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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Diese Nothwendigkeit, sich verkriechen, das Werk der eigenen täglichen Arbeit fort und fort unter dem Namen Anderer in die Welt senden zu müssen, hatte an sich schon etwas Schmerzliches, sie führte aber auch Unzuträglichkeiten mit sich, und dieser peinlichen Situation hätte Keil später ein Ende machen können, wenn er den ersten Schritt gethan und an die Regierung ein Gesuch um Restituirung gerichtet hätte. Es wurde ihm dies vielfach nahe gelegt, aber schon der Gedanke zu einem derartigen Entschlusse lag der Weise seines Denkens gänzlich fern. Der Widerspruch zwischen seiner Persönlichkeit und jener Aechtung lag vor aller Welt zu offen, als daß er sich dabei als der Beschämte hätte fühlen sollen. Bei einem Festmahle der Leipziger Buchhändlerbörse saß er einst, seiner Gewohnheit nach, fern von dem geräuschvollen Theile der Gesellschaft, als plötzlich ein ihm befreundeter Nestor der Buchhändlerwelt in freudigster Erregung auf ihn zustürzte, ihn umhalste, seinen Arm ergriff, ihn mit sich fort bis zu einer Gruppe zog, in deren Mitte der in unserer deutschen Geschichte hinlänglich gekennzeichnete Minister Herr von Beust des strömenden Champagners sich erfreute, nachdem er seine angeheiterten Zechgenossen durch ein Hoch auf die „Preßfreiheit“ in einen wahren Begeisterungsrausch versetzt hatte. Als Keil den Mann erblickte, dämmerte ihm ein Licht auf, er blieb stehen, hielt seinen Begleiter mit beiden Händen fest und sagte: „Halt, erst muß ich wissen, wohin Sie mich führen wollen.“

„Freundchen, es weht ein anderer Wind, es wird Alles gut, Ehrenrechte wieder, mit Beust haben wir geredet, er wundert sich, daß Sie noch nicht an ihn geschrieben haben, und will mit Ihnen sprechen.“

Bei jedem dieser Worte schoß dem Aufhorchenden brühheiß das Blut zu Kopfe, der ganze Zorn seines Stolzes erwachte und vor seiner Seele standen alle Erinnerungen an erduldete Quälereien und Verfolgungen, aus denen er durch eigene Kraft sich hervorgerungen und die jener Minister, vor dem er sich jetzt neigen sollte, mit einem einzigen milden Worte ihm hätte ersparen können. „Nein, lieber Freund,“ entgegnete er so laut, daß es in der betreffenden Gruppe gehört wurde, „damit wird nichts. Herr von Beust hat es so weit zu mir, wie ich zu ihm, er hat mich auch bisher immer zu finden und zu – treffen gewußt, ohne daß ich ihn darum gebeten habe. Wenn er jetzt etwas von mir will, so mag er zu mir kommen!“ Damit machte er sich los und ging an seinen Platz zurück. In der That war denn auch die Restaurirung erst nach Jahren auf ein von den Leipziger Stadtbehörden aus eigenem Antriebe beschlossenes und eingereichtes Gesuch zu einer Zeit erfolgt, wo die Reaction seit dem Eintritt der neuen preußischen Aera wieder einmal abgewirthschaftet hatte und ermüdet die Flügel sinken ließ.

An erschwerenden Aergernissen, die ertragen oder überwunden werden mußten, hat es also keineswegs gefehlt, und sie warfen manchen trüben Schatten in die ersten Regungen des Unternehmens. Aber jene lebensvollen Keime, aus denen schon „Der Leuchtthurm“ geworden, waren nun einmal aus dem immerhin engen Bereiche leidenschaftlichen Parteigetriebes auf einen weiten, freien und heiteren Boden verpflanzt, und nichts konnte hier ein Aufsprießen verhindern, das von einem klaren und bedachtsamen Wollen, von einem seltenen Geschick und einer rastlosen Energie inbrünstiger Hingebung gefördert wurde. Daß er ein Weltblatt begründen und dieses ihn zu einem wohlhabenden Manne machen solle, davon lebte in dem anspruchslosen Sinne Keil’s noch lange nicht die Spur einer Ahnung. Als ein befreundeter Dichter ihm einst in Gegenwart Anderer eine solche Zukunft prophezeite, berührte ihn das sichtlich erschreckend. Je bescheidener aber die Erwartung war, um so stolzer und kühner arbeiteten die Ideen und Absichten, welchen die junge Schöpfung ihr Dasein verdankte, und die unter der Arbeit der Ausführung immer deutlicher zum Bewußtsein kamen. In seinen directen Kämpfen mit den überlieferten Gewalten hatte der freisinnig-demokratische Geist schwere Niederlagen erlitten, aber er war dadurch nicht überwunden und entmuthigt. Nach seiner Abdrängung vom politischen Schauplatze wurde es für ihn eine Lebensfrage, die Welt seiner Innerlichkeit auszubauen, seine schöpferische Kraft sich erproben, seine Gemüthstiefe und Vaterlandsliebe, den Ernst seiner Sittlichkeit, seines Wissens und Bildungsdranges voll sich entfalten und wirken zu lassen. Diesem Bestreben, so weit es auf das deutsche Haus sich richten, das deutsche Familienleben in lebendigem Zusammenhang mit den Strömungen des geistigen Fortschritts erhalten wollte, wurde in dem neuen „Familienblatte“ ein Sammelpunkt geschaffen, und die Begeisterung, mit welcher Keil diesen seinen Plan ergriff, ging von ihm auch auf die kleine Scholle von Mitarbeitern über, die alsbald sich ihm angeschlossen hatten. Namhafte Dichter und hervorragende Gelehrte, wie Bock und Roßmäßler, haben erst auf diesem Boden ihre Bestimmung als große Lehrer und Schriftsteller des Volkes durch eifrige Betheiligung an der Aufgabe gefunden, die Keil in seinem ersten Prospecte an die Leser mit den schlichten Worten bezeichnete: „Wir wollen Euch unterhalten und unterhaltend belehren, über dem Ganzen aber soll der Hauch der Poesie schweben und es soll Euch anheimeln in unserer ‚Gartenlaube‘, in der Ihr gut-deutsche Gemüthlichkeit findet, die zu Herzen spricht!“

Daß ein solches Werk auf seine Erhaltung bedacht sein, auch materiell zu einer festen Grundlage gelangen und seine Leute ernähren mußte, versteht sich von selbst. Wer aber der Entstehung und Entwickelung des Unternehmens sich zu erinnern weiß, der wird ihr das Zeugniß nicht versagen, daß der geschäftliche Calcül dabei eine untergeordnete Rolle gespielt und erst in dritter oder vierter Linie gestanden hat. Keil verstand seinen Buchhandel so gut als Einer und hat sich bei jeder Gelegenheit mit Stolz zu diesem Berufe gezählt. Ganz unverständlich aber war ihm eine Thätigkeit, die kein anderes Ziel kennt, als das „Geschäfte machen“; die leere „Buchhändlerei“ oder das „Buchhändlern“, wie er es nannte, ist ihm Zeitlebens zuwider gewesen. Möge das nicht mißverstanden werden. Von einer Nichtachtung oder Vernachlässigung geschäftlicher Obliegenheiten konnte bei seiner straffen Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Ordnungsliebe nicht die Rede sein, aber alle diese nothwendigen Dinge erledigte er wie sonstige Kleinigkeiten des Lebens, von denen man nicht weiter spricht, die ihm auch seine eigentliche Aufgabe nicht aus dem Auge rücken durften. In der „Gartenlaube“ sah er die Verwirklichung seines höchsten Jugendideals, wie es erst dunkel in ihm heraufgedämmert war und dann in der Schule des Leidens, der Erfahrung und Uebung zu voller Reife und Klarheit sich durchgerungen hatte. Darum hat er mit einer Zähigkeit ohne Gleichen alle ungewöhnliche Kraft seiner Liebe, seines Talents und Fleißes in diese Zeitschrift überströmen lassen, in den ersten Jahrgängen auch Vieles noch selber, die ersten Nummern sogar fast ganz allein geschrieben, unablässig die wachsamste Thätigkeit zur Auffindung und Gewinnung tüchtiger Mitarbeiter entwickelt und keine Nummer ausgegeben, in der nicht jeder Satz sorgfältig für den Zweck geprüft und Alles bis auf die letzte Zeile frisch und ansprechend, warm und geschmackvoll für das Verständniß des Lesers gestaltet war.

Das war es, was er mit seinem unleugbaren redactionellen Genie, mit seinem dichterischen Schönheitsgefühl und seiner Meisterschaft in sinnigen Arrangements, aus der Tiefe seiner Tendenzen und seiner eigensten Gesinnung in unablässigem Mühen und Sorgen von vornherein für die „Gartenlaube“ gethan hat, ohne bei dem geschäftlichen Vertrieb jemals die Nachhülfe der Colportage, der Reclame oder sonstiger Herbeilockungsversuche in Anspruch zu nehmen. Selbst das Mittel des Ankündigens und der gewöhnlichen buchhändlerischen Manipulation wurde von ihm in den ersten Jahren nicht benutzt, es sollte das Blatt allein für sich selber sprechen, nur auf den eigenen Füßen seinen Weg sich bahnen. Und wenn es das in einer alle Welt und ihn selbst überraschenden, alle seine Hoffnungen mächtig überflügelnden Weise gethan hat, so läßt sich gewiß mit doppeltem Rechte sagen, daß dieser gewaltige Erfolg ihm nur durch die freiwillige und in der That unerzwingbare Zustimmung des Publicums bereitet war, das sich durch diese liebevolle und ausdauernde Hingabe an eine ernsthafte, von sittlichem Geiste durchwehte, auf die Höhen der Bildung führende Leistung ein für den Beobachter unseres deutschen Volksgeistes in hohem Grade tröstliches Ehrenzeugniß ausgestellt hat. In früheren Epochen nationaler Ermüdung und Niedergeschlagenheit, selbst noch in der sogenannten Restaurationsperiode nach den Freiheitskriegen, hatten religiöse Schwärmer, mystische Gaukler, reactionäre Bußprediger und romantische Finsterlinge aller Art jener weichen, allen sänftigenden Eindrücken geöffneten Stimmung zu absichtlicher Herabdrückung jedes freien Aufstrebens sich bemächtigen können. Die Reaction der fünfziger Jahre dagegen fand die Hinterlassenschaft

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