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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


sondern daß jeder freie Bahn hat, nach den höchsten Zielen zu streben. Es ist eine Thatsache, daß weitaus die Mehrzahl unserer bedeutender Männer in öffentlichen Aemtern und in Geschäftskreisen Leute sind, die sich von der untersten Stufe zu ihrer gegenwärtigen Stellung emporgearbeitet haben, nicht durch Geld und Gunst, sondern durch Geschick, Ausdauer und Energie.[1] Derselbe Weg hat jedem offen gestanden, der heute als Tramp das Land durchzieht und zum Verbrecher an der socialen Ordnung geworden ist, er hat sich selbst rechtlos gemacht, und an dieser seiner Rechtlosigkeit muß er untergehen. Zu hoffen ist nur, daß das Kapitel in der Geschichte der socialen Entwickelung der Vereinigten Staaten, in welchem der Tramp eine Rolle spielt, kein allzu langes und blutiges sein möge.

L–n.




Der Melonenbaum.
Etwas für die Küche der Zukunft.

„Wie weise ist doch die Natur eingerichtet, daß sie keine Kürbisse auf den Bäumen wachsen läßt!“ so ruft in einer bekannten Fabel ein naseweiser Weltverbesserer aus, nachdem ihm während seines Mittagsschläfchens eine Eichel auf die Nase gefallen ist und dieselbe blutig geschlagen hat. Leider hält die Parabel- und Schulweisheit in diesem, wie in so vielen ähnlichen Fällen nicht Stich, denn in der üppigeren Natur der Tropen giebt es genug hohe Bäume, deren Früchte mehr als genügend sind, einen Menschen todtzuschlagen wenn sie ihm auf den Kopf fallen. Wir dürfen nur an die harte, bis zu zwanzig Pfund schwere Sechellennuß erinnern, die man vordem um hohe Preise für die fürstlichen Curiositätencabinete erwarb, indem man fabelte, sie sei die Frucht einer mitten im Weltmeer wachsenden Palme, weil sie nämlich häufig auf demselben schwimmend angetroffen worden war, lange bevor man ihre Heimath kannte. Seit hundert Jahren etwa weiß man, daß der sehr hohe Baum, der diese Riesenfrüchte reift, in der That eine Palme ist, die an den Ufern der Sechelleninseln wächst, sodaß die Früchte leicht in’s Meer rollen und durch die Wellen an ferne Küsten getragen werden konnten. Noch bedenklicher müßte dem Weltverbesserer die als Obst sehr beliebte Frucht des indischen Duriobaumes erscheinen. Dieselbe erreicht die Größe der Cocosnuß und ist so dicht mit starken und scharfen Stacheln besetzt, daß sie beim Abfallen einen unter dem hohen Laubdache lustwandelnden Menschen sehr gefährlich verwunden, ja selbst ihm den Tod bringen könnte.

Aber als ob die Natur in ihrem unerschöpflichen Gestaltenreichthum ausdrücklich jenen salbungsvollen und hohlen Kürbißkopf, der sie zu verbessern trachtete, hätte verspotten wollen, so hat sie wirklich auch einen Baum hervorgebracht, der in der That Kürbisse trägt und den man, weit entfernt, ihm aus dem Wege zu gehen, vielmehr in allen heißen Ländern, wo er gedeiht, eifrig und dicht um die Wohnungen anpflanzt. Es ist der Melonen- oder Papawbaum (Carica Papaya L.), von dem man gewöhnlich angiebt, daß er aus Südamerika stamme, obwohl es, wie bei so vielen Culturpflanzen, nicht so ganz sicher zu sein scheint, ob er nicht schon vor der Entdeckung Amerikas in Indien und Afrika gezogen worden ist. Wir erinnern in dieser Beziehung nur an den Mais, gewisse Tabaksarten, die Banane, Cocospalme etc. In Indien scheint man wenigstens den Melonenbaum schon seit älteren Zeiten als die Personification Wischnu’s zu betrachten und nimmt beim Schwören ein Blatt desselben in die Hand. Es geschieht das wahrscheinlich wegen der ungemein üppigen Lebenskraft dieses Gewächses, welches an Schnelligkeit seines Wachsthums den Pisang, wie auch die dieserhalb „Wunderbaum“ genannte Ricinusstaude unserer Schmuckplätze und Anlagen noch übertrifft.

Auf den eben genannten Wunderbaum, dessen in wärmeren Ländern gewonnenes Erträgniß, das bekannte Ricinusöl, kürzlich unter seinem alttestamentarischen Namen Kiki als wunderbares Cosmeticum („Haaröl der Königin Kleopatra“) empfohlen wurde, haben bekanntlich die Ausleger der Bibel und des Talmud jene andere, biblische Parabel von dem schnell aufschießenden und schnell absterbenden schattigen „Kürbis“ des Propheten Jonas bezogen; sollte aber der Melonenbaum schon im alten Asien angebaut worden sein, so würde er sich als schnell aufschießender Sonnenschirm besser als selbst der Wunderbaum zur Jonas-Parabel geeignet haben. Schon im ersten halben Jahre bildet sein umfangreiches, schöngezacktes Laubdach einen breiten Schirm von Mannshöhe, aber im vierten Jahre kommt in den inzwischen zwanzig Fuß hoch aufgeschossenen Säulenstamm „der Wurm“; er stirbt ebenso schnell, wie er aufgeschossen war, wieder ab.

Wohl mit Recht verglichen wir den Baum mit einem Sonnenschirm, denn der Stamm steigt senkrecht und gewöhnlich ohne alle Seitenäste, wie derjenige einer Palme auf, das die Spitze krönende Laubcapitäl als schlanke Säule immer höher in die blauen Lüfte emporhebend. Diese Wachsthumsart ist um so auffallender, als der Melonenbaum nicht, wie die Palmen, zu den mit einem Samenblatte keimenden Pflanzen (Monokotyledonen) gehört, die, wenn baumartig, in der Regel unverästelt bleiben, sondern zu der größeren Abtheilung der Zweiblattkeimer oder Dikotyledonen, deren baumförmige Arten fast stets eine verästelte Krone bilden. Uebrigens treibt der Melonenbaum nicht selten einen oder einige wenige Nebenäste, die dann aber, ebenso nackt und kahl wie der Hauptstamm, nahezu senkrecht emporstreben und gleich ihm blos am Gipfel eine Rosette langgestielter Blätter tragen. Diese schöngeformten Blätter gleichen im Allgemeinen denen des Wunderbaumes, das heißt, sie zeigen den Umriß einer gespreizten siebenfingerigen Hand, deren Finger wie bei einem Wasservogel durch eine Schwimmhaut halb verbunden sind. Ansehnlich und schön kann diese großblätterige Gipfelkrone nur so lange genannt werden, wie sie der Stamm noch nicht in höhere Regionen emporgetragen hat. Während nämlich die Gipfelknospe immer neue Blätter treibt, fallen die unteren beständig ab, und der von den Narben der abgefallenen Blätter dicht wie die Haut einer Schlange gefleckte oder geschuppte Stamm trägt seinen Blattschirm schließlich so hoch empor, daß er von unten unansehnlich erscheint und das Gewächs einen höchst fremdartigen Anblick darbietet. Die Blätter, wenn auch groß, sind doch nicht mächtig genug, um gleich den Palmenwedeln und -Fächern noch von oben herab majestätisch zu wirken.

Wenn der Melonenbaum die ersten Jugendmonate hinter sich und die Höhe eines Mannes erreicht hat, pflegen in den Blattwinkeln die ersten Blüthen zu erscheinen, und von da ab trägt er meistentheils jahraus jahrein Knospen, Blüthen, reife und unreife Früchte zugleich, und diese Blüthen und Früchte lassen keinen Zweifel darüber, daß der steife, senkrechte Sonderling wirklich in die Verwandtschaft unserer schlingenden, kriechenden und rankenden Gurken, Kürbisse und Melonen gehört. Es sind blaßgelbe Trichterblüthen, wie man sie in dieser Familie so häufig antrifft, meistens getrennten Geschlechtes, doch kommen zwischen denselben auch Zwitterblüthen vor, und daraus entstehen, wie der Leipziger Botaniker Otto Kuntze im vorigen Jahre zuerst beschrieben hat, Früchte von besonderm Geschmacke. Die erst grünen, dann gelben Früchte hängen aus der Blattkrone herunter und umkränzen an deren Grunde, ähnlich den meisten Palmenfrüchten, den Stamm. Dieselben werden bis zu fünfzehn Pfund schwer, stehen in der Form zwischen Melone und Gurke und sind wie diese mit Längsstreifen versehen.

Man schickt, wenn man von den höheren Stämmen Früchte haben will, einen Knaben hinauf, weil das leichte, schwammige Holz des Stammes einen Erwachsenen kaum zu tragen vermöchte, und zwar benutzt man die Früchte sowohl im reifen wie im unreifen Zustande. Die unreifen Früchte werden in Streifen zerschnitten und wie Gurken oder Melonen zum Einmachen gebraucht; die reifen ißt man roh mit Zucker oder mit Salz und Essig. Die auffallende Thatsache, daß der Geschmack der Früchte von einzelnen Reisenden gelobt und von andern verachtet wurde, hat

  1. Als Beleg hierfür mag die gegenwärtige Staatsregierung von Illinois angezogen werden: Gouverneur Cullom ist der Sohn eines Farmers und verdiente seinen ersten Thaler als Districtschulmeister; Vice-Gouverneur Schuman war zuerst Apothekerlehrling; Staatssecretär Harlow war ein Tischler von Profession; Staatsschatzmeister Rutz diente als Gemeiner in der regulären Armee; Staatsauditeur Needles war Ladenjunge in einem Dorfladen, und der Staatssuperintendent des öffentlichen Unterrichts Etter war einst ein armer Bauernjunge im Staate Ohio.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_792.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)