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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

dem feurigen Blick seiner Augen die ihrigen niederschlug. „Was sollt’ ich auch verrathen? Ich weiß gar nichts von Dir.“

„Auch gut – was Du nicht weißt, will ich Dir sagen, damit Du Dich auskennst,“ erwiderte der Fremde. „Ich bin in Tirol daheim, bin von weitschichtigen Gefreundten aufgezogen, weil ich Vater und Mutter verloren hab’, wie ich noch ein Bübel gewesen bin. Ich bin immer eigentlich unter fremden Leuten herum gekugelt, und sie haben gesagt, ich wär’ nie viel nütz gewesen und hab’ nie was lernen wollen, nur das Waldlaufen und das Wildpretschießen hat mich g’freut – das wird wohl in meinem Blut liegen, denn mein Vater ist ja ein Jäger gewesen.“ –

Forschender ruhte Gertl’s Blick auf dem Erzählenden, der nach kurzem Innehalten fortfuhr:

„Drinn’ in Tirol ist’s gar zu gefährlich mit dem Wildern – es ist auch nicht viel zu haben, und Alles ausgeschossen in den Wäldern; deswegen bin ich über die Grenz’ herüber nach Baiern, und damit ich nicht aufgekommen bin, hab’ ich mich als Stummerl und Troddel verkleidet. So bin ich im Land als Bettler ’rumgezogen, und hat Niemand einen Argwohn auf mich gehabt, ich aber hab’ Alles ganz gemüthlich ausspioniren können. Droben im Falkenstein, im Keller, hab’ ich mir einen Unterschlupf eingerichtet; da hab’ ich mein Gewand und mein Schießzeug versteckt und mich allemal umgekleidet; dort hat mich Niemand gesucht; es getraut sich ja Niemand in den Keller hinunter, weil ein Schatz drunten liegt, den ein feuriger Drach’ hütet.“

Er hielt inne, denn er gewahrte, daß Gertl wie geistesabwesend vor sich hin sah und ihn gar nicht zu hören schien. Es war ihr, als vernehme sie die Worte wie durch einen Traum, denn wie zuvor der Blick des Erzählers sie befremdete, lag auch in seiner Stimme etwas Eigenthümliches, wie man oft im Leben einem Laut begegnet, den man längst gehört zu haben glaubt, ohne daß man sich erinnern kann, was er bedeute und von wannen derselbe stamme.

„Aber wie soll’s denn jetzt werden?“ sagte sie, wie erwachend. „Jetzt haben Dich die Leut’ in Deiner wahren Gestalt gesehen; jetzt kennen sie Dich als Wildschütz und daß Du sie betrogen hast – was willst jetzt anfangen?“

„Ja freilich,“ entgegnete er, „wenn sie mich erkannt, ist die Komödie aus; dann darf ich nur gleich die Füße unter den Arm nehmen und schauen, wie ich geschwind nach Tirol hinein komm’.“

„Und willst nimmer wiederkommen?“ fragte Gertl hastig und wie erschrocken.

„So bald nit!“ war seine Antwort. „Es könnte schlecht ausfallen für mich. Ich fürcht’, ich hab’ mich schon jetzt zu lang verhalten. Ich bin gestern in der Früh mit dem Förster zusammengetroffen und sorge, er hat mich jetzt ausgegangen.“

„Warum bist nachher nit gleich fort?“ fragte Gertl mit dem sichtbaren Ausdruck der Unruhe.

„Ich hab’ den Tag abwarten wollen und hab’ mich in meinem Keller versteckt, und es ist ein Glück gewesen, daß ich das gethan hab’. So war ich doch in der Nähe und hab’ Dir helfen können. Und nachher, – daß ich’s recht sag’,“ fuhr er etwas zögernd fort, „nachher hat’s mich nit fortgelassen; ich hab’ Dich noch nur etwas fragen wollen.“

„Mich?“ entgegnete Gertl, deren Befangenheit mit jedem Laut, Wort und Blick wuchs.

„Ja, Dich! Schon – wie ich Dich vorgestern im Garten hab’ reden hören, – wie ich Dich gesehen hab’, da ist mir etwas eingefallen, um das ich Dich fragen möcht’. Drum bin ich Dir auf dem Heimweg nachgeschlichen und bin gerade recht gekommen wie der Lump Dich angepackt hat.“ –

„Und was wär’ denn das für eine Frag’?“

„Ich hätt’ sie gestern schon gethan, wie Du mir am Kirchel auf dem Petersberg begegnet bist, aber Du bist mir zu schnell davon, bist wohl erschrocken vor mir. – Kannst es nit errathen?“ fuhr er fort, während Gertl bei Erwähnung des Kirchleins sich abwechselnd von Gluth und Kälte überrieselt fühlte; sie war so verwirrt, daß sie keine Antwort auf die Frage fand, und doch war es ihr, als ob sie die Antwort darauf wissen müßte, als ob dieselbe in ihrem Gemüth verborgen liege, wie ein vergessenes Lied.

„Ich hab’ Dich fragen wollen,“ begann er wieder, „ob Du mich vergessen hast, mich gar nicht mehr kennst?“

Er hielt einen Augenblick inne – sie schwieg ebenfalls, den Blick fest auf ihn gerichtet, und wie hinter verschwebendem Nebel das Bild einer schönen Gegend erscheint, kehrte ihr plötzlich die Erinnerung wieder.

„Franzl!“ rief sie, schwankend zwischen Besorgniß und Lust. „Wär’s möglich – Du?“

„Ja,“ entgegnete er freudig, „ich bin’s, der Jägerfranzl. Weißt es noch? Der Bub, der Dich immer in die Schul’ begleitet hat, der mit Dir auf dem Steinkreuz gesessen ist und der, weil der Vater knall und fall fort gemußt hat, nicht einmal hat B’hüt Gott! sagen können. Also Du kennst mich doch noch? Du hast mich doch nicht ganz vergessen?“

„O nein, gewiß nit,“ war Gertl’s freudige Antwort. „Wie kannst denken, daß ich Dich hätt’ vergessen können?“

„Ich hab’s auch nicht zuweg gebracht,“ begann er wieder. „Siehst Du, was ich da am Uhrgehäng’ hab’? Das kleine bleierne Ringel? Das hast Du mir gegeben, selbigesmal, wie Du Dir den Fuß verstaucht hast und ich Dich heimgetragen hab’.“

Er reichte Gertl den Ring.

„Und das hast Du noch?“ stammelte sie. „O Du – Du –“

Sie konnte nicht vollenden – das so lange leer gewesene Herz quoll über von dem ganzen Glück der ersten, ungekannten Liebe. Sie wußte nicht, wie ihr geschah: vom Lager heruntergleitend, lag sie in Franzl’s Armen und ließ seine Küsse über sich ergehen wie ein süßes, unvermeidliches Schicksal.

Eben trat die Mutter, die sich wieder auf einen Augenblick entfernt gehabt, in die Stube, eine Schüssel voll Wasser in der Hand. Bei der Ueberraschung, die sich ihr bot, kam sie etwas aus der gewohnten Fassung und die Schüssel entglitt beinah ihren Händen, den Stubenboden mit ihrer klaren Fluth überspülend.

„So ist’s recht,“ sagte sie, auf die Bank zusammenknickend. „Hab’ ich nicht immer gesagt, Du machst noch eine recht Dalkerei mit Deinem Spreizen und Zieren? Soll das jetzt der Schatz sein, nach dem Du so lang’ auf der Such’ gewesen bist?“

„Ja, Mutter,“ rief Gertl, überströmend vor Freude. „Wie kannst denn so reden? Es ist ja der Franzl.“

„Da ist er was Recht’s,“ entgegnete die Mutter.

„Weißt denn nicht? Es ist derselbe, den ich schon als Kind gern gehabt hab’. Ich hab’s nicht verstanden und nicht gewußt, jetzt aber versteh’ ich’s, und jetzt weiß ich’s; der heilige Petrus hat mir’s gesagt und die entsetzliche und doch so glückliche Stund’, in der er mich aus dem Feuer getragen hat. Jetzt hab’ ich den gefunden, dem ich gehör’; bei dem will ich bleiben.“

„Das ist eine schöne Geschichte,“ jammerte die Frau, indem sie die Hände zusammenschlug. „Was soll denn daraus werden? Wie wollt Ihr denn mit einander hausen? Du hast nicht viel, und er hat gar nichts.“

„Nichts – als ein Paar tüchtige Arme und ein treues Gemüth,“ sagte Franzl, indem er vor die Frau hintrat und ihr die Hand darreichte. „Ich kann und will wohl arbeiten, wie’s recht ist, und das Wildern lassen. Ich hab’ noch nie ein Madel angeschaut; es ist mir nit eingefallen, daß ich eine gern haben könnt’, aber wie ich vorgestern im Wirthsgarten zu Flintsbach hinter der Stauden gelegen bin und die Gertl wieder gesehen und die Stimm’ wieder gehört hab’, die liebe gute Stimm’, da ist mir auf einmal gewesen, als wenn am G’wand der Nebel weggeht; die Sonn’ kommt heraus, und die Hörner und Eiszacken stehen da, als wenn sie mit lauter Gold gemalt wären – da hab’ ich gewußt, warum mir kein Madel gefallen hat – ich hab’ ja schon ein Bildl unter’m Brustflecken sitzen, das nimmer zum Auslöschen ist.“

Ergriffen schmiegte sich Gertl an den Burschen – nun war es ihr vollkommen klar, weshalb er sie immer so angestarrt, und daß die eigenthümliche Scheu, die er ihr erregte, eigentlich nichts war, als eine Vorahnung des Geheimnisses, das sie an ihn band. Aber so genau sie ihn betrachtete, kannte sie doch immer noch nicht recht begreifen, daß der stattliche Bursche derselbe lahme, rothhaarige, stammelnde Krüppel war, vor dem sie immer ein solches an Grauen grenzendes Gefühl empfunden.

„Es wär’ Alles recht,“ begann die Mutter wieder. „Wenn ich auch alles Krumme gerad’ sein lassen wollt’, so kann doch nichts daraus werden. So viel ich von der Sach’ versteh’, bist Du ein Wilddieb, der sich nicht sehen lassen darf. Jetzt kennen sie Dich und werden Dich ein paar Jahrl’ einkasperln, und wie soll’s nachher werden? Soll sich das Madl noch länger versitzen?

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