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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Das Leben und Treiben auf dem Meeresgrunde.
Bilder aus dem Aquarium zu Neapel.
Von G. H. Schneider.

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II.
Lauernde Grundfische. – Mütterliche Fürsorge des Katzenhais. – Väterliche Wachsamkeit der Schwarzgrundel. – Liebeswerbung und Eifersucht des Lippfisches.

Am häufigsten und bekanntesten von den Grundlaurern unter den Fischen sind die auf dem Tische sehr geschätzten Flachfische, also die Schollen, Butten und Zungen. Sie geben eines der schönsten Beispiele, wie die Natur die Form und Farbe der Thiere der Umgebung, das heißt dem gewöhnlichen Aufenthaltsorte derselben angepaßt, sodaß man erstere nur schwer dort zu bemerken vermag, wodurch sowohl die Angriffe auf nichtsahnende Beutethiere erleichtert sind, als auch zugleich ein Schutz gegen hungrige Feinde gegeben ist, also eine doppelte Zweckmäßigkeit für die Thiere. An der plattgedrückten Form wird der Laie, wenn die Fische auf dem Teller servirt werden, zunächst nichts Auffälliges finden; beobachtet man dieselben aber in ihrem Elemente, in ihrem Leben und Treiben auf dem Seegrunde, dann sieht man zu seiner Ueberraschung, daß gerade diese Form das beste Schutzmittel für diese Thiere ist, ohne welches sie bald zu Grunde gehen würden. Sie bewegen sich wie ein Band dicht am Boden hin, legen sich dann flach auf, und ihr Rand schmiegt sich so vollkommen an alle Unebenheiten des Grundes an, daß der Fisch mit denselben vollkommen eins zu sein scheint. Dazu kommt, daß die obere Flachseite immer genau so gefärbt ist, wie der Aufenthaltsort des Fisches, sodaß man das Thier nur mit der größten Aufmerksamkeit von seiner Umgebung zu unterscheiden vermag.

Sobald der Flachfisch sich vor Verfolgern noch nicht ganz sicher fühlt, macht er eine eigenthümliche schüttelnde Bewegung, durch welche er sich ganz mit Sand bedeckt; er scheint dann verschwunden zu sein. Giebt man aber weiter auf ihn Acht, so bemerkt man bald, wie die Augen, die allein noch bloß liegen, und die sich beide auf der einen Seite des Fisches befinden, sich nicht nur nach allen Seiten drehen, sondern sich auch unheimlich langsam emporheben, sodaß sie zuletzt auf einem Stiele zu sitzen scheinen und einen ganz freien Ueberblick über die nächste Umgebung haben. Dabei bewegen sie sich beide unabhängig von einander, wie beim Chamäleon. – In den zoologischen Werken ist gewöhnlich angegeben, daß außer dem Chamäleon nur die Flachfische dieses Vermögen haben, das ist aber ganz unrichtig. Ich habe die unabhängigen Augenbewegungen fast bei allen Fischen des Neapolitaner Aquarium sehr deutlich beobachtet.

Erscheint irgend ein Feind in der Nähe des Flachfisches, so werden die Augen schnell wieder eingezogen und bleiben unbewegt, sodaß nichts Lebendes mehr dort zu vermuthen ist; hat sich der Gefürchtete entfernt, so heben sie sich wieder langsam empor, drehen sich hin und her, fast im Kreise herum, und spähen nach Beute. Kommen nun kleine Fische, Krebse oder andere Leckerbissen in die Nähe, dann schießt der lauernde Räuber wie ein Blitz auf und packt die Opfer. Er würde diese nicht erlangt haben, hätte er es nicht verstanden, sich ganz unsichtbar zu machen, und hätte er als Mitgift zu seinem Dasein nicht die dazu so äußerst zweckmäßige Form und Farbe erhalten.

Die nach oben gekehrte Flachseite des Thieres hat hellere und dunklere Flecken, die von weitem ganz wie verschieden gefärbte Steinchen und Muschelschalenstückchen aussehen. Diese Flecken sind größer bei den Thieren, welche sich auf einem Grunde mit grobem Sande und größeren Steinchen aufhalten, kleiner bei solchen, welche auf feinerem Sande leben, und die Färbung ist ein eintöniges Grau oder Braun bei den Thieren, welche mehr Schlammgegenden bewohnen, ganz als hätte die Natur Alles überdacht, um die Thiere so gut wie möglich vor den Blicken Anderer zu verbergen. Diese Täuschung wird noch vollkommener durch die Eigenschaft dieser Fische, die Farbe oder Lichtstärke verändern und sie einer anderen Umgebung anpassen zu können. Läßt sich der Fisch auf hellerem Grunde nieder, so wird nach wenig Augenblicken auch seine Färbung heller, schwimmt er wieder nach einem dunkleren Gebiete, so nimmt er die vorherige dunklere Farbe wieder an.

Für den Beobachter hat es zuerst den Anschein, als ob dieser Farbenwechsel ein willkürlicher wäre, wer aber diese so häufig im Thierreiche vorkommende, für das Thier höchst zweckmäßige Erscheinung kennt und studirt, kommt bald zu der Ansicht, daß dieser Lichtwechsel nicht Wirkung des Willens, sondern eine rein physiologische Folge der äußeren Beeinflussung, der Lichteinwirkung ist, wovon das Thier jedenfalls eben so wenig merkt, als es uns zum Bewußtsein kommt, wenn sich die Pupille unseres Auges verengert oder erweitert, je nachdem wir in eine lichtvolle oder lichtarme Umgebung treten.

Bei anderen Thieren, bei vielen Eidechsenarten, dann bei fast allen Baumfröschen, ferner bei den Kopffüßlern (Cephalopoden) also beim Polypen (Kraken), bei der Sepia (den Tintenfisch) und auch bei anderen Fischen, insbesondere bei der Bachforelle findet dieser Wechsel der Farben- und Lichtwirkungskraft in viel auffälligerer Weise statt, ist viel mannigfacher und erfolgt weit rascher, so daß er bei diesen Thieren weit mehr den Eindruck der willkürlichen Thätigkeit macht als bei den Flachfischen. Und dennoch geht aus den neueren Untersuchungen über den Farbenwechsel des Chamäleons hervor, daß derselbe unwillkürlich und ein einfacher Lebensvorgang in Thierkörper ist. Man müßte im andern Falle auch bei diesen Thieren eine Licht- und Farbenunterscheidung annehmen, wie wir solche nur bei höheren Wirbelthieren, den Vögeln und Säugethieren kennen lernen.

Derartige an sich zweckmäßige Eigenschaften, wie wir sie an der Scholle kennen lernen, sind aber nicht vereinzelt. Alle Thiere, die wir kennen, sind zu ihrer Erhaltung und Fortpflanzung zweckmäßig gebaut; sonst wären sie eben nicht vorhanden. Wir können diese individuelle Zweckmäßigkeit gleich noch mehr bewundern. Im Aquarium zu Neapel giebt es immer ein oder mehrere lebende Exemplare von dem Sterngucker (Uranoscopus). Dieser Fisch hat sein Maul nicht vorn, sondern oben; es ist nicht horizontal, sondern vertical, und seine Augen stehen nicht seitlich, sondern ebenfalls oben, sind ihm auf den Rücken gewachsen. Die Lebensweise dieses Fisches erklärt seine Organisation. Er lauert in Sand und Schlamm auf Beute und vergräbt sich dazu so tief, daß nur die Augen noch über dem Boden hervorragen und der verticale Mund nun, wenn er etwas geöffnet ist, eine senkrechte Spalte bildet, die im Schlamme zu sein, aber keinem lebenden Wesen anzugehören scheint. Das Thier ist in dieser Lage vor feindlichen Spähern und Angriffen vollständig gesichert; das ist für ihn selbst zweckmäßig, für seine Verfolger unzweckmäßig. Seine Augen können trotz dieses Versteckes das Gebiet überschauen und nach Beute suchen, und sein eigenthümlich gestalteter Mund ist auch in dieser Lage, wenn der Fisch ganz im Sand vergraben ist, befähigt, die armen Opfer zu packen; das ist wieder eine Zweckmäßigkeit für ihn und zugleich eine Unzweckmäßigkeit für Andere.

Liegt nun der Fisch auf der Lauer und verspürt Hunger, und es zeigen sich in der Nähe kleinere Fische, so scheint es plötzlich, als kröche ein Wurm langsam aus der Erde heraus und krümme sich hin und her; die kleinen Fische, denselben bemerkend, umschwimmen ihn mit gierigen Blicken; bald nähert sich dieser, bald jener, endlich schnappt einer zu, und was geschieht? Fisch und Wurm verschwinden zu gleicher Zeit in den Grund, und zwar in die vermeintliche Schlammspalte, das heißt in den Rachen des Räubers. Dieser scheinbare Wurm ist ein langer walzenrunder Hautlappen im Munde des Sternguckers, ist seine Angel und sein Köder für die Beute, womit er dieselbe durch wurmförmige Bewegungen anlockt und, sobald sie anbeißt, verschlingt.

Ganz ähnlich wie der Sterngucker treibt es der Seeteufel, ein Fisch, der bei schmutzig brauner Schlammfarbe nur aus einem großen platten Kopf mit einem riesigen mit Zähnen reich besetzten Maule zu bestehen scheint, und dieses letztere hat bei der Länge von fünf Fuß, welche der Fisch erreicht, dann mindestens anderthalb bis zwei Fuß Breite. Das ganze Thier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_700.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)