Seite:Die Gartenlaube (1878) 723.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Süperb, Blanka!“ rief Army, dessen Blick wie gebannt an der reizenden Erscheinung hing; „süperb! Fräulein Elise bei Renz reitet nicht besser.“

Er schritt langsam in einiger Entfernung neben ihr und blieb dicht an dem Tische stehen, denn eben wandte sich das Pferd und kam direct auf die Gruppe zu. Die Augen der alten Baronin funkelten vor Freude, war sie doch einst eine viel bewunderte Reiterin gewesen, und Sport ist ja eine der nobelsten Passionen.

Meraviglia, mein Engel!“ rief sie, als die junge Dame nun anhielt und, von Army gestützt, leicht aus dem Sattel glitt. „Du hast das Pferd fabelhaft in der Gewalt, aber, mia cara, wie kannst Du ohne Hut in dem Sonnenbrand reiten! Ich bitte Dich – Dein wundervoller Teint! Auf dem Lande muß man stets –“

„Ohne Sorge, Tante, ich verbrenne nie.“ Sie ließ sich nachlässig in einen Schaukelstuhl fallen, den ihr Army hinschob, ohne das junge Mädchen da drüben zu bemerken.

„Fräulein Elisabeth Erving, Nelly’s Freundin,“ sagte in diesem Augenblicke die junge Baronin mit einer vorstellenden Handbewegung, „und meine Nichte, Blanka von Derenberg!“ Blanka hob die Wimpern und erwiderte mit einem leichten Neigen des Kopfes, jedoch ohne die bequeme Lage zu ändern, die graziöse Verbeugung des jungen Mädchens. Ihre dunklen Augen blieben jedoch noch einen Augenblick verwundert auf ihr haften; dann griff sie zu dem Elfenbeinfächer, der an ihrer Seite hing, entfaltete ihn und verzog hinter diesem Schutz den kleinen Mund zu einem Gähnen.

Army hatte sich artig verbeugt und erwiderte auf die Frage seiner Mutter, wo Nelly nur bleibe, daß sie wahrscheinlich noch irgendwo im Parke weile. In demselben Augenblick kam Heinrich und führte das Pferd hinweg; der alte Mann sah in der neuen braunen Livrée so stattlich aus, daß ihn Lieschen zuerst gar nicht erkannte und ihn ganz verwundert anschaute. Die junge Dame im Schaukelstuhl bemerkte dies wohl, denn ein etwas spöttisches Lächeln flog einen Augenblick um den kleinen vollen Mund; sie schaukelte etwas heftiger, plötzlich aber hielt sie ein.

„Was macht Ihr hier den ganzen Tag?“ fragte sie, während schon wieder ein Gähnen hinter dem Fächer verschwand.

„Wir werden heut Nachmittag spazieren gehen,“ erwiderte Army rasch, „es giebt hier reizende Waldwege.“

„Spazieren gehen?“

„Wir haben leider keine Equipage zur Verfügung,“ bemerkte die junge Baronin einfach.

Die alte Dame lächelte spöttisch: „Die Bemerkung war sehr überflüssig, Cornelie.“

„Gehst Du nicht gern spazieren, Cousine Blanka?“ fragte Army, der in dem Sessel, seiner Mutter gegenüber, Platz genommen hatte.

„Nein!“ erklärte sie, ohne die Augen aufzuschlagen.

Der junge Officier biß sich auf die Lippen.

„Könnte man nicht den Amtmann um seinen Wagen bitten lassen, für ein paar Stunden?“ fragte er dann, „was meinst Du, Großmama?“

„Daß es eine ziemlich wunderbare Idee von Dir ist, Army; sich in dieses vorweltliche Institut zu setzen, kannst Du wohl kaum Jemandem zumuthen.“

„Aber Großmama! – Ich glaube allerdings, daß der Wagen gerade heute nicht disponibel sein wird, da die Familie gewöhnlich Sonntags selbst eine kleine Spazierfahrt unternimmt.“

„Ich verzichte ein für allemal,“ erwiderte die alte Dame abweisend.

„Darf ich vielleicht unsern Wagen anbieten?“ fragte Lieschen, „Vater würde sich gewiß ein großes Vergnügen daraus machen –“

„Das wäre ein Ausweg!“ rief Army; „wenn Du Lust hast, Blanka, so nehmen wir es an. Nicht wahr, Großmama?“

„Ich danke,“ entgegnete diese. Blanka aber sagte weder Ja noch Nein; sie richtete einen ihrer musternden, erstaunten Blicke auf das Mädchen in dem einfachen weißen Kleide da drüben, – wer war sie nur?

„Nun, entscheide Dich, Cousine!“ bat Army.

„Ja, entscheide Dich!“ fügte die Großmutter hinzu, während ein häßliches Lächeln um ihren Mund spielte. „Es ist nicht alle Tage Pfingsten, und an Werktagen haben die stolzen Pferde keine Zeit, weil sie – die Lumpenwagen heranholen müssen.“

„Vaters Wagenpferde sind keine Arbeitspferde,“ sagte Lieschen – ihre Lippen bebten, „sie würden dazu keine Zeit haben, weil sie Vater ausschließlich für meine Mutter bestimmte, der das Gehen leider sehr schwer fällt.“

„Ich will heute nicht fahren,“ erklärte Blanka, der das Wort „Lumpen“ einen Schauder eingejagt hatte.

„Ist hier viel Nachbarschaft?“ fragte sie.

„O ja,“ erwiderte Army freundlich, „indessen verkehren wir mit Niemand; Du weißt, ohne Equipage – –“

„Und in der nächsten Umgegend ist keine einzige Familie, mit der man anständiger Weise umgehen könnte,“ ergänzte die alte Baronin.

„So!“ sagte Blanka und lehnte sich wieder in den Sessel zurück, indem sie ihre langen goldig schimmernden Haare nach vorn schob und einzelne Strähne um den Finger zu wickeln begann.

Army war dunkelroth geworden, und warf einen raschen Blick zu Lieschen hinüber, die sich plötzlich erhoben hatte. Das liebliche Gesicht sah todtenbleich aus, und in den großen Augen schimmerte eine Thräne:

„Ich muß mich empfehlen, ohne Nelly gesprochen zu haben.“

„Es wird ihr leid thun, Lieschen,“ sagte die leidende Frau neben ihr, und reichte ihr die Hand; „vielleicht triffst Du sie noch im Park. Grüße die Eltern daheim und die Muhme!“

„Ich danke, gnädige Frau,“ erwiderte das Lieschen und wandte sich, nach einer Verbeugung gegen die Uebrigen, zum Gehen. Die dunklen Augen der alten Dame folgten der schlanken Gestalt mit kaum zu beschreibendem Ausdruck des Hohns.

„Gott sei Dank!“ rief sie tief aufathmend; „ich weiß nicht, was es ist, aber die Anwesenheit dieses Mädchens verdirbt mir jedesmal die Laune und reizt mich stets zu kleinen Bosheiten; sie hat eine so abscheuliche Manier, auf ihren Geldsack zu klopfen. Welche Arroganz, ihre Equipage zu offeriren! Und Du, Army, hättest sie um ein Haar angenommen! Sich in Lumpenmüllers Equipage zu zeigen, die jedes Kind kennt – unbegreiflich von Dir!“

In diesem Moment kam Nelly eilig aus der Allee; die blonden Locken flogen um ein erhitztes Gesicht. Das saubere, aber mehr als einfache Kattunkleid ließ den Fuß frei, der in kleinen, aber nicht zu zierlichen Lederstiefelchen steckte, und der schwarzen Taffetschürze sah man es an, daß sie zwar sehr geschont, aber doch längst die Zeiten hinter sich hatte, wo sie neu war.

„Was ist mit der Liesel geschehen?“ fragte sie athemlos, als sie näher kam. „Sie weinte.“

„Vor allen Dingen, Nelly, möchte ich Dich fragen, wo Du bis jetzt gewesen, und Dir sagen, daß es sehr unpassend für eine junge Dame ist so zu laufen. Und in diesen Kleidern?“

„Großmama!“ rief sie und lachte lustig, „wie komisch Du bist! Als ob ich je eine andere Toilette besessen hätte, als diese Kattunkleider! Ich kann doch unmöglich an diesem schönen Tage mein schwarzes Einsegnungskleid anziehen!“

Blanka wandte den Kopf, und einer jener kalten Blicke streifte über das geschmähte Kattunkleid. Ihre Kammerjungfer würde sich bedankt haben für diesen Anzug. Army aber wurde plötzlich dunkelroth; er erinnerte sich jetzt eines kleinen Zettels, in dem ein Goldstück gewickelt war, das Geburtstaggeschenk seiner Schwester, wo war der Zettel nur geblieben?

„Warum weinte Lieschen?“ wiederholte das junge Mädchen ungeduldig; „sie wollte es mir nicht sagen.“

Niemand antwortete ihr. „Army, sag’s doch!“ bat sie, und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

„Die Kleine scheint sehr empfindsam zu sein,“ erklärte an seiner Statt die Großmutter, „ich sagte etwas ganz Allgemeines, und das hat ihr Staatsbewußtsein höchlich gekränkt, aber es ist immer so mit diesen Leuten, sie stellen sich stets mit uns auf eine Stufe und können nicht vertragen, wenn man ihnen das Verkehrte solchen Unterfangens bemerklich macht.“

Nelly schwieg. Sie hatte aus dem Tonfall, mit dem die Großmutter die beiden Worte „diesen Leuten“ aussprach, genug gehört, um zu verstehen.

„Mir wird’s übrigens zu warm hier,“ fuhr die alte Baronin fort; „und ich ziehe vor mein kühles Zimmer aufzusuchen. Besuch ist mir jeden Augenblick willkommen,“ sagte sie, sich erhebend, und sah freundlich lächelnd zu der jungen Dame im Schaukelstuhl hinüber. Ihre dunklen Augen konnten so verführerisch liebenswürdig leuchten.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_723.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2016)