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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Ein Hofleben ganz eigener Art sah Blankenburg dann noch am Ende des vorigen Jahrhunderts, als der Graf von der Provence (nachmals König Ludwig der Achtzehnte von Frankreich), der freundlichen Einladung Herzog Karl Wilhelm Ferdinand’s, des Manifesterlassers von 1792, folgend, dort gastliche Aufnahme fand. Der Prinz kam 1796; ihm, dem Vertreter der Legitimität, drängten sich Hunderte von Emigranten nach und zahlreiche Herzoge und Marquis zogen in Blankenburg ein; besonders erregte der bekannte Abbé Edgeworth, Beichtvater Ludwig’s des Sechszehnten, der den König einst auf’s Schaffot begleitet hatte, großes Aufsehen. Ludwig führte hier, fern von den Donnern der Revolution, ein eingezogenes, beschauliches Leben, wohnte aber nicht auf dem Schlosse, sondern gegen einen Miethzins von monatlich sechsundneunzig Thalern in einem größeren Privathause, zeigte sich auch nur selten auf den Straßen und Spaziergängen, wie man meinte aus Furcht, in Meuchelmörders Hände zu fallen. Am 10. Februar 1798 verließ er Blankenburg wieder, um sich nach Rußland zu begeben.

In den letzten dreißig Jahren hat das Harzschloß sich der besonderen Vorliebe des jetzt regierenden Herzogs zu erfreuen gehabt, der namentlich im Herbste dort regelmäßig wohnt und zu den dann veranstalteten großen Jagden viele fremde Fürstlichkeiten um sich versammelt.

Das Schloß selbst, obgleich eine sehr alte Veste, trägt doch jetzt keineswegs mehr den Stempel des Alters, und wenn der Besucher den Schloßberg hinaufsteigt, muß er nicht erwarten einen mittelalterlichen Bau mit Wartthürmen, Zinnen, gewölbten Hallen und Rüstkammern zu finden, wie ihn die Wartburg in so vollendeter Weise zeigt. Dennoch ist ein Gang zum Schlosse hinauf sowohl für den Alterthümler, der dort manches interessante Stück aus dem siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert findet, wie auch für den Freund schöner landschaftlicher Panoramen ein gewiß lohnender; überraschend schön ist die Aussicht, wenn die angrenzenden Berge in frischem Grün prangen und auf den großen Kirschengärten drunten im Thal der Blüthenschnee liegt, oder wenn der Wald in jenem wunderbar vielfarbigen Blätterschmuck dasteht, durch welchen der Herbst sich ankündigt. Unter den zweihundertfünfundsiebenzig Zimmern, welche die vier den inneren Hof umschließenden Schloßflügel enthalten, zeichnet sich vor allen der große „Kaisersaal“ im Rococostyl aus. Er hat seinen Namen von den Kaiserportraits, welche, als Glorificirung der oben erwähnten glänzenden Vermählungen der beiden schönen Töchter Ludwig Rudolph’s, seine Wände schmücken. Ueber dem Kamine hängt das lebensgroße Bild der Kaiserin Elisabeth, die ihr Töchterchen Maria Theresia im Arme hält; dem Kamin gegenüber das ihres Gemahls Kaiser Karl’s des Sechsten, ein echtes Habsburger Gesicht von der ungepuderten Allongeperrücke umwallt.

Ueber dem Haupteingange sieht man Peter den Großen, anscheinend eine Copie nach dem bekannten Gemälde von Le Roy, daneben das Bild seines Sohnes Alexei Petrowitsch, des Gemahls der unglücklichen „Prinzessin von Wolfenbüttel“, eine unheimlich drein schauende Physiognomie, die den Stempel roher Leidenschaften trägt. Charlottens Portrait fehlt hier merkwürdiger Weise, dagegen hängen die gleichfalls lebensgroßen Bildnisse ihrer Eltern, Herzog Ludwig Rudolph’s und seiner Gemahlin Ludovike, bescheiden zurücktretend über den Seitenthüren des Saales.

Auch der sogenannte Rittersaal trägt noch das Costüm des vorigen Jahrhunderts und paßt demnach auch nur zu den „Rittern“, wie wir sie auf gleichzeitigen Bildern in römischen Rüstungen, dazu aber mit dem zierlichen Galanteriedegen an der Seite und der mächtigen Perrücke auf dem Haupte, dargestellt sehen; doch enthält der Saal ein schön geschnitztes altes Büffet und eine Sammlung alter Trinkgeschirre und Tafelaufsätze. In den anstoßenden Zimmern zeigt man mancherlei Erinnerungen, als ausgeschnittene Bilderchen, Spielzeuge, Möbeln etc., welche sich aus der Jugend der Kaiserin und deren Tochter Maria Theresia erhalten haben. Die einst am Epiphaniasfeste 1717 eingeweihete, also auch der Zopfzeit angehörende Schloßkirche ist weiß getüncht und schmucklos; den kostbarsten Schmuck, welchen sie einst besaß, ein prachtvolles großes Crucifix von Elfenbein, mit getriebener Silberarbeit von Michel Angelo, ein Geschenk Peter’s des Großen an den Vater seiner Schwiegertochter, bewahrt jetzt das herzogliche Museum in Braunschweig. Besser bedacht als diese Gott geweihete Stätte ist das Schloßtheater, in dessen freundlichen Räumen sich fast alljährlich eine gewählte Gesellschaft allerhöchster Personen der heiteren Muse erfreut, nachdem sie den Tag über in den Wäldern um Blankenburg des edlen Waidwerkes gepflegt haben; als Curiosität zeigt man hier die dicht vor dem Proscenium aus dem Fußboden hervorragende Spitze des Blankensteins, auf welchem das Schloß erbaut ist; sie dient als Platz für den Orchesterdirigenten.

Unterhalb des Theaters befindet sich als der einzige Raum, der von der ursprünglichen Grafenburg übrig geblieben, ein schauerliches Gefängniß, in welchem der Sage nach Kaiser Lothar 1130 den widerspenstigen Grafen Hermann von der Winzenburg gefangen gehalten hat. Gegenüber, in der Mauer des Schlosses, erinnert ein eingemauertes steinernes Ritterhaupt gleichfalls an die Zeiten des Mittelalters, an die Enthauptung eines Grafen von Wernigerode, der ohne Absagebrief das Schloß Blankenburg erstiegen und ausgeraubt hatte, dafür aber vor einem freien Feldgerichte bei Heimburg den Kopf lassen mußte.

Unter den in neuerer Zeit restaurirten Räumlichkeiten zeichnet sich die nach Südost belegene Zimmerreihe durch ihre einfache Eleganz vortheilhaft aus und bietet aus ihren Fenstern dem Auge ein überraschend schönes Panorama; Friedrich Wilhelm der Vierte von Preußen, wie auch Kaiser Wilhelm haben hier wiederholt logirt. Der ehemals nach französischem Muster mit künstlich gezogenen Hecken, Terrassen und Grotten ausgestattete Schloßgarten ist unscheinbar; um so imposanter dagegen ist der hundertsechsundzwanzig Waldmorgen große Wildpark, der sich besonders nach Westen zu neben dem Schlosse ausbreitet und in welchem Hochwild gehegt wird. Einen prächtigen Hintergrund gewährt dem hochgelegenen Schlosse der dasselbe überragende, elfhundert Fuß hohe „Calvinsberg“, auf welchem die Herzogin Christine Ludovike, eine passionirte Jägerin, ein achteckiges Jagdschlößchen erbauen ließ, das jetzt, sehr vernachlässigt, dem Wilde als Herberge und Tummelplatz dient.

Von der eisernen Verkehrsstraße, welche seit einigen Jahren die Reisenden von Berlin binnen wenigen Stunden bis an den Fuß der „Roßtrappe“ führt, ist auch Blankenburg nicht unberührt geblieben. Seit kurzer Zeit ist an die Stelle des von Halberstadt abfahrenden gelben Postwagens das schwarze Dampfroß getreten, und die grotesken Felswände der „Teufelsmauer“ widerhallen, statt von den gemüthlichen Klängen des Posthornes, vom schrillen Tone der Dampfpfeife.

C. St–n.




Ernst Haeckel’s Gasträa-Theorie.


Eine Theorie, welche die jüngere Zoologenschule nicht weniger lebhaft in Spannung erhält, als die türkische Frage unsere Politiker, verdient auch wohl den Lesern der „Gartenlaube“ ihren allgemeinen Umrissen nach vorgeführt zu werden. Dieselbe beabsichtigt uns nämlich über einige Dinge aufzuklären, über die wir, trotz unseres großen Interesses daran, kaum jemals einen Aufschluß erwartet hätten, nämlich darüber, wie die ersten Thiere ausgesehen haben, die auf der Erde erschienen sind und von denen die andern abstammen müssen, wenn die Darwin’sche Theorie eine Wahrheit ist. Es liegt den Zwecken der „Gartenlaube“ fern, neuen Theorien, die sich noch im heftigsten Läuterungsfeuer der Meinungen befinden, Anhänger zu werben, und der folgende Artikel will nur weiteren Kreisen eine offene, jedenfalls sehr wichtige Frage darlegen, die sich Jeder nach seinem Standpunkte und Wissen selber zurechtlegen und beantworten mag.

Es sei uns zuvörderst gestattet, die einfachen nackten Thatsachen, welche diese viel angefeindete Theorie in’s Dasein riefen, mit Hülfe einiger Abbildungen zu erläutern, welche die Entwicklungsgeschichte einer kleinen, vor einigen Jahren von Professor Haeckel im Rothen Meere entdeckten und zu Ehren Darwin’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_527.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)