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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Streit verschärft. Messer Francesco’s Großvater war im Jahre 1554 gegen einen Giustiniani, der sich schon im Geiste mit der gehörnten Mütze geschmückt gesehen, zum Dogen gewählt worden: das hatten die Giustiniani’s niemals vergeben und waren überall den Venier’s als Widerpart entgegengetreten. Eine so große Feindschaft setzte den Wünschen des verliebten Jünglings gewaltige, fast unübersteigliche Hindernisse in den Weg. Weder sein Großoheim, der berühmte Feldhauptmann Sebastiano Venier, der mit Don Juan d’Austria und Marcantonio Colonna den ewig denkwürdigen Sieg bei Lepanto über die Türken erfochten, noch der Vater Violantens würden ihre Zustimmung zu dieser Verbindung geben. Aber wenn auch die Bitten der jungen Leute die beiden alten Herren besänftigt und für sich gewonnen hätten – die Hoffnung nimmt ja das Unwahrscheinliche zuerst als entfernte Möglichkeit und bald als sichere Gewißheit an – so war da noch ein viel schlimmerer Stein des Anstoßes. Im Hause der Giustiniani war Messer Marcantonio nur dem Namen nach der Herr. Das eigentliche Regiment führte sein Sohn Messer Pietro, ein hitziger und jähzorniger Herr. Während des Türkenfeldzugs und nachher bei den Festlichkeiten zur Feier des Friedens waren er und Messer Francesco oft hart genug an einander gerathen, und nur die Furcht vor den strengen Gesetzen der Republik hatte bisher Zweikampf oder Gewaltthat verhindert.

Trüb genug waren darum die Aussichten Francesco’s, denn wie sollte es ihm gelingen, Messer Pietro zu gewinnen? Allein wie man behauptet, daß die Kinder einen besonderen Schutzengel haben, so glauben auch die Verliebten unter dem Schutze freundlicher Engel zu stehen. Was Gutes oder Schlimmes ihm indessen die Zukunft vorbehielt, an diesem Abend drängte es den Jüngling, wenigstens das Haus noch einmal zu betrachten , in dem seine Schöne wohnte. Unweit von der Kirche San Geminiano, an der vorüber man auf den Marcusplatz geht, läuft eine kleine enge Gasse zum Großen Canal. Hier steht der stattliche und weitläufige Palast der Giustiniani, seine balcongeschmückte Front dem Wasser zukehrend, während der Seitenflügel die niedrigen Häuser der Gasse hoch überragt. Kein Mensch war zu sehen, wie durch eine Spalte blickte das Mondlicht in die schmale Straße. Hinauf und hinab schritt sie Francesco, und zu den Fenstern des Palastes hinaufschauend, suchte er zu errathen, hinter welchem seine Herrin weile. Denn aus dem Hause drang fröhlicher Lärm in die stille Nacht, Stimmengewirr und Guitarrenklang. Nun wurde auch das Thor, das nach der Gasse ging, von Dienern geöffnet, und Fackelschein beleuchtete hell eine Gesellschaft junger Männer, welche die Treppe hinabstiegen. Messer Pietro war unter ihnen. Er lachte überlaut, wie einer, der dadurch seinen Aerger verbergen oder vergessen will.

„Ich bin Dir nun manche tausend Ducaten schuldig,“ hörte ihn Francesco, der sich gegenüber an die Wand eines Hauses in den Schatten gedrückt, zu seinem Begleiter sagen, „und da ich stets Unglück mit den Würfeln habe und mein ehrwürdiger Vater, Messer Marcantonio, trotz seiner Gicht noch nicht daran denkt, mich zum Besitzer seiner Truhen zu machen, so wirst Du noch lange nicht bezahlt werden. Giovanni Soranzo, es sei denn, Du nimmst die Hand meiner Schwester als Zahlung an.“

„Topp,“ erwiderte darauf der Andere, „so soll es sein,“ und zu den Genossen gewandt, die jetzt in einer Gruppe vor dem Palaste beisammen standen, setzte er hinzu. „Ihr habt es gehört.“

„Und der Himmel über uns auch,“ lachte Messer Pietro. „Ihr Soranzo’s seid zwar nur von geringerem Adel, als wir Giustiniani’s, aber ich bin nicht stolz, und Du bist reich. Ehe ich meine Schwester dem verhaßten Venier gebe, der heute so unverschämt mit ihr liebäugelte, würde ich sie mit einem Ungläubigen vermählen; wär’ es auch nur, um diesem Burschen einen Streich zu spielen.“ Als Messer Francesco seinen Namen nennen hörte, wurmte es ihn, daß er hier stehen und den Lauscher spielen sollte, und ohne an die Zahl seiner Gegner und ihre von Spiel und Weingenuß erhitzten Köpfe zu denken, trat er mit leichtem Gruß aus seinem Versteck in das Mondlicht hinaus und sagte:

„Hier ist Francesco Venier, bereit zur Unterredung mit Jedem, den es gelüstet.“

Messer Pietro’s Gesicht flammte vor Wuth; so zornig war er, daß er nur einen heisern Laut auszustoßen vermochte, und seinen Dolch aus dem Gürtel reißend, würde er sich auf Francesco gestürzt haben, wären nicht die Besonneneren unter seinen Freunden ihm in den Arm gefallen und hätten ihn, so sehr er auch widerstrebte, mit sich fortgezogen, die Gasse hinauf nach dem Marcusplatze zu. Aber noch im Abgehen schüttelte er die Faust, in der das blanke Stilet blinkte, drohend gegen Francesco, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte, ruhig und edel den Angriff seines Feindes erwartend, und sein Mund stieß Racheschwüre und Verwünschungen aus. Das Geschrei und der Lärm hatte die Bewohner der stillen Gasse aufgeschreckt, hier und dort zeigte sich ein Gesicht an den Fenstern, verwundert und besorgt hinauslauschend, was es gäbe. Und plötzlich, wie Francesco noch unbeweglich dastand, seinen Gegnern nachblickend, die nun um die Straßenecke bogen, lag da eine weiße Rose auf den vom Mondlicht beschienenen Fliesen dicht vor seinen Füßen. Woher sie gekommen? Sein Herz sagte es ihm, und das Pfand der Liebe an seiner Brust verbergend, glücklich trotz der Wetterwolken, die über seinem Haupte schwebten, eilte er davon.

Dienstag, den 27. Juli, verließ der Allerchristlichste König Venedig, und der Doge und die vornehmsten Würdenträger der Republik gaben ihm bis nach Fusina auf dem Festlande, an dem Canale der Brenta, an dem die Straße nach Padua entlang geht, das Geleit. Die Stadt aber kehrte nach dem Festjubel und der Aufregung einer ganzen Woche wieder zu ihrem gewohnten Leben zurück. Da wäre es nun bei der strengen und guten Sitte der alten Zeit, nach der die Frauen und Töchter der Patricier noch nicht, wie heute, wo ich dies niederschreibe, im dritten Jahre der Regierung des erlauchten Dogen Giovanni Cornaro, in bunten Kleidern, Masken vor dem Gesichte, in Schuhen ohne Absätze auf der Piazza und der Piazzetta umherschwärmten und ohne Scheu und Scham die Besuche ihrer Freunde in ihren Häusern empfingen, sondern still und abgeschlossen für sich lebten – da wäre es dem Messer Francesco sehr schwer, wo nicht unmöglich gewesen, von Madonna Violanta Kunde zu erhalten, oder gar sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wenn er sich nicht in seiner Noth seiner Schwester anvertraut hätte. Diese, Madonna Emilia, war ein entschlossenes und muthiges Mädchen, und da sie mehr auf den Gütern der Venier’s, in den Bergen um Vicenza, als in der Stadt gelebt hatte, war ihre Erziehung eine freiere und männlichere gewesen, als sie den vornehmen Venetianerinnen zu Theil wird.

Sie verstand sich nicht auf die Kunst, ihre Haare goldblond zu färben und schön zur Laute zu singen; dafür war sie eine gute Reiterin und führte den Jagdspieß wie eine neue Atalanta; sie hat denn auch ein Jahr nach diesen Begebenheiten einen deutschen Grafen aus Görz geheirathet. Als diese nun ihren geliebten Bruder trübselig und bleich umherschleichen sah, nahm sie ihn in’s Gebet, und nach einigem Zögern gestand er ihr sein Leid, und wie er gehört, daß Giovanni Soranzo in der That um die Hand Violanta’s angehalten und Gefahr im Verzuge sei. Emilia wußte Rath; um so leichter, da sie mit Violanta’s Muhme, der jungen Frau Paolo Contarini’s, befreundet war. Die drei Frauenzimmer trafen sich nun, unter dem Vorwande eines gemeinsamen Gelübdes, in der Kirche San Geminiano, zu der Violanta nur wenige Schritte zu gehen hatte, sodaß es weder ihrem Vater noch ihrem Bruder oder irgend einem aus der Hausgenossenschaft auffallen konnte, wenn sie an jedem Morgen sich dorthin begab, die heilige Messe zu hören.

Ihre Begleiterin, ihre alte Amme, war bald gewonnen, und da kein Argwohn sich regte, die Drei sich schnell mit einander verständigten und Violanta’s Sehnsucht, den Geliebten zu sehen und mit ihm zu reden, ebenso groß war wie die Francesco’s nach ihrem Anblicke, so stellte sich eines Tages auch der Jüngling in der Kirche zur süßen Zwiesprache mit dem theueren Mädchen ein. Holde Schamröthe bedeckte ihre Wangen, als er sich ihr nahte; mit niedergeschlagenen Augen hörte sie seine leidenschaftlichen Reden, daß er ohne sie nicht zu leben vermöge und seinen Tod im Kampfe mit den Türken suchen werde, wenn sie ihn nicht mit ihrer Liebe beglücken wolle. Die Gegenwart ihrer Muhme und ihrer neuen Freundin machte ihr Muth zur Erwiderung. Während sie auf ihren Knieen lag, das Haupt auf die Brust gesenkt, hatte er ihr in’s Ohr geflüstert; jetzt wandte sie ihm einen Augenblick ihr Gesicht zu und stammelte: „Ich liebe Dich, Francesco.“

Vielleicht wäre sie zurückhaltender gewesen, wenn sie nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_011.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)