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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

gesunden Sinn für das Schöne, Gute und Wahre, für die Wohlfahrt und den Fortschritt aller Classen der bürgerliche Gesellschaft wie in seinem besondern Vaterlande, so auch bei den übrigen Nationen. Und darum hatte Karl Friedrich Neumann Recht, wenn er in seiner „Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika“ sagte: „William Cullen Bryant giebt uns das Bild eines Menschen und Amerikaners im besten Sinne des Wortes.“

William Cullen Bryant wurde am 3. November 1794, in demselben Jahre, in welchem der bekannte Dampfer- und Eisenbahnkönig Cornelius Vanderbilt auf der Insel Staten-Island bei New-York das Licht der Welt erblickte, zu Cummington, einem Städtchen in dem vom Connecticutflusse durchströmten Hampshire-County, im Staate Massachusetts, geboren. Er stammte väterlicher- und mütterlicherseits von jenen puritanischen Ansiedlern oder „Pilgern“ ab, die, um religiöse und politischen Verfolgungen zu entgehen, im Jahre 1620 auf der „Maiblume“ über den Ocean segelten, mitten im härtesten Winter an der sturmgepeitschten Küste Neu-Englands landeten und dort ein freies Gemeinwesen gründeten, welches den Grundstock bildete für die zukünftige Republik der Vereinigten Staaten. Sein Vater, Peter Bryant, ein kenntnißreicher und von seinen Mitbürgern hochgeachteter Arzt, erkannte schon früh die reichen Geistesanlagen und den poetischen Sinn seines Sohnes und lehrte ihn, wie Letzterer in seinem großartigen „Hymnus an den Tod“ pietätvoll bestätigt, „in der ersten Jugend des Gesanges Kunst“. Damals saß er, nach dem Gedichte „Der Bach“, als kleiner Knabe, der erst kurze Zeit die Schule besuchte, am Rande des Waldbaches, horchte auf der Drossel Schlag, pflückte Veilchen und suchte, nach den Anweisungen des geliebten Vaters, „zum ersten Verse Reim und Wort“. Und damals bereits regte sich in ihm jene edle Ruhmesliebe, von der eine farbenprächtige Schilderung seiner poetischen Jugend spricht:

„Ach, nimmer vergeß’ ich das heiße Verlangen,
Wie einst ich für Ruhm und Verse geglüht.
Und sah ich in Glorie die Schöpfung prangen,
War’s wie Wind in der Flamme für mein Gemüth.

Der Frühling des Lebens gehörte den Musen,
Die Wälder durchschwärmt’ ich träum’rischen Gangs;
Wie flogen die Pulse, wie kopfte der Busen,
Wenn über mich kam der Gott des Gesangs!

Am zerklüfteten Fels, der seit Ewigkeit lauschte
Dem Brausen des Stroms am Kiesgestein,
Wo der Eisvogel schreiend die Fluthen durchrauschte,
Wie blickt’ in die Tiefen ich schauernd hinein!

Wie fühlt’ ich gewaltig mein Herz bezwingen
Die dunkle Macht aus der Wildniß Thron,
Und im Sturm des Gefühls ließ Gesang ich erklingen,
Bald düster, bald hell in kunstlosem Ton.“

Schon in seinem zehnten Lebensjahre soll der junge Bryant nach lateinischen Mustern einige Gedichte verfaßt haben, welche die „Hampshire Gazette“ der Veröffentlichung werth hielt. Drei Jahre später erschien von ihm, außer anderen poetischen Arbeiten, das politisch-satirische Gedicht „The Embargo“, in welchem er die Handelspolitik des Präsidenten Thomas Jefferson bitter angriff. Dieser merkwürdige Erguß eines frühreifen Genius hatte, da durch ihn die Klagen und Beschwerden eines großen Theiles des amerikanischen Volkes scharf und deutlich zum Ausdruck kamen, einen solchen Erfolg, daß wenige Monate nach seiner ersten Veröffentlichung eine neue Auflage nöthig wurde. Im Jahre 1810 trat Bryant in das zu Williamstown befindliche Williams-Collegium, wo er sich vorzugsweise durch seinen Eifer im Studium der alten Sprachen und der Geschichte hervorthat. Er vollendete jedoch den gebräuchlichen Schulcursus nicht, sondern widmete sich schon nach Verlauf von zwei Jahren (1812) der Jurisprudenz.

Wie es in den Vereinigten Staaten Sitte ist, arbeitete er mehrere Jahre in dem Bureau angesehener Advocaten und ließ sich dann, nachdem er im Jahre 1815 sein juristisches Examen mit Ehren bestanden hatte, zuerst in der Nähe seines Geburtsortes, bald darauf aber in Great Barrington, einem größeren Städtchen in dem benachbarten Berkshire-County, als Rechtsanwalt nieder. Hier verheirathete er sich im Jahre 1821 mit Miß Frames Fairchild und führte ein äußerst glückliches Familienleben, bis ihm der Tod seine Gattin in der Blüthe der Jahre entriß. In dem tiefempfundenen Gedichte „Das zukünftige Leben“, dessen schmerzliche Innigkeit an Robert Burns’ „Maria im Himmel“ erinnert, setzte er der Geschiedenen ein bleibendes Denkmal ehelicher Liebe und Treue. Obschon Bryant als Advocat eine geachtete und einträgliche Stellung einnahm, fand er doch auf die Dauer in der Juristerei keine volle Befriedigung und beschloß, sich ganz dem literarischen Leben zu widmen.

Nachdem er im Jahre 1825 seine Praxis an einen seiner Collegen abgetreten hatte, siedelte er nach New-York über und gab in Verbindung mit dem talentvollen Henry James Anderson die „New-York Review“ und das „Athenaeum Magazine“ heraus. Aber auch in dieser Stellung blieb Bryant nur kurze Zeit. Schon 1826, da sein Freund Anderson als Professor der Mathematik einem Rufe an das Columbia-Collegium folgte, übernahm er die Redaction der „New-York Evening Post“. Mit dieser angesehenen Zeitung, welche damals die Sache der demokratischen Partei vertrat, gegenwärtig aber die der unabhängigen Reformpartei vertheidigt, blieb er bis zu seinem Tode in engster Verbindung. Seine Stellung als Redacteur der „Evening Post“ hinderte ihn auch nicht, noch für andere Blätter zu arbeiten, z. B. für den „Talisman“, eine Jahresschrift, die er im Vereine mit Robert E. Sands und dem als Gelegenheitsredner bekannten G. C. Verplanck herausgab. Als Sands im Jahre 1832 starb, besorgten Bryant und Verplanck mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit die Sammlung der Werke des verstorbenen Freundes, die vorzugsweise in Essays und Erzählungen bestanden. In demselben Jahre erschien die erste Sammlung von Bryant’s Gedichten.

In seinem achtzehnten Lebensjahre, also um die Zeit, wo er sich zum Advocatenexamen vorbereitete, verfaßte Bryant sein vielgepriesenes Gedicht „Thanatopsis“, bei dessen Durchlesen sein Vater bis zu Thränen gerührt gewesen sein soll. Diese theosophische Dichtung, welche uns ein ergreifendes Naturbild voll elegischer Tiefe entrollt, zeichnet sich auch durch große Formvollendung aus und gehört noch jetzt zu den populärsten poetischen Schöpfungen in den Vereinigten Staaten. Wir lassen hier die Anfangsverse nach der Uebersetzung von Adolf Laun folgen:

„Wer liebend Umgang pflegt mit der Natur
Und ihren Bildungen, dem redet sie
Gar manche Sprache; seinen frohern Stunden
Leiht sie der Stimme heitern Ton und lächelt
Ihm in beredter Schönheit zu; sie schleicht
Sich in sein trüb’res Sinnen ein: sie nimmt,
Eh’ er’s gewahrt, mit sanfter Sympathie
Ihm seine Bitterkeit und heilt sein Herz.
Befällt wie gift’ger Mehlthau Dich Erinn’rung
An Deine letzte Stunde, tauchen Bilder
Von Todeskampf, von Leichenkleid und Bahrtuch,
Und von des Sargs lustloser Finsternis.
Erschreckend vor Dir auf, daß Du erbebst,
Dann tritt in’s Freie - unterm blauen Himmel
Horch’ auf die Lehren der Natur, wenn leise
Rings von der Erd’, aus Wassern und aus Lüften,
Dir ihre Stimme tönt.“

Während seiner Advocatenlaufbahn bemühte sich Bryant, wie er in dem Gedichte „Ich brach den Bann“ andeutet, sich von „der Dichtung Zauberei“ zu befreien, allein es wollte ihm nicht gelingen. Noch vor seiner Verheirathung verfaßte er in Great Barrington einige seiner bekanntesten und besten Gedichte, z. B. „Ueberschrift zum Eingang in einen Wald“ und „Der Wasservogel“. In dem ersten dieser beiden Gedichte, die einen außerordentlichen Anklang im amerikanischen Volke fanden und den ersten festen Grund zu seinem Dichteruhm legten, ladet Bryant den durch Verfolgungen und schwere Schicksalsschläge niedergebeugten Menschen ein, in den geheimnißvollen Waldtiefen „Balsam für das kranke Herz“ zu suchen; und der Wasservogel, der auf seiner schwindelnd hohen Bahn durch das weite Luftmeer sicher seinen Weg zum „Neste unter’m Binsenbach“ zu finden weiß, lehrt uns, daß die liebevoll schützende Gotteshand auch den redlich strebenden Menschen auf seinem oft wildverschlungenen Lebenspfade aufrecht erhält und ihn das ersehnte Ziel erreichen läßt.

Im Jahre 1821 schrieb Bryant sein längstes Gedicht, „Die Zeitalter“ betitelt; dasselbe ist in dem von Edmund Spenser erfundenen Versmaße gedichtet und darf als ein beschreibendes Lehrgedicht bezeichnet werden, in welchem die stufenweise Entwickelung des Menschengeschlechtes so dargestellt wird, daß die höchsten Ziele der Menschheit nur aus dem Grunde der Freiheit zu erreichen sind. Amerika geht hier, nach des Dichters Ansicht,

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