe! Aber merke Dir Eins. Draußen in der Welt gedeiht der Mittelmäßige und der Schlechte; der Erleuchtete und der Edle leidet. Wie im Fieber wird Dich’s in die Freundschaft hineinreißen und – in die Liebe. Aber sei klug! Zertheile den Strom Deiner Gefühle in viele dünne Bäche, gieb heute ein Stück von Deinem Herzen und morgen eins – niemals das ganze! Damit, wenn Du Deine Paradiese alle durchkostet hast und als ein Kranker und ein Bettler aus dem Taumel plötzlich erwachst und Dich in einer Wüste befindest, Du Dir sagen kannst: Nun, ich habe ja auch nichts Ernsthaftes gewollt.“

„Ich verstehe Euch nicht, Pater Gregor.“

Da sah er mich an, und sein Blick verwirrte mich.

„Es giebt Menschen,“ sagte er, „die nichts halb thun, noch halb sein wollen; sie haben ganze Gedanken, ein ganzes Wort und ein ganzes Herz. Man sollte glauben, solchen Menschen müsse alles gelingen, nicht wahr? Aber es gelingt ihnen nur selten etwas; sie scheitern an der Halbheit der Andern. Wer wenig einsetzt, verliert wenig; aber wer alles einsetzt, verliert alles. Bist Du ein solcher Mensch, dann behalte den Durst in Dir und versuche nicht, ihn zu löschen! Jeder Mensch, der denkt und fühlt, leidet, wo er auch sei. Aber hier leidet man weniger; man leidet sanfter, als draußen in der Welt.“

„Pater Gregor, sind denn die Paradiese nicht so, wie ein junger, eingeschlossener Mönch sie träumt?“

„Die Paradiese sind gar nicht, Pater Josias. Du weißt, daß es in der Wüste schöne Trugbilder giebt, die dem Wanderer als Wirklichkeit erscheinen; man nennt ein solches Trugbild eine Fata Morgana. Jedes irdische Paradies ist eine Fata Morgana. Man genießt es wohl, aber nur im Verlangen, im Traume, nicht in Wirklichkeit!“

„Verzeihet mir, eine Frage, Pater Gregor! Ist – die Liebe auch eine Fata Morgana?“

„Die schönste und die entsetzlichste von allen! – Sie hat ein holdes Gesicht und zauberhafte, flammende Augen, die Dir die Seele aus dem Leibe trinken.“

„Aber es giebt doch eine edle, eine hohe Liebe?“

„Pater Josias, wenn die Gottheit in den Aether haucht, so entflammt er sich und wird eine Seele; wenn die hohe Liebe zu einem Menschen kommt, so geht der unsterbliche Theil in ihm auf. Aber auch der Schmerz! Das Größte und das Beste gedeiht nicht auf der Erde; darum gedeiht auch die hohe Liebe nicht auf ihr. Es kommen böse Menschen, Krankheiten, Unglücksfälle aller Art und der Tod und löschen sie aus. Die Poeten sagen, die Liebe sei stärker als der Tod; wissen können es nur Jene, welche gestorben und wieder auferstanden sind.“

„Glaubet Ihr fest an die Auferstehung?“

„Mönch, was fragst Du mich da? Was kann es Dir nützen, ob ich daran glaube oder nicht? Bist Du ein Starker, so gehe frei! Bist Du ein Schwacher, so nimm den Stab und stütze Dich darauf! Hast Du nicht genug an diesem Leben, so hoffe auf ein anderes!“

Er schlug die Arme über einander und sagte nach einer Weile: „Was willst Du nun thun? Fliehen oder bleiben?“

„Ich will mich prüfen, Pater Gregor –“

„Ah, Du bist unentschlossen.“

„Gebt mir Zeit!“

„So viel Du willst!“

Ich machte eine Bewegung, um mich zu entfernen; da nahm er mich bei der Hand: „Blicke zuweilen hinauf zu jenen wilden Einsamkeiten, wo Adlernester hängen, und dann hinab in’s Thal, wo die Sperlinge und Hühner den fetten Boden aufwühlen und sich mit Klaue und Schnabel um einen Regenwurm streiten – und dann frage Dich, was Du wohl lieber sein möchtest, ein Sperling oder ein Adler!“

„Pater Gregor, gestern Nacht, als ich nach dem Gebet wieder in meine ,Zelle trat, sah ich am Himmel einen Stern, wie ich noch keinen sah. Er hatte kalte grüne und heiße rothe Flammen. So seid Ihr! O saget mir, wie kam Euch der Entschluß, Kapuziner zu werden?“

Er streckte beide Hände vor sich auf die Fensterbrüstung und sagte, seinen abgründigen Blick in’s Weite heftend:

„Ich verließ in einer Nacht, wo mich der Ekel erfaßte, die Stadt, in der ich lange gelebt hatte. Ein brauner Nebel kam herab und verbarg mir den Pfad, auf dem ich ging. Hinter mir schimmerten festliche Lichter, vor mir gähnte die dunkle Nacht.

Mein Kopf war heiß und wirr, mein Herz kalt und müde, und ich ging ohne Ziel und ohne Hoffnung. Ich dachte nur: du gehst eben, bis du zusammenbrichst; entweder stirbst du dann, oder es wird klar in dir. – So wanderte ich, nur wenig ruhend, sieben Tage und sieben Nächte. Endlich, in der siebenten Nacht brach ich zusammen. – Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in diesem Thale; die Sonne Gottes hatte die zackigen Berggipfel entzündet. Ueber mir schwebte im grünblauen Himmel eine Wolke, die eine tiefe, trichterförmige Oeffnung hatte, daraus Gold und Feuer quoll, und mir gegenüber schimmerte im Dufte das Kloster. Ein Adler flog mit wildem Schrei in den Trichter der Wolke hinein, und dann fing sanft die Klosterglocke zu läuten an. Es war, als schliefen bei diesem Tone alle meine Schmerzen ein. Eine mitleidige Stimme sagte dicht an meinem Ohre:

‚Esset einen Bissen Brod und nehmt einen Schluck Milch!’

Jetzt sah ich eine Bäuerin neben mir knieen und mir einen Topf mit Milch reichen; ich trank davon, aß auch ein wenig Brod.

‚Was ist das für ein Kloster dort oben?’ fragte sich sie.

‚Ein Kapuzinerkloster. Die Mönche haben ein hartes Leben hier im Gebirge. Sie thun den Armen und den Kranken viel Gutes.’

Als die Frau, die ein Stück Brod neben mich gelegt hatte, gegangen war, schlief ich ein, und ich erwachte erst, als die Klosterglocke zum Abendgebet läutete. Da stand ich auf und blickte um mich – und da ich den Wall von Bergen sah, der das Thal

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_070.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)