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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Beim Eintritt in die Deele empfängt uns der dicke Qualm eines auf der Herdkuhle eben neuangeschürten Torffeuers, und eine Frau tritt uns mit der Frage nach unserem Begehr entgegen.

„Unterkommen und Wasser!“

Dem ersteren wird entsprochen, indem wir in die Dönse (Stube) geleitet werden, dem letzteren, indem unsere Wirthin bald mit einigen Gläsern voll – Kaffee erscheint. Wir machen ihr begreiflich, daß wir für später keinen Kaffee verschmähen werden, vor der Hand aber ein Glas frisches Wasser haben möchten.

„Dat is Water,“ erklärt unsere Hebe, auf die braune Flüssigkeit im Glase zeigend.

„Dat – is – Water?!“

„Ja, dat is Water.“

Unsere Bestürzung über diesen zweifelhaften braunen Stoff ist daher nicht gering, und so bleibt nichts übrig, als zum Bier zu greifen.

„Beer? ne, Beer, dat hefft wi nich.“

Auch kein Bier! „Na, wat hefft Se denn?“

„Snaps.“

Man bedenke – in unsere heißen, ausgedörrten Kehlen – Schnaps! Vor diese Alternative gestellt, beginnen wir schon mit der braunen Flüssigkeit im Glase zu liebäugeln, als es uns vorkommt, wie wenn sich etwas darin bewege, und bei näheren Hinschauen nehmen wir denn wahr, daß eine Menge kleiner Thierchen in der Form und Größe von „Hüppers“ (plattdeutsche Bezeichnung des Flohes) mit großer Schnelligkeit darin umherschießen. Das genügt freilich! Doch wir können auf den Genuß um so eher verzichten, als sich den Conflicte von Leib und Seele gegenüber eine einsichtsvolle Kuh in’s Mittel legt, indem sie uns durch ihr Gebrüll an die Existenz von Milch erinnert. Und Milch gab es, viel Milch, vortreffliche Milch, die wir in durstigen Zügen schlürften.

Wir haben diese ganze Scene in ihren Details wiedergegeben, weil sie besser als irgend eine ausführliche Schilderung ein bezeichnendes Licht auf die Zustände in dieser Gegend wirft. Selbst ein Trunk frischen Wassers ist dem Bewohner versagt – Wasser haben sie überall genug, zu Zeiten mehr, als ihnen lieb ist – aber ein Wasser, das von den modrigen Substanzen des Moorbodens, vegetabilischen und animalischen, vollständig angefüllt und braungefärbt ist. Sie trinken daher auch nie Wasser, sondern immer „Kaffee“ – wenigstens nennen sie das Gebräu so – wobei dann der Kaffee den das Wasser belebenden Thierchen gegenüber die Rolle von Insectenpulver übernehmen muß; gewiß eine neue Auffassung dieser edeln, in unserem großen Vaterlande so verschiedenartig gemißhandelte Colonialfrucht!

Nachdem wir uns noch durch den Genuß von Schinken, Eiern und Schwarzbrod zur Genüge gestärkt und erquickt haben, machen wir uns von Neuem auf den Weg, um einige der vereinzelt liegende Gehöfte zu besuchen und uns dort von den Bewohnern genauere Auskunft über die wunderbaren Erscheinungen ihres Heimathdorfes zu holen. Ueberall werden wir in der düsteren Deele mit einem treuherzigen Händedruck empfangen, ein Stuhl von alterthümlicher Form wird uns an die schweelende Herdkuhle gerückt, und nachdem wir, Hals, Nase und Augen voll Torfgeruch unser Wandersprüchlein hergesagt, von wannen wir kommen, was wir wollen etc., verschwindet der Hausvater in der Dönse und kehrt gleich darauf mit einer Flasche nebst Spitzgläschen zurück, um uns den unvermeidlichen Willkommenschnaps zu credenzen. Um die Leute nicht zu kränken, thun wir Bescheid, indem wir uns bemühen, die entsetzliche Grimasse beim Hinunterschlucken in ein verbindliches Grinsen zu verwandeln. Von diesen Details abgesehen hinterläßt der schlichte gastfreundliche Empfang in der alterthümlichen Umgebung einen ebenso angenehmen wie charakteristischen Eindruck.

Die Erklärungen aber, welche wir auf unsere Fragen erhielten, ergaben Folgendes.

Die Ufer der Hamme, obgleich sie auf beiden Seiten des Flusses zunächst Grünland und weiterhin Moor aufweisen, unterscheiden sich doch wesentlich. Auf dem rechten Ufer ist ausgesprochen Marschlandschaft, von Wasserrinnen durchschnitten, weit ausgedehnt bis zum Teufelsmoor hin, wo sie dann in das öde, düstere Hochmoor übergeht, welches nördlich bis dicht an die Geest heranreicht. Das linke Ufer dagegen zeigt zwar auch Marschland, aber allenthalben von Sumpf durchsetzt, und auch nicht in der gleichen Ausdehnung; völlig eigenartig aber ist die Erscheinung des Moorbodens. Erstlich tritt hier der Charakter des Hochmoors zurück und die Oberfläche trägt verschiedenste Vegetation, Wald, Wiesen, Getreidefelder und Haide; dann aber, und das ist für uns hier das Wichtigste, liegt das Moor mit seinen unteren Schichten auf dem Sande des ehemaligen Meeresbodens, über dem es emporgewachsen ist, unverbunden auf, ungefähr wie ein gestrandetes Floß. Die Folge hiervon ist, daß, wenn die Weser, Hamme und Wümme zu schwellen anfangen, das Wasser zwischen jenen Sandboden und das Moorfloß eindringt und das letztere in die Höhe hebt. Dann beginnt für die Waakhausener Bäume, Felder und Wiesen ein in Wirklichkeit „flottes“ Leben – sie schwimmen! Ist die Thatsache einer ganzen schwimmenden Landschaft an sich schon und namentlich für unsere Begriffe von einem soliden Erdboden etwas höchst Wunderbares, ja Lächerliches, so verwickeln sich die Verhältnisse erst recht dadurch, daß die verschiedenen Theile des fraglichen Gebietes ganz verschiedene Schwimmfähigkeit besitzen.

Dieselbe hängt im Wesentlichen von drei Factoren ab. Erstens von der Mächtigkeit und Qualität und dem entsprechend von dem Gewichte des schwimmenden Moorbodens. Die Mächtigkeit des Moores wechselt zwischen fünfzehn und dreißig Fuß. Ebenso ist die Qualität eine verschiedene und zwar eine dreifache, indem zu oberst eine weiße, in der Mitte eine braune und zu unterst eine schwarze Moorschicht lagert. Da nun das Wasser nicht nur unter die gesammte Moorschicht, sondern auch zwischen die beiden unteren schweren Schichten einerseits und die obere, sehr leichte andererseits einzudringen vermag, so wird dadurch die Verschiedenartigkeit des Aufschwimmens erst recht vermehrt. Die Mächtigkeit der oberen Schicht beträgt zwischen fünf Fuß und zwanzig Fuß.

Hierzu kommt zweitens die Zerschneidung des Terrains, theils durch Wasserläufe, hauptsächlich aber durch Grenzgräben und Canäle, welche die einzelnen Terraingruppen isoliren und zu einer um so selbständigeren Bewegung befähigen. Drittens aber tritt noch, und zwar als eine Hauptsache, die dem Wasserdrucke entgegenwirkende Belastung der Oberfläche hinzu. Naheliegend ist eine solche Belastung durch den Häuser- und Wegebau. Abgesehen von der eigenen Schwere, werden diese Häuser noch auf einer Warf und einer Unterlage von Sand über dem Moorboden errichtet; ebenso werden zur Festigung der Wege Sand und Grus verwendet, und es ist natürlich, daß diese Belastung den Häuser wie Wege tragenden Boden niederhält.

Ueber den Grad, welchen die Belastung erreichen muß, um das Moorstück unter Wasser zu drücken, kann man wohl nichts Definitives feststellen; zwar gab einer der Bewohner an, es genüge schon eine Lage von zwölf Zoll Sand, um eine größere Strecke zum Sinken zu bringen; doch wirken hier noch so verschiedene andere Bedingungen mit, daß man dies wohl nicht als Norm ansehen kann.

Weit wichtiger, und zwar die ganze Landwirthschaft der Waakhausener beherrschend, ist aber die Belastung der Felder durch Dung und Sand; das ist so recht geeignet, zu zeigen, wie die Verhältnisse hier vollständig auf dem Kopfe stehen. Während anderwärts eine dauernde Bodenmelioration ein Zeichen des Fortschritts bedeutet, ist sie hier nicht nur nicht durchführbar, sondern selbst jede unmittelbare Düngung und Verbesserung der Ackerkrume führt das betreffende Feld je um einen Schritt seinem Untergange näher. So lange ein Feld schwimmt, ist es zur Production vortrefflich geeignet; von oben her ist der Boden durchlassend, während die Bewässerung von unten her Nichts zu wünschen übrig läßt. Wird aber die Oberfläche auf die angegebene Weise durch Dung etc. beschwert, so kommt schließlich der Zeitpunkt, wo der Moorgrund nicht mehr zu steigen vermag, der Acker wird überfluthet und geht schließlich der Bewirthschaftung vollständig verloren. So lange der Boden also nur als Wiese benutzt wird, bleibt er stets schwimmend. Die Aecker dagegen schwimmen, je nachdem sie von den angegebenen Bedingungen beeinflußt werden, dem Raume und der Zeit nach verschieden auf, am spätesten diejenigen welche dem vollständigen Untergange am nächsten sind; diese könnten dann nur für die Sommersaat benutzt werden. Das Ufer der Hamme ist allerdings zunächst derselben kleigrundig und vom Schlamme beschwert und deshalb versumpft, aber da, wo in der Richtung nach dem Dorfe zu der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_763.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)