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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

gleichgesinnter Freunde seine Muse. – Als er sein Ende nahe fühlte, sammelte er noch einmal seine Freunde um sich. Und da kam der Geist über ihn; alle Strahlen seines fliehenden Schaffensvermögens drängten sich zusammen; er ließ noch einmal den „Bellman“ hören; er sang mit überströmender Inspiration das Lob seines Königs; er dankte der Vorsehung, die ihn geboren werden ließ, in diesem nordisch schönen Lande, unter einem edlen Volke; dann leerte er zum letzten Male den Becher, hing seine Laute an die Wand und sang von dieser Stunde kein Lied mehr.

Und doch war Bellman im Ganzen eine mehr einsame und scheue, als eine gesellige Natur, rasch verstimmbar, wenn ihm die Gesellschaft nicht behagte, im Augenblicke, wenn ihn etwas empfindlich berührte, von toller Lustigkeit zu Ironie und stahlscharfem Sarkasmus überspringend. Mit Vorliebe suchte er die Locale auf, wo sich damals bei dem Tone einer Geige fröhliche Menschen aus den unteren Volksclassen versammelten. Da setzte er sich bei einer Flasche Halbbier, die Pfeife im Munde, in eine Ecke, sah sinnend in das Gewimmel hinein und studirte sich die Originale zu seinen Figuren heraus, die, zu Typen geworden, durch seine Lieder und Episteln hindurchgehen. – Mit diesen seinen Lieblingsgestalten, mit Movitz, Mollberg, Ulla Windblad etc. hat er wohl nie ein Wort gewechselt, aber sie sind ihm, wie einem Landschaftsmaler ein eigenthümlicher Baumstamm, Modell gestanden. Welche köstliche Schilderung einer solchen Volksunterhaltung in den folgenden Versen:

„Geigen kreischen und Trompeten;
Paare stoßen sich und treten;
Lust erschallet laut.
Ulla Windblad, theures Mädchen,
Tanzest zierlich wie ein Rädchen,
Jedes Mannes Braut.
Hurrah! Seht, wie sie sich schwingen,
Ihren Mädchen Gläser bringen,
Trinken, Schelmenlieder singen,
     Bis die Nacht
Ihrer Freud’ ein Ende macht!“

Wie in Stockholm die süßen Wellen des Mälarsees und die salzigen der Meeresfluth sich nahe begrenzend in einander hinüberspülen, so liegen in Bellman’s Liedern bacchantische Lust und herzerschütternde Töne des Ernstes hart neben einander. Möge dies das folgende Gedicht neben dem eben citirten heiteren beweisen:

„Ach, alt bin ich nun, bald aus ist der Spaß,
Genossen die irdische Weile.
Der Tod stellt sein Stundenglas neben mein Glas,
Streut mir um die Flasche die Pfeile.
     Durstig ich schau’ zu den Sternen empor;
     Geister singen den Abschiedschor –
     Movitz! Spiel’ auf, ich hab’ Eile. –

Mein elend’ Geripp, zu Nichts war es gut,
Als Qualen und Schmerzen zu haben.
Ich diente Gott Bacchus mit Gut und mit Blut
Für seine verderblichen Gaben.
     Venus und Bacchus! Geschieden muß sein. –
     Movitz, o lasse mein morsches Gebein
     Bei meinen Vätern begraben.“

Mit eigentlichen Nahrungssorgen hatte der Dichter niemals zu kämpfen. Gustav der Dritte, dessen königlichen Schutzes er sich erfreute, stellte ihn als Secretär bei der Lotterie mit einem Jahresgehalte von dreitausend schwedischen Reichsthalern an. Doch das Rechnen war Bellman’s starke Seite nicht und das Bureaugehen wollte ihm nicht behagen. Mit Erlaubniß des Königs überließ er einem Andern die Stelle und begnügte sich mit der Hälfte des Gehalts.

Er war von einer aufopfernden Nächstenliebe. Wenn es zu helfen galt, schrak Bellman, wenn er nicht selbst bei Mitteln war, davor nicht zurück, seine Kunst im Dienste der Wohlthätigkeit zu verwerthen. Als Bengt[WS 1] Lidner, ein schwedischer Poet, 1793 starb, trat Bellman einige Tage nachher in’s Zimmer der armen, traurigen Wittwe, gab ihr fünfzig Thaler und sagte mit freudeglänzendem Gesichte: „Das habe ich für Dich zusammengesungen.“

Bellman starb am 11. Februar 1795 an der Lungenschwindsucht und wurde auf dem Clara-Kirchhofe begraben. Seine Grabstätte ist unbekannt, wie jene des schlesischen Dichters Christian Günther, einer im Lebensgange und in der Art und Eigenthümlichkeit der poetischen Production Bellman nahe verwandten Erscheinung. Bei seinem Volke blieb aber der Dichter unvergessen, ja, seine Popularität wuchs von Jahr zu Jahr. Immer vollständigere und sorgfältigere Ausgaben seiner Dichtungen erschienen, Scenen aus seinen Episteln wurden von schwedischen Malern entworfen und sogar auf Porcellan nachgebildet, und endlich wurde 1829 des Dichters kolossales Brustbild, von Byström’s Meisterhand verfertigt, am 26. Juli im königlichen Thiergarten zu Stockholm feierlich enthüllt und dieser Tag zu einem jährlich wiederkehrenden Nationalfeste geweiht.

Als ich meine Reiseroute nach Skandinavien entwarf, war ich darauf bedacht, an diesem 26. Juli sicher in Stockholm zu sein.

Nie habe ich mir von Gott inniger blauen Himmel und heitere Luft erfleht, als für diesen 26. Juli. Warm und hell und lusterweckend schien die Sonne an dem Festtage, und schon in den ersten Nachmittagsstunden wogten Tausende zu Fuße und in langen Wagenreihen, ein farbenreiches, buntes Gewimmel, über die Brücken dem Thiergarten zu, während auf dem Seewege menschenüberfüllte Dampfboote und kleine segelgeschwellte Schiffe pfeilschnell dem beliebten Belustigungsorte, dem heutigen Festplatze, zuflogen. Unwillkürlich schwebte mir Bellman’s Schilderung in einer seiner Dichtungen vor:

„Sonne scheint so warm und lind;
Wasser ohne Wellen,
Und der frische Abendwind
Macht die Segel schwellen.
Wimpel flattern; stillvergnügt
Alles sich im Boote wiegt.“

Der Thiergarten ist ein Inselpark von einer großen Ausdehnung und unvergleichlicher Schönheit. Nahe am See ziehen sich breite, von riesigen Bäumen eingefaßte Alleen dahin, und hinter diesen reihen sich Schaubuden, Theater, Gasthäuser, Ringelspiele, Tanzböden und andere Belustigungsorte nahe an einander. Hierin ähnelt der Thiergarten dem Prater in Wien; was ihn aber vor diesem und vielleicht vor jedem ähnlichen, der Volkserholung und Freude gewidmeten Orte auszeichnet, ist, daß man diesen wohlgepflegten Alleen nur den Rücken zu kehren braucht, um schon nach wenigen Schritten mitten in der Großartigkeit wilder, nordischer Felsnatur zu stehen. Aus grünem Moose und Bergkräutern bricht der braune Granit hervor, und uralte Eichen, wie aus Odin’s Zeiten stammend, krümmen ihre Wurzeln um die Steine und strecken, Stürmen trotzend, hoch den kaum von den Armen dreier Männer zu umspannenden Stamm empor, und wohin man klimmt auf diesen mäßig sich hebenden Felshügeln, auf welchen überdies zwischen Waldesgrün reizende Landhäuser, Sommerfrischen der Stockholmer, durchschimmern, überall öffnet sich eine reizende Fernsicht nach dem lieblichen Mälar, nach der grünen Salzsee und auf die große, prächtige, mit Kirchen und Palästen geschmückte Stadt, überall andere, überall immer schönere Ausblicke bietend.

Einem der Felshügel nahe, an waldesfrischer Stelle, von zwei riesigen Eichen beschattet, steht die kolossale Erzbüste des Volksdichters Bellman. Ein frischer Eichenkranz ziert heute des Dichters Haupt, und mit Blumenkränzen ist der Granitsockel des Standbildes umwunden. Etwas Lebensmüdes, Schläfriges, Tiefmelancholisches liegt um die Augen des Dichters, während ein lüsternes, schalkhaftes, weltbeseligtes Lächeln um die vollen, sinnlichen Lippen sich lagert. Hinter dem Standbilde ist heute eine mit den Wappen sämmtlicher schwedischen Städte geschmückte Balustrade für ein Orchester errichtet; an diese grenzt ein abgeschlossener, jetzt noch leerer Raum, bestimmt die Sänger aufzunehmen. Buntfarbige Lampions hängen an den Bäumen, und eine nach Tausenden und Tausenden zählende, mit jeder Minute mehr anwachsende Menge lagert sich um den Bellman-Platz, so weit das Auge reicht, und gruppirt sich amphitheatralisch unter den Eichen und Nadelhölzern bis zu den höchsten Felsengipfeln hinauf.

Hunderte von Tischen stehen im Waldesgrün, improvisirte Schenken, umdrängt und umlagert. Ueberall ist freudiges Behagen, stiller Lebensgenuß, seliges Genügen. – Kein lautes Wort, kein roher Lärm! Wie im Abendwinde die Bäume lispelnd ihre Blätter bewegen, so flüstern sich diese Tausende von Menschen ihr Empfinden und ihre Freude in schöner Vertraulichkeit zu.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Beugt
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_609.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)