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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


mit seinem Gefreiten noch in der letzten Minute in das Zwischendeck, wo die Arrestantenzellen sich befinden, und befreite die beiden Insassen aus ihrem Gefängniß. Der wachhabende Seesoldat befand sich in vorschriftsmäßigem Anzuge auf seinem Posten. Alle wurden gerettet, der Seesoldat mit umgeschnalltem Seitengewehr und Patronentaschen.

Der wachhabende Ober-Maschinist blieb mit seinem ganzen Personal in der Maschine; er soll, wie ein Heizer erzählt, der durch den bereits horizontal liegenden Ventilator geschwemmt und als Einziger von der ganzen Wache gerettet wurde, den Befehl ertheilt haben, daß Keiner ohne Ordre seinen Posten verlasse. In treuer Erfüllung ihrer Pflicht gingen Alle unter; sie legten ein beredtes Zeugniß ab von der Berufsstreue und dem Subordinationsgefühle, welche unserer jungen Marine innewohnen und sie ebenbürtig der siegesgekrönten Armee zur Seite stellen. Mit Recht kann noch in fernen Zeiten die deutsche Flotte stolz sein auf diejenigen, welche hier den Heldentod starben. Ein besonders grausiges Verhängniß traf einen Maschinisten Marten, der, zum Schmieren der Welle in den Tunnel geschickt, hier mit eingeschlossen wurde.

Wie unten in der Maschine das Maschinenpersonal, so thaten oben am Ruder die Matrosen ihre Schuldigkeit. Die Ruderspeiche in der Hand, gingen sie unter. Alle ruhen im kühlen Seemannsgrabe. Der Zahlmeister blieb während der ganzen Zeit in seiner Kammer. Ein Aspirant sah ihn dort sitzen, mit dem Packen und Ordnen von Papieren beschäftigt. Die Aufforderung, an Oberdeck zu gehen, da das Schiff im Sinken, beachtete er nicht, sondern beharrte bei seiner Arbeit, die er nicht vollenden sollte.

Schon war das Wasser über die Regeling gestiegen und die Wellen bespülten die Panzerthürme, schon streiften die Raaen am Backbord das Wasser und noch hatte Keiner das Schiff verlassen. Einige waren in die Wanten gestiegen, Andere saßen oder standen auf der Regeling. Der größere Theil der Mannschaft hatte sich ziemlich gleichmäßig auf die Steuerbordseite vom Großmast bis zum Bugspriet vertheilt. Auf dem Achterdeck, welches den Matrosen außerdienstlich zu betreten verboten, befanden sich nur einige wenige Officiere.

Um zehn Uhr zwölf Minuten, etwa sechs Minuten nach dem Zusammenstoße, kenterte der „Große Kurfürst“. Zuerst verschwand das Hinterschiff, zuletzt der Kiel, welcher nach oben zeigte. Ein entsetzlicher Angstschrei aus Hunderten von Kehlen durchzitterte in diesem Augenblicke die Luft. Wir Augen- und Ohrenzeugen werden das furchtbare Schauspiel, welches sich jetzt im Wasser abspielte, nicht vergessen.

Wie von einem Eisberg, so rutschten Hunderte die glatte Bordwand und den Kiel herunter in’s Wasser. Nachdem das Schiff verschwunden, folgte ein dumpfer Krach, und ein weißer Gischt spritzte etliche Fuß hoch auf; es war das letzte Lebenszeichen des mächtigen Panzerthurmschiffes, welches jetzt mit seinem ganzen Inhalt an Gut und Menschenleben auf dem Boden des Meeres ruhte. Der Kampf der Schwimmer mit den des Schwimmens Unkundigen spottet jeder Beschreibung. Mehrere Minuten währte das grausige Ringen um das Dasein. Das Seesoldaten-Detachement hatte sechs Unterofficiere, sämmtlich zu Schwimmmeistern ausgebildet. Keiner wurde gerettet. Der Ingenieur Ehrenkönig wurde im Wasser mit mehreren Matrosen und Seesoldaten um das Leben kämpfend gesehen. Vergebens war seine Kunst. Eisern umklammerten ihn die Arme der im Todeskampfe Ringenden und zogen ihn mit in die Tiefe. Ein gleiches Geschick hatte der Capitain-Lieutenant Ludewig, der sich vergeblich der des Schwimmens Unkundigen zu erwehren versuchte. Der Commandant, welcher nach seinen eigenen Worten mit diesem Leben abgeschlossen hatte und als einer der letzten von dem Schiff heruntergespült wurde, rettete sich in die Dampfpinaß, welche beim Sinken flott geworden. Doch war das Boot der Last, die ihm zugemuthet, nicht gewachsen und sank mit etwa achtzig Menschen unter. Die große Mehrzahl der schon einmal Geretteten fand dabei ihren Untergang, unter ihnen auch der Graf Schwerin. Commandant und erster Officier wurden in bewußtlosem Zustande von Booten des „Wilhelm“ aufgefischt. Ersterer hatte einen schweren Kampf mit mehreren Matrosen zu bestehen; bei Beiden war es noch Stunden nach der Rettung zweifelhaft, ob die Gefahr für ihr Leben beseitigt sei.

Nach der Katastrophe führte der „König Wilhelm“ alle Seitenboote zu Wasser und traf Anstalten, die Decksboote auszusetzen, was ebenfalls in kurzer Zeit bewerkstelligt wurde. Rettungsbojen, gezurrte Hängematten, Schwimmgürtel, Putzen, Balzen, überhaupt schwimmende Gegenstände aller Art, wurden über Bord geworfen, den Schiffbrüchigen einen Halt zu gewähren. Ein Bootsmanns-Maat, der schon langhin geschwommen, wurde bei dieser Gelegenheit so unglücklich von einem Holzeimer an den Kopf getroffen, daß er sofort untersank. Mehrere von der Wilhelm-Mannschaft sprangen sogar über Bord, ihren Cameraden im Wasser Hülfe zu bringen. Von allen Seiten wurden den Sinkenden Taue und Stricke zugeworfen, aber Manchem versagten, ob der ungewohnten Anstrengung und des langen Aufenthalts im kalten Wasser (9 1/2 Grad C.), die Kräfte. Sie vermochten nicht mehr das rettende Tau zu ergreifen und gingen unter, angesichts der ihnen winkenden Hülfe. Inzwischen fuhren die sämmtlichen Boote des „Wilhelm“ und der „Preußen“, die etwas weiter von dem Orte der Katastrophe zu Anker gegangen war, hin und her und nahmen die Ueberlebenden auf, und ebenso verfuhren mehrere englische Fischerboote, welchen etwa fünfzig Leute ihre Rettung verdanken.

Das Ereigniß ist gerade dadurch so entsetzlich, daß es einen Augenblick vorher noch fast undenkbar war. Nicht im Kampfe, nicht im Sturme, nicht im Nebel, wo das Herz sich gegen äußerste Gefahr rüstet, nein, im lachendsten Sonnenscheine, mitten in alltäglicher Pflichterfüllung brach der tückische Tod über Hunderte in üppigster Lebenslust Athmende mit einem Krache den Stab. Beneidenswerth Jeder, der das entsetzliche Bild dieser Katastrophe nicht mit solcher quälenden Deutlichkeit durch Jahre in der Erinnerung tragen muß, wie mit so manchem Cameraden Derjenige, welcher vorstehende Zeilen niederschrieb!

H.




Randglossen zu unserem Marine-Unglück.

Seitdem der Telegraph die Unglücksbotschaft durch ganz Deutschland verbreitete: eines der besten Schiffe unserer Marine, ein Fahrzeug neuester Construction, versehen mit allen möglichen Vortheilen der Schiffsbaukunst und Artillerie der Neuzeit zur Bekämpfung des Feindes, ist Angesichts der Küste, beim schönsten Wetter und ruhigsten Seegang, mit Verlust der größten Hälfte seiner Mannschaft rettungslos verloren gegangen - seitdem bemächtigt sich jedes Deutschen und zumal des Laien ein Gefühl des Mißtrauens gegen die Leistungsfähigkeit unserer jungen deutschen Flotte. Angesichts dieser nicht zu vermeidenden Nachwirkung und des noch verderblicheren Einflusses übertriebener Kritik, hält es der Unterzeichnete für seine Pflicht, gestützt auf eine dreizehnjährige Praxis im Dienste der deutschen, amerikanischen und englischen Marine, seine Ansicht über die möglichen Ursachen der Katastrophe und die Mittel künftiger Vermeidung derselben der Oeffentlichkeit zu übergeben und zugleich das zum Verständniß Nöthige über den Dienst während der Fahrt und die wichtigsten dabei betheiligten Personen den Laien kurz und bündig darzulegen.

Der Dienst an Bord eines Kriegsschiffes wird im Geschwader gewöhnlich vom Geschwaderchef durch Signale bekannt gemacht. Zur Führung des Schiffes während der Fahrt werden die nöthigen Sicherheitsposten von der Wache, welche sich aller vier Stunden ablöst, ausgestellt. Die Wache wird von einem Officier befehligt, welcher während der vierstündigen Dauer derselben die vollständige Verantwortung für das Schiff trägt. Sein gewöhnlicher Aufenthaltsort ist die erhöhte Kommandobrücke zwischen dem Groß- und Kreuzmast, aus welcher er das ganze Oberdeck, sowie die umgebende Wasserfläche zu überschauen und namentlich seine Kommandos der Wache durch kräftiges lautes Rufen mitzutheilen vermag.

Nach diesem ist der wachhabende Bootsmannsmaat die wichtigste Persönlichkeit. Sein Platz ist die Großluke vor dem Großmast. Er hat genau auf den wachhabenden Officier zu achten dessen Befehle durch Pfeife und Stimme der Wache mitzutheilen und für schnelle Ausführung derselben Sorge zu tragen.

Der Steuermannsmaat erhält den zu steuernden Cours vom wachhabenden Officier und hat dafür zu sorgen, daß derselbe möglichst direct gehalten wird, respective selbst mit Hand anzulegen. Vor den Speichen des doppelten Steuerrades steht die Steuermannschaft, welche gewöhnlich aus einem Obermatrosen, als dem selbstständigen Führer des Ruders und drei Matrosen zweiter Klasse oder, je nachdem das Schiff bemannt ist, aus Seesoldaten oder Schiffsjungen besteht, welche nur zur Unterstützung des Steuernden, das heißt zur schnellen Bewegung des Steuerrades, Hand leisten. Der Erstere hat vor sich im Compaßhäuschen den Compaß, nach welchem er jede Abweichung vom Course regulirt.

Wenn man an Bord eines Schiffes und zwar in der Mitte der Richtung des Kieles steht, so unterscheidet man zwei Seiten, nämlich rechts Steuerbord und links Backbord (im Englischen Starboard und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_519.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)