Seite:Die Gartenlaube (1879) 058.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

rauschenden Festgemächer gelegen war. Ein trauliches Gemach, mit Teppichen belegt und von allen Seiten dicht verhangen, zur geheimen Zwiesprache bestimmt. Eine matt geschliffene Lampe mit ihrem träumerischen Lichte inmitten von üppigen Blattpflanzen – hübsche Bilder, Statuetten. Elschen hatte sich unter irgend einem Vorwande von ihrer Beschützerin losgemacht und ging langsam dem Gemache zu. Von Zeit zu Zeit sah sie sich um, ob ihr niemand mit Schritten oder Augen folge. Mit Schrecken hatte die Mama die Wahrnehmung gemacht, daß ihre Tochter beim Contretanz nicht unter den Tanzenden gewesen war. Else einen Contretanz sitzen geblieben! Endlich kam sie und wurde von der Mama gescholten, scharf inquirirt.

„Wo warst Du? Hast Du die Fanfaren – die Trompeten nicht gehört?“

Da wurde das hübsche unschuldige Kind etwas verlegen.

„Wir haben uns in dem Zimmer von Frau von Rechting das neue reizende Oelbild ‚Ich schnitt’ es gern in alle Rinden ein’ angesehen. Weißt Du, Mama? O, es ist zu hübsch.“

„Wir – wer wir?“

„Nun, eben ich – und – und Fräulein Desancto,“ fiel sie schnell ein.

Von dem schwarzen Fracke, den man neben ihrer himmelblauen Ballrobe durch die Portièren an ihrer Seite bemerken konnte, von dem sagte sie ihrer Mutter nichts. Diese dachte nur an den Präsidenten, der etwas verspätet erschienen war.

Präsident Lideman neigte nicht zur Offenheit; er kannte die Welt und deren Indiscretionen zur Genüge. Unsere Zeit hat das Schweigen verlernt, Reden ist die Parole, gleichviel ob man über Politik spricht, über alle Dinge, die man nicht versteht, oder ob man die Geheimnisse seiner besten Freunde ausplaudert, die ihnen eine dunkle schwere Stunde erpreßt hat und von denen Schicksale und Existenzen abhängen. Wer schweigt, gilt für dumm, und alle Welt will heutzutage geistreich sein. Unter dem Fluche dieser Sucht leiden wir, denn sie gerade verflüchtigt den Geist. Je weniger Gedanken im Kopfe, desto mehr Worte auf den Lippen – und selten über die Sachen, stets nur über Personen. Aber bei aller Zurückhaltung und Vorsicht ging Lideman doch immer und überall direct auf seine Ziele los, mochte es sich um sein Herz, oder um irgend eine Bilanz, eine Speculation handeln. Er war in Allem der raffinirte Geschäftsmann, der sich durch keine unbequemen Gewissensscrupel in seinem Handeln hemmen oder beirren ließ.

Heute am Ballabend war sein Wesen von etwas wie von einem festen Entschlusse, einem Wagniß beherrscht. Die volle Bewegung der Gesellschaft, der Glanz, der über den Räumen lag, die gehobene Stimmung, die am Ende jeder Gesellschaftsabend mit sich bringt, die rauschende Musik, die Lichter, die Blumen und die hübschen Frauen und Mädchen – dies Alles spannte die ganze Muskelkraft seines leidenschaftlichen Wollens. Er hatte wiederholt gesucht, sich Doris zu nähern, aber stets wurde sie ihm entführt, ob durch Zufall oder Absicht, dazu ließ ihm die Ueberlegung keine Zeit; dazu hätte er denken müssen – und denken, wo Alles um ihn in Gefühl, Rausch, Lockung, Hoffnung sich auflöste! Endlich war es ihm gelungen, Doris in einer Gruppe von älteren Damen zu finden. Er bot ihr den Arm.

„Gnädigste Frau, die Gesellschaft hat mich mit der beneidenswerthen Aufgabe betraut, ihren Schmuck, ihren entflohenen Liebling ihr zurückzusuchen.“

Doris schien in der besten Laune; sie lachte und bemerke, daß das eigentlich eine Beleidigung sei.

„Weil ich Sie vielleicht der besten Gesellschaft, dem Alleinsein, entziehe, gnädigste Frau?“

„Nein, weil es nach Ihren Worten scheinen möchte, als umgäbe ich mich mit Personen, die so wenig innere Ressourcen haben, daß sie das Fehlen meiner unscheinbaren Persönlichkeit sogleich als eine Leere fühlen müßten. Uebrigens war ich auf dem Wege, meiner geselligen Pflichten mich zu erinnern.“

„Darf ich Ihnen den Arm anbieten, gnädigste Frau?“

„Ich nehme nie den Arm eines Mannes, der nicht seine silberne Hochzeit gefeiert hat,“ erklärte Frau von Rechting.

„Ah, für so eine kleine Gunst eine so lange Leidenszeit!“

„Nun, haben Sie sich meinen Vorschlag von neulich überlegt, Herr Präsident?“

„O, sprechen Sie mir nicht davon!“

„Warum denn nicht?“

„Warum? Weil – weil! Man betet an; man glüht in seinem Herzen; man ringt mit allen Mächten der Leidenschaften und – eine Partie! So schnöde abgewiesen werden –“ Er hauchte diese Worte mehr, als er sie sprach. Um so tiefer hatten sie Doris getroffen. Sie trat einen Schritt von ihm zurück und ernst, gemessen, wenn auch nicht unfreundlich, sprach sie:

„Sie erzählten mir an einem unserer letzten Abende so interessante Dinge über Ihre Thätigkeit als einer der Commissäre der letzten großen Ausstellung. Da werden Sie gewisse Gegenstände bemerkt haben, an denen ein kleiner Zettel hing, mit den Worten: Hors de concours.“

„Ja, ja, aber was soll das?“ drängte Lideman.

„Und gerade solche Gegenstände hat auch die Gesellschaft, und an jeder verheiratheten Frau hängt ein solcher, wenn auch unsichtbarer Zettel mit der Inschrift: Hors de concours.“

Um diese Warnung, diese Zurechtweisung ihm noch fühlbarer zu machen, nahm sie den Arm ihres Mannes, der sich gerade in der Nähe befand. Der Präsident sah ihr nach, als preßten sich zwischen seinen Lippen die Worte hervor: O, diese Frau! Sie treibt mir das Blut zum Herzen. Sie sehen – von ihrem Athem berührt zu werden – unter dem Zauber ihres Blickes zu stehen und denken zu müssen: Alles auf der Welt ist durch die Wünschelruthe deines Reichthums dein eigen – Alles, nur sie nicht! Dann stampfte er leise mit dem Fuße auf, um seinen inneren Willen zu bethätigen, seinen Entschluß zu verschärfen und zu stählen. Und doch – doch! O, kräusele nur deine holden Lippen zu spöttelnder Rede! Mich wirst du in meiner Zuversicht nicht irre machen, von meinem Ziele nicht abbringen.

Lideman fühlte sich durch die Abweisung der jungen Frau nicht aus dem Felde geschlagen. Er ärgerte sich nur über seine Unvorsichtigkeit. Wenn Doris ihrem Manne davon sprach, war da nicht seine Stellung den Beiden gegenüber erschüttert? Und dann mehr als das. Nach seinen Grundsätzen konnte sich ein Mann in einem Verhältnisse zu einer Frau Allem aussetzen. Jeder Mann – so lautete sein Grundsatz – verdient den Erfolg, den er bei einer Frau erringt, und jede Frau ist gerade so viel werth, wie sie ihm die Chancen eines solchen verschafft. Eines nur galt ihm als Verbrechen – die Lächerlichkeit. Fast wollte es ihn bedünken, als ob er sich dessen schuldig gemacht hätte. Das konnte er nicht so hinnehmen. Er mußte eine Genugthuung dafür haben, und nun kam zu seinen vollen zitternden Pulsen und zu seinem Raffinement auch noch das Rachegefühl, diese furchtbare Waffe eines Mannes einem Weibe gegenüber, das, nichts ahnend von solcher Verderbtheit, ihm in ihrer Unbefangenheit die Mittel zur Ausführung, zur Erreichung seines Zieles bietet. Ob Doris ihren Mann von dem Zwischenfalle unterrichtet hatte? Dann war ihm allerdings der Boden entzogen. Eben kam Rechting auf ihn zu. Lideman schlug das Herz. Wenn er Aufklärungen forderte! Nein. Lideman sollte die Geheimräthin zu Tisch führen. Erich trug ihm diese Bitte scherzend vor. Doris hatte also geschwiegen. Er hätte jetzt die Geheimräthin auch noch geküßt, wenn es Erich verlangt hätte.

Es kam nach Mitternacht jener Moment, wo die Festräume sich leeren und die Vorzimmer sich füllen, wo dieselben Menschen, die eben das Vergnügen vereint hatte, die sich mit dem holdesten Lächeln begegnet waren, die in Versicherungen des Glückes über das beiderseitige Zusammensein und dessen Reize sich erschöpft hatten, nach dem Augenblicke haschen, der sie wieder aus einander führt, wo über ein verwechseltes Tuch, einen verirrten Gummischuh oder einen zu spät gekommenen Kutscher Flammenblicke und Zornesworte geschleudert werden; jener Moment, sagen wir, der uns belehrt, daß man die Gesellschaft nicht nach dem Salon, sondern nur nach dem Vorzimmer beurtheilen darf.

Von einem ähnlichen Gedanken schien Erich beherrscht, als seine Gäste vor ihrem Abzug noch einmal vor ihm und Doris defilirten, Beiden dankgerührt die Hand drückten und nun draußen im Vorzimmer die wilde Jagd des Aufruhrs losging. Seine Züge trugen einen gespannten Ausdruck, und seine Lippen umspielte ein Zug von Ironie. Als die Letzte der Geladenen – es war natürlich die Geheimräthin – vorüber war und die Salonthüren sich geschlossen hatten, athmete Erich tief auf, als ob er sich einer recht schweren Last entladen wollte.

„Ich weiß nicht,“ sagte Doris zu ihrem Manne, „das war

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_058.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)