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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„Ich begleite Sie, Mama,“ sagte die Schwiegertochter, sich erhebend. „Nelly, Du wirst wohl jetzt hier bleiben?“

Das junge Mädchen nahm den Platz an der Seite der Cousine ein. Sie hatte sich die Cousine so ganz anders vorgestellt, sich auf mädchenhaftes Plaudern gefreut, und da war nun gestern aus dem Extrapostwagen eine elegante, zerbrechlich feine Dame gestiegen, die ihre dunklen Augen musternd und kalt über Umgebung und Personen schweifen ließ. Sie hatten noch nicht ein herzliches Wort zusammen gewechselt. Blanka sprach mehr mit den Augen, und diese dunklen Sterne schienen zu sagen: Wie langweilig ist es hier!

Im Augenblick der Ankunft hatten auch die Großmama und die Mutter die zierliche Gestalt mit den aufgelösten rothblonden Haarmassen freudig erstaunt angesehen. Erstere hatte Nelly versichert, sie hätte nie geglaubt, daß die „kleine rothhaarige Blanka, das scrophulöse Kind“ eine solch pikante Schönheit werden würde. Eine pikante Schönheit! Nelly wußte kaum recht, was das Beiwort „pikant“ bedeuten sollte, aber daß sie schön war, die Cousine, ja das empfand sie auch; sie empfand es besonders stark in diesem Augenblick, wo die langen Wimpern sich über die kalten Augen gesenkt hatten; das ovale blasse Gesicht unter den hochgeschwungenen Brauen, deren Schwärze so seltsam mit der hellen Haarfarbe contrastirte, umflossen von der goldige Masse dieses wundervollen Schleiers, bot einen unbeschreiblich reizenden Anblick. So war sie wirklich, die Ahnfrau dort oben; genau so setzte sich der schlanke Hals auf die feinen Schultern; genau so war die Haltung des kleinen Kopfes; einzelne kurze Löckchen fielen der Mode gemäß auf die alabasterweiße Stirn, und um den kleinen Mund lag ein gedankenvolles Lächeln. Sie spielte mit dem Elfenbeinfächer und strich liebkosend mit seiner glatten Fläche über ihre Wange.

Army stand da drüben am Stamme der große Linde und sah gedankenvoll zu ihr herüber. Da war sie nun im Hause seiner Väter! Mit welch’ freudigem Herzklopfen hatte er sie erwartet, und nun schien es ihm, als flöge sie am liebsten, einem gefangenen Vöglein gleich, wieder hinweg aus dieser Einsamkeit in lautes, fröhliches Leben hinaus. Sie war so kühl; selbst ihre wirklich reizend eingerichteten Zimmer, die ihm so viel Nachdenken und Mühe gekostet, würdigte sie kaum eines Blickes.

Himmel! Es war doch eigentlich unbegreiflich leichtsinnig! Die Kosten betrugen mehr, als er zwei Jahre lang Gage und Zuschuß bekam. Aber bah – wenn er erst jene kinderkleine Hand dort fest in der seinen hielt, dann war ja diese ganze Angelegenheit überhaupt eine Lappalie! So hatte auch Großmama beschwichtigend zu seiner Mutter gesagt, die mit bangen Blicke die Tapezierer betrachtet und die neuen Livreen des alten Heinrich und des Dieners, der mit dem Goldfuchs und Blanka’s Reitpferd gekommen war, die nun an der lang verödeten Marmorkrippe standen. War doch sogar eine wirkliche Köchin auf diese Zeit gemiethet worden und hantirte nun in der großen Schloßküche herum – und dies Alles für jene kleine Fee, die da so theilnahmlos gegenüber saß!

Army seufzte und blickte hinüber zu dem imposanten Gebäude, das in der grellen Mittagssonne dalag; die glühende Luft zitterte auf dem spitzen Schieferdache, und dort in Blanka’s Zimmer bog sich eben die hübsche Kammerjungfer heraus und schloß die Fenster.

„Wie unvernünftig die Jungfer ist!“ rief Blanka und sprang aus dem Stuhle empor, „sie weiß, daß ich die Wärme liebe, und zudem diese entsetzliche feuchte Luft in den alten hohen Zimmern! Nelly, sag ihr’s – sie soll die Fenster offen lassen.“

Die Kleine lief wirklich nach dem Schlosse; sie war augenscheinlich froh, weg zu kommen aus der drückenden Langeweile.

„Welches sind eigentlich meine Zimmer, Army? Man findet sich in diesem Fenstergewirre nicht zurecht,“ fragte Blanka.

„Dort, Cousine,“ erklärte er und trat näher zu ihr; „dort im zweiten Stocke; Dein Ankleidezimmer stößt dicht an den Thurm.“

„Ah, das ist also die Thür, die so kunstvoll durch den grünen Stoff verborgen wird, – ich konnt’s nicht ergründen, ob hinter den festgenagelten Falten ein alter Wandschrank oder eine Thür verborgen sei. Uebrigens,“ fuhr sie fort, „warum gab man mir nicht das Thurmstübchen? Es muß reizend sein mit seinen runden Fenstern, und ich hätte doch Aussicht in’s Land hinein gehabt.“

„Es thut mir wahrhaftig leid, Blanka,“ sagte er, „ich hatte dieselbe Idee, aber Großmama scheint besondere Gründe –“

„So? Spukt es dort vielleicht?“ unterbrach sie ihn lebhaft.

Army lachte. „Leider nicht, Cousine; wenigstens weiß ich nichts davon; es müßte denn der Junker von Streitwitz umgehen, der sich einst um Dein reizendes Ebenbild erschossen hat, wie die Chronik berichtet.“

Sie überhörte die letzten Worte. „Army, ich bitte Dich, verschaffe mir das Thurmzimmer!“ Ihre Stimme hatte den süßen Ton eines bittenden Kindes.

„Ich werde noch einmal zur Großmama gehen, Blanka.“

„Aber bald, Army, bald!“ rief sie, und lächelte ihm zu.

Er sah sie ganz entzückt an. „Gewiß! Gleich!“ stotterte er, denn so strahlend hatte sie noch nicht einmal vor ihm gestanden, so lange sie hier war. „Blanka,“ fügte er dann hinzu, „ich habe Sorge, Du langweilst Dich hier gründlich.“ Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht.

„Ich bitte Dich!“ rief sie, „sprich das Wort nicht aus, erzähle mir lieber etwas, Vetter, bis ich hinauf muß, um zu Mittag Toilette zu machen! – Für wen macht man hier eigentlich Toilette?“ setzte sie hinzu, und zuckte die feinen Schultern. „Sag’ einmal,“ rief sie dann, und schaukelte schon wieder im Stuhl, „wer ist das junge Mädchen, gegen das Deine Großmama – nimm es mir nicht übel – grenzenlos unartig war?“ –

„Fräulein Lieschen Erving.“

„Das weiß ich, aber wer ist ihr Vater? Sie sprach von ihrer Equipage –“

„Der Vater ist der reichste Mann in der Umgegend, Blanka, Besitzer einer Papierfabrik – daher die Lumpenmalice der Großmama – Besitzer weitläuftiger Forsten, in denen wir Gelegenheit haben werden, spazieren zu gehen, da sie an unsern Park grenzen.“

„Und warum kann Großtante das Mädchen nicht leiden?“

„Ja, Blanka, was fragt die Großmama nach einem Warum? Sie hat von jeher eine unerklärliche Abneigung gegen das junge Mädchen gehabt; überdies ärgert sie es, daß Nelly so intim mit ihr verkehrt. Sie hält nun einmal streng am Standesgemäßen fest und hat darin im Grunde nicht Unrecht.“

(Fortsetzung folgt.)




Altdeutscher Leichenbrauch.
Heidenthum und Christenthum und der Friesenfürst Radbod. – Altdeutsches Begräbniß. – Die alten Gräber ein Abbild der Wohnungen. – Die Grabfunde bei Hallstatt. – Odin, der Leichenherr. – Sigurd und Brunhilde. – Begräbnisse in späterer Zeit. – „Nächtlich am Busento lispeln etc.“ – Ursprung der gothischen Grabdenkmäler. – Weiß, die Trauerfarbe der Germanen. – Leichenbrauch und Aberglaube sonst und jetzt.

Es ist mehr denn zwölfhundert Jahre her. Auf deutschem Boden kämpft das Christenthum mit dem Heidenthume um die Herrschaft. Hier und da erheben sich kleine Kirchen, und unter dem Schutze mächtiger Häuptlinge und Fürsten bilden sich Christengemeinden, aber daneben gelten noch immer die alten Götter, und ihre Bilder werden nicht selten von nachsichtigen Priestern in den Kirche neben dem Kreuze aufgestellt. Nur schwer vermögen die trotzigen Germanen die Lehre von der christliche Demuth und Feindesliebe zu fassen und zu verstehen. Da fragt der Friesenfürst Radbod kurz vor der Taufe den Bischof Wulfram: „Ehrwürdiger Vater, werde ich in dem Christenhimmel auch meine Vorfahren wieder finden?“

„Nein, sie sind ohne Taufe zur Hölle gefahren.“

„Gut, so will auch ich Eure Taufe nicht. Ich will lieber mit meinen tapferen Vorfahren in Walhalla zusammen sein, als in Eurem Himmel mit wenigen Unansehnlichen.“

Mit diesen Worten trat der Fürst vom Taufbecken zurück, und nichts vermochte seinen Sinn zu ändern.

Allmählich aber brach sich doch das Christenthum Bahn, denn der Gott der Christen erwies sich mächtiger als die alten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_724.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2016)