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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Burg Nimmersatt.[1]
Von Rudolf Loewenstein.


War ein Geschlecht von Recken,
Gefürchtet in Dorf und Stadt,
So einst geherrscht mit Schrecken
Auf Veste Nimmersatt.

Es hauste sonder Schonen
Mit Schwert und Speer und Geschoß;
Der Bauer mußte frohnen,
Der Bürger zinsen dem Schloß.

Und Wehe, dreimal Wehe,
Wenn droben der Thürmer blies,
Dem Kaufherrn, der in der Nähe
Der Burg sich blicken ließ! –

Heut ziehn nicht Ritter noch Knappen
Auf Raub mehr aus und Gefecht.
Zerschellt ist dein Schloß und Wappen,
Du nimmersattes Geschlecht!

Die Recken sind all vergessen,
Die hier geschwungen das Schwert,
Und im Burgfrieden indessen
Ist Friede eingekehrt.

Ja, Friede liegt gebreitet
Rings um das verfallne Haus;
Kein Edelfräulein mehr reitet
Zur Reiherbeize hinaus.

Das wissen die klugen Reiher –
Kein Falk ist zu fürchten mehr –
Lustwandelnd schreiten am Weiher
Und fischend sie einher.

Und in der Eichen Geäste
Spottdrossel sich hören läßt:
„Schlaf fest, vesunkenen Veste,
Du Ritter- und Räubernest!“





August Petermann.

„Rasch tritt der Tod den Menschen an,
Es ist ihm keine Frist gegeben;
Er stürzt ihn mitten in der Bahn,
Er reißt ihn fort vom vollen Leben.“

So ist August Petermann in Gotha im besten Mannesalter, in rüstiger Arbeitskraft, im nur sechsundfünfzigsten Altersjahre aus dem Leben geschieden. Rasch und unerwartet hat der Tod am Morgen des 25. September dem künstlerisch geschmackvollsten Kartenzeichner den Griffel entwunden, den kritischen Schriftsteller einer Zeitschrift von Weltruf, den Leiter eines Theils des größten und vortrefflichsten geographischen Instituts in Deutschland aus dem Leben dahingerafft.

Seit dem Tode Alexander von Humboldt’s und Karl Ritter’s (1859) hatte die geographische Wissenschaft in Deutschland in Oscar Peschel ihren beredtesten Lehrer und Förderer verloren – in August Petermann verlor sie in Deutschland, vielleicht in der ganzen civilisirten Welt, den internationalsten Geographen.

Petermann’s Studirstube war das Reservoir, in welches alle Ströme und Quellen der verschiedensten geographischen Studien und Forschungen zusammenflossen, um hier von ihm in Wort und Kartenbild geklärt und befruchtend wieder in alle Welt geleitet zu werden. Petermann’s Studirstube war das Centralbureau für die ersten Berichte über wissenschaftliche Reisen und geographische Entdeckungen, über geographische Forschungen und Arbeiten aller Art in den fernsten Ländern und Meeren, die von hier aus gesichtet, verarbeitet und in alle Welt weiter verbreitet wurden. Seine außerordentlich umfangreiche, sorgfältig erhaltene Korrespondenz ist für die Geschichte der geographischen Wissenschaft in den letzten Jahrzehnteten eine eigenartige, überaus reiche Quelle authentischer Mittheilungen, wie sie kein Privatmann

  1. Die Ruine Nimmersatt befindet sich bei dem Dorfe gleichen Namens im Kreis Bolkenhain im Regierungsbezirk Liegnitz, dabei Schlucht „Augustwinkel“ und Colonie „Bettelfichte“. Die Burg gehörte lange Zeit zu den gefürchtesten Raubnestern Schlesiens.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_697.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)