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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Kindergrab unzerstört erhalten, aber der päpstliche Permiß, welcher dem gewöhnlichen Sterblichen jetzt den Zutritt zu dieser geheiligten Stätte zu erlauben hat, bedroht jeden mit Excommunication, welcher es wagen würde, hier ein Steinchen aufzuheben. Auf der entgegengesetzten Seite desselben Thales leuchtet uns ein erfreulicheres Bild entgegen. Dort krönt ein kleiner Olivenwald die Kuppe eines Hügels – in der sonst fast baumlosen römischen Campagna ein seltsamer und befremdlicher Anblick.

Wir setzen unsern Weg auf der Via Appia fort. Von dem Grabmal der Cäcilia Metella an mehren sich auf beiden Seiten die Trümmer heidnischer Grabdenkmäler. Die Straße selbst, deren antikes Pflaster hier zu Tage tritt, ist so schmal, daß auf ihr kaum zwei Wagen einander auszuweichen vermögen. Von den meisten der dicht an der Straße stehenden Bauwerke ist nur noch der rohe Mauerkern erhalten, aber der wegen seiner Vortrefflichkeit berühmte römische Mörtel hat ihnen eine solche Festigkeit verliehen, daß sie oft Ihre ursprüngliche Höhe noch einnehmen, während ihre grotesken Formen ihnen das Ansehen wilder in die Luft starrender Felszacken geben.

Welchen Anblick die Campagna in der römischen Kaiserzeit geboten haben mag, als noch zu beiden Seiten der Heerstraßen die Villen der Großen im buntem Gemisch sich ausdehnten, davon können wir uns heute kaum eine Vorstellung machen. Das Geröll der Schutthaufen weist wohl manches Stück kostbaren Marmors auf, mit welchem die Gemächer jetzt völlig verschwundener Paläste ausgelegt waren, und hin und wieder findet auch ein Hirt eine Münze, ein altes Blech oder eine Scherbe mit alten Buchstaben, deren Deutungen das Entzücken der Archäologen bilden.

Ueberblickt man die ganze Campagna von einem höher gelegenen Standpunkte, so wirkt die Uncultur des Landes um so ergreifender, als dann die verstreuten elenden Wohnhäuser meist verborgen bleiben. In der breitgestreckten Fläche sucht das Auge unwillkürlich nach einem Ruhepunkte, und da bemerkt es denn eine größere oder geringere Anzahl gerader, die Landschaft durchstreichender Linien, welche insgesammt von einem Mittelpunkt, der in der Ferne undeutlich wahrnehmbaren Stadt, auslaufen. In den einen erkennen wir die Gräberstraßen wieder. Die anderen, aus dicht an einander gereihten, durch Bogen verbundenen Pfeilern bestehend, sind die Aquäducte, die Wasserstraßen des alten Rom. Noch heute sind einige dieser Aquäducte zum Segen der Stadt erhalten.

Den Eindruck, den die Scenerie der Campagna auf das Gemüth macht, kann man wohl nur mit der Empfindung vergleichen, welche uns erfüllt, wenn wir die Trümmerfelder der classischen Antike im Orient betreten. Ephesus, Sardes, Baalbek, Palmyra, jene in eine Wüstenei umgewandelten Stätten einer Cultur, von deren Früchten wir noch zehren, sie üben auf unsere Seele denselben tiefen Eindruck aus. Während aber diese denkwürdigen Ruinenfelder des Orients ganz im Einklange mit dem landschaftlichen Charakter der antiken Culturländer überhaupt stehen, umgiebt die römische Campagna eine Stadt, welche nicht nur den nationalen Mittelpunkt des schönsten Landes von Europa bildet, sondern auch, in sich selbst unabhängig, die Stätte regsten Verkehres geblieben ist. Wie es möglich ist, daß Italien, der Garten Europas, zu seinem Mittelpunkte eine Stadt hat, deren nächste Umgebung auf die Dauer von Jahrhunderten und, wie es scheint, auch noch für eine lange Zukunft von einer durch Fieber verpesteten Einöde rings umschlossen ist – für diese unmöglich scheinende Thatsache kann nur die Geschichte eine Erklärung geben. Es offenbaren sich darin die tragischen Consequenzen des Falles der Welthauptstadt im Mittelalter. So mächtig ist jene Katastrophe gewesen, daß ihre Spuren unvermischt bleiben.

Die Campagna ist bekanntlich der Schauplatz der ersten Kämpfe der Römer. Gegen 350 Jahre brauchten sie, um all die Städte und Völkerschaften zu unterwerfen, welche darin ansässig waren, und in ebenso viel Jahren, von da an gerechnet, machten sie den ganzen Weltkreis sich unterthänig. In der Zeit des höchsten Glanzes der Hauptstadt war die Campagna nicht mehr der Sitz jener Bevölkerung, welche in der ersten Geschichte der Republik eine so wichtige Rolle spielte, und die Mehrzahl der in den Urzeiten berühmten Ortschaften war unter der Herrschaft der Kaiser kaum noch dem Namen nach bekannt. Als die germanischen Völkerschaften in das Tiberthal herabstiegen und Gothen und Byzantiner in nur zu häufigem Wechsel um die Mauern Aurelian’s beutegierig lagerten und gegen dieselben Sturm liefen, da war natürlich aller Reichthum der Campagna, die zahllosen Villen der Großen, die das Land bedeckten, einer schonungslosen Vernichtung preisgegeben, und da die Stadt selbst Jahrhunderte hindurch nicht im Stande war, von den furchtbaren Schlägen sich zu erheben, um wie viel weniger die Campagna! Mittelalter und Renaissance haben wohl die Stadt wieder emporgehoben, aber die Campagna ist dieselbe geblieben, öde und traurig.

Nimmt man die wenigen Villen der Großen, der Albani, Pamfili, Borghese, Patrizi aus, so darf man wohl annehmen, daß die Landschaft wesentlich denselben Charakter noch bewahrt, wie einige Jahrzehnte nach ihrer Verheerung im Beginn des Mittelalters. Ja noch weiter zurück, in die Zeiten der frühesten Geschichte Roms, müssen wir uns versetzt fühlen angesichts der in elenden Hütten wohnenden Bevölkerung, welche der urrömischen nicht nur an Anspruchslosigkeit und Einfachheit der Sitten nahe kommt; nein selbst in der persönlichen Erscheinung, sogar in der Bekleidung, scheinen hier Erinnerungen an die Antike sich fortzupflanzen. Bei rauhem Wetter wirft der Campagnole den togaartigen Tuchmantel um seine Schultern, und als Fußbekleidung dient ein einfaches Stück Leder, welches durch kreuzweis um die Unterschenkel gewundene Riemen festgehalten wird, wie wir es ähnlich in den Darstellungen von Hirten auf altrömischen und pompejanischen Fresken sehen. Die Oberschenkel tragen die Bewohner der Campagna in Ziegenfelle gehüllt, die langen Zotten nach außen gewandt; selbst im Sommer legen sie dieses scheinbar sehr entbehrliche Bekleidungsstück nicht ab, welches uns unwillkürlich an den mythischen Pan-Typus erinnert.

Ein träges, aber entbehrungsvolles Dasein führend, leben die Campagnolen als Hirten ihrem eintönigen Beruf. In großen Schaaren kann man sie Sonntags auch in Rom antreffen, denn so arm ist das Land im Umkreise der Stadt, daß seine Bewohner genöthigt sind allwöchentlich zur Stadt zu gehen, um den Brodvorrath einzukaufen. Man sieht sie dann an den Nachmittagen in großen Schaaren auf dem Heimwege nach ihren oft meilenweit entfernten Hütten, auf dem Rücken eines Jeden an eine Schnur gereiht sieben Laibe Brod, welche ihnen dann für die Woche mit Milch und Käse als Nahrung dienen. Fleisch bleibt ihnen unbekannt; sie leben wie die Senner in den Hochalpen, denen sie übrigens in ihrer kräftigen und gesunden Erscheinung nicht nachstehen. Doch begegnet man wohl auch Gestalten, welchen nur zu deutlich die alle Lebenskraft zerrüttenden Folgen der römischen Malaria auf der Stirn geschrieben stehen. Die harten Entbehrungen ihrer Existenz verleiten wohl auch manchmal diese Natursöhne, einen verwegenen Streich gegen den Fremdling auszuführen, welcher so ohne jeden für sie plausiblen praktischen Zweck ihr Gebiet durchstreift, und ihre nicht leicht abzuwehrenden Hunde leisten ihnen bei solchen Ueberfällen treffliche Dienste. Doch sind’s im Großen und Ganzen gutmüthige Charaktere, und auch da, wo sie begehrlich auftreten, sind sie leicht zu befriedigen, sobald man nur zu ihnen „auf römisch“ spricht und vor allen Dingen das ständige Bedürfniß nach Tabak und Cigarren reichlich stillt. Ist es doch allgemeiner Glaube unter ihnen, daß mit dem Rauchen die Schädlichkeit der Fieberluft aufgehoben werde.

Es giebt wohl kaum eine Stadt in der Welt, wo Künstler, insbesondere Maler, so heimisch wären, wie gerade in Rom. Unter diesen sind natürlich die Landschaftler vor allen Dingen auf die römische Campagna angewiesen, und ihre Productivität hat es veranlaßt, daß die bildlichen Darstellungen derselben uns ziemlich vertraut sind. Die treffliche Composition von der Hand des eine Reihe von Jahren in Rom thätigen Künstlers Louis Schulz, welche uns beistehender Holzschnitt vorführt, gewährt uns einen Blick auf die der Via Appia nahe gelegenen Theile der Campagna. Neben der Bogenreihe einer alten zerfallenen Wasserleitung erblicken wir rechts einen großen unter dem Namen Roma Vecchia bekannten Ruinencomplex, ehedem eine ausgedehnte Villenanlage, und die Tenuta oder das Gehöft auf der andern Seite des Bildes darf als ein nicht minder charakteristisches Wahrzeichen der römischen Campagna gelten; denn da weitaus der größte Theil des Terrains in der Hand großer Grundbesitzer liegt und an große Unternehmer verpachtet wird, so wird die Bewirthschaftung Verwaltern übergeben, welche mit ihren Leuten diese Gehöfte (tenuta, casale) bewohnen.

Nicht blos die Campagna, sondern auch die Landschaftsmalerei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_639.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)