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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

sie langsam aus dem Boden heraus und umschleichen das Opfer mit einer Vorsicht und Geschicklichkeit, die dem Fuchs keine Schande machen würde. Sie umgehen die Beute behutsam und benutzen dabei jeden Stein und jede Muschelschale listig als Deckung; haben sie sich nahe genug herangeschlichen, dann stürzen sie sich nach Raubthierart plötzlich auf ihr Opfer und zerreißen es. Kann die Krabbe ihre Nahrung bequemer haben, so greift sie ruhig zu. Von einer lebenden Schnecke rupft sie sich, wie ich beobachtet habe, gemüthlich ein Stück ab und frißt es. Begegnet sie einer anderen Krabbe, die mit Algen oder Thierstöckchen bewachsen ist, so langt sie mit der Scheere hin, kneipt sich einige derselben, ohne erst zu fragen, ab und läßt sie sich schmecken. Sehr häufig schießt eine Krabbe auf eine andere schwächere ihrer Art zu, packt sie mit fast allen Beinen, und man glaubt dann schon, es werde zu einem Kampfe auf Tod und Leben oder – zu einer Liebesscene kommen; allein was geschieht? Während sie den Gefangenen mit mehreren Fußpaaren festhält, liest sie ihm mit der einen Scheere die Parasiten von seinem Rücken ab und frißt diese, ganz so, wie es zum Entsetzen des Berliner Thiergartenpublicums die Affen machen. Nahen sich, während eine Krabbe mit Fressen beschäftigt ist, zudringliche Bettler, Diebe und Räuber, so haut sie mit den Füßen, ohne das Fressen einzustellen, muthig auf sie ein oder verbirgt ihren Bissen ganz hinter ihren Scheeren, genau so wie Kinder ihre Leckerbissen an die Brust drücken und mit den Händen bedecken, wenn andere Leckermäuler kommen und etwas begehren.

Die Art, wie die Krabben, überhaupt alle zehnfüßigen Krebse, Nahrungsgegenstände mit den Scheeren nehmen, sich kleinere Stücke von größeren Leichen abrupfen und zum Munde führen, läßt sich nur mit dem Fressen der höheren Wirbelthiere vergleichen und hat etwas ganz Menschliches. Diese Krebse benutzen ihre Scheere wie der Mensch seine Hände. Beim Abrupfen der Stücke, etwa von einem todten Fische, hält der Krebs seine Beute mit der linken Scheere fest und rupft mit der rechten ganz so, wie wenn wir mit den Händen ein Stück Tuch zerreißen.

Noch mehr als die Gewohnheiten zum Nahrungsgewerbe verdienen die Schutzgewohnheiten der Krabbe unsere Bewunderung.

Im Neapolitaner Aquarium sieht man an den Wänden des Krebsbassins eine Menge orangerother Klumpen, die an den Steinen festgewachsen scheinen; das sind Spongien (meist Sarcotragus spinosulus) die aber nicht dort an den Steine, sondern – auf den Rücken von Krebsen sitzen, welche die Spongien mit besonderen Rückenfüßen festhalten, um gegen feindliche Angriffe geschützt zu sein. Löst man eine solche Spongie von der Wand ab, so findet man unter derselben einen dunkelgrünen oder braun gefärbten kräftigen und knollenförmig gebauten Krebs (Dromia vulgaris) mit starken Scheeren, die er dem Ruhestörer drohend entgegenhält. Es ist ein unbeholfenes plumpes Thier, und seine ganze Kruste ist mit rauhen, filzigen Haaren bedeckt, weshalb man den Krebs Wollkrabbe nennt, während man ihn besser als Filzkrabbe bezeichnen würde. Seinen lebenden Schild und Schirm hält er mit den zwei rückgebildeten und auf den Rücken verschobenen Fußpaaren sehr fest und trägt ihn bei seinen unbeholfenen Ortsveränderungen stets mit sich herum, was einen komischen Anblick insbesondere dann gewährt, wenn noch irgend eine von den bizarren Krabben als buckeliger Reiter auf dem Schwamme hockt und sich gemüthlich mit herumtragen läßt. Bei jeder Berührung duckt sich die Wollkrabbe so auf ihre Unterlage, daß die Spongie dieselbe fast berührt und der Krebs vollständig darunter versteckt ist. Fräulein Johanna Schmidt hat in der neuen Auflage von Brehm’s „Thierleben“ die Wollkrabbe mit ihrer Spongie sehr hübsch und naturgetreu wiedergegeben!

Ganz ähnliche Schutzgewohnheiten wie die Wollkrabbe haben deren Verwandten. Zuweilen bemerkt man zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß ein Muschelschalenstück, ein Stein, ein Algenblatt oder sonst ein Gegenstand, der auf dem Grunde liegt, sich plötzlich bewegt und – davonrennt. Bei genauer Beobachtung sieht man nun, daß diese Dinge ebenfalls durch eine Krebs (Dorippe) bewegt werden, welcher sie als schützenden Schild mit seine Rückenfüßen frei über sich hält und sich meist ganz auf den Boden duckt oder sich selbst noch in den Sand vergräbt, sodaß der Unkundige absolut nichts von dem Thiere und nur der Kenner vielleicht die Augen und zwei Taster sieht. Der Krebs ist ganz glatt gebaut und hat an den Beinen sehr lange Krallen und zwei dickbauchige Scheeren. Wenn er sich fortbewegt, schleicht er, ganz flach auf den Boden gedrückt, umher, hält seinen Schild frei über sich und richtet ihn bald nach dieser, bald nach jener Seite, je nachdem ihm von vorn oder hinten, von links oder rechts irgend welche Gefahr droht, und das macht er mit einer Gewandtheit und Ueberlegung, die den Beobachter immer in Erstaunen setzt. Deckt ihn sein Schild unvollkommen und er findet einen passenderen Gegenstand, so tauscht er, wirft den einen weg, kriecht erst von hinten unter den andern und schiebt ihn dann mit seinen Rückenfüßen noch vollends so weit vor, bis er sich vollständig gedeckt weiß.

Andere Krabben haben es darauf abgesehen, sich ganz unsichtbar oder unkenntlich zu machen, und einige verstehen das ganz meisterhaft. Bestellt man bei einem Fischer die Seespinne (Maja), so bringt er einen Kübel, der absolut keine lebenden Thiere zu enthalten und dafür nur mit Steinen, die mit Algen bewachsen sind, gefüllt scheint. Man nimmt einen solchen vermeindlichen Stein in die Hand, und auch dann rührt sich vielleicht noch nichts. Legt man das räthselhafte Ding auf den Tisch, so sucht es sich nun auf einmal auf und davon zu machen und sich zu verstecken; wendet man es nun um und sieht es genauer an, so bemerkt man zu seiner Verwunderung, daß der erst scheinbar todte Körper ein Krebs ist, dessen Rücken und Beine aber ganz dicht mit allerlei Algen bedeckt sind, welche alle festgewachsen scheinen und es zum Theil auch in der That sind.

Löst man diese Seepflanzen von dem Thiere ab und reinigt dessen Rücken, der eine Schicht von Schlamm oder Sand aufweist, noch mit einer Bürste, so sieht man, daß Rücken und Beine mit kurzen, dicken, borstigen Haaren besetzt sind, die in geordneten Doppelreihen stehen und an der Spitze alle zu Häkchen umgebogen sind, an welch letztere die Algen vom Krebs selbst befestigt werden. Wir setzen nun eine so gereinigte Seespinne in ein Bassin, in welchem sich verschiedene Algen befinden, und genießen ein ganz reizendes und überraschendes Schauspiel. Der Krebs untersucht die Pflanzen, biegt einen kleinen Büschel zu sich heran, hält die Spitze mit der linken Scheere und kneipt mit der rechten diese Büschel ab, so handlich, wie wenn ein Mensch mit den Händen etwas abbricht oder mit einer Scheere abschneidet. Diesen abgeknippenen Büschel führt er nun mit beiden Scheeren zum Munde, wie es scheint, um das untere Ende zu untersuchen. Nun packt er den Büschel sehr manierlich mit einer Scheere in der Weise, wie wir einen Blumenstrauß in die Hand nehmen, führt ihn langsam und bedächtig nach seiner Stirn, setzt ihn dort auf und bewegt ihn hin und her, bis er sich in die gekrümmten Haare eingehakt hat. Ist das gelungen, so zieht er noch einmal daran, um zu sehen, ob die Pflanze fest sitzt; ist es so, dann führt er seine Scheere wieder langsam nach unten, greift nach einem neuen Büschel und wiederholt das ganze Manöver, und das so oft und so lange, bis er Stirn, Rücken und Beine mit den Pflanzen dicht besteckt hat.

Auf die Stirn setzt er, was das Wunderbarste ist, meist einen oder zwei große Büschel und an die Seite mehrere Reihen kleinere. Wenn er mit seinen Scheeren diesen Stirnschmuck einhakt, denkt man unwillkürlich an eine Dame, die ihre Kopfputz zurecht macht und sich Nadeln einsteckt. Der Hauptzweck dieses Aufputzens mit Seepflanzen ist wohl der, sich unkenntlich zu machen. Allein diese Thiere schmücken sich oft oder meist in einer so eigenthümlich wählerischen Weise, daß man meinen möchte, sie thun es auch mit einer gewissen Eitelkeit. Man gewinnt bei von mir und Andern häufig gemachten Beobachtungen der Krebse ein ganz anderes Urtheil über die psychische Befähigung der Gliederthiere, wenn man auch annehmen muß, daß die natürliche Selection bei diesen Geschöpfen, deren Verwandte schon in den ältesten Schichten gefunden worden, eine großen Theil zur Entwickelung ihrer Gewohnheiten beigetragen hat. Das umstehende Bild zeigt neben den übrigen eben besprochenen Seethieren in der obere Ecke links so eine in vollem Staate befindliche Seespinne – gewiß zum Amüsement der Leser.

Zuweilen bestecken sich diese seltsamen Geschöpfe auch ganz unregelmäßig mit allen möglichen Dingen, einzelnen Algenfetzen, Fasern, gebleichten Blättern, Holzsplittern u. dergl. m., und Niemand wird dann unter einer solchen Decke ein lebendes Wesen vermuthen. Haben sie keine Pflanzen, dann wissen sie sich anders zu helfen. Sie graben sich zum Theil in den Sand, wobei sie bedächtig einzelne Steinchen mit der Scheere unter sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_674.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)