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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

wollte ich den Lesern der „Gartenlaube“ erzählen, sondern von der Heldenzeit Stralsunds und seinem Wallensteinstage.

Es giebt wenige Orte im deutschen Reiche, die recht lebendige Erinnerungen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges bewahrt haben, und fast nirgends sind diese Erinnerungen freudiger Art. An vielen Orten, die der Kriegsfurie besonders zu gedenken hätten, ist Niemand übrig geblieben, der die Erinnerung hätte überliefern können. Um so wohlthuender ist es, einen Ort zu finden, an welchem ein frohes Gedenken jener blutigen Tage mit berechtigtem Stolze durch zweihundertundfünfzig Jahre von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt ist und noch jetzt mit beharrlicher Treue gepflegt wird. Das geschieht in Stralsund am 24. Juli zum frohen Gedächtniß des Tages, an welchem im Jahre 1628 das Friedländische Heer die Belagerung aufhob, um in fluchtgleicher Eile abzuziehen.

Die Belagerung der Stadt bietet ein treues, wenig erfreuliches Bild der traurigen Zustände des armen Vaterlandes zur Zeit des unglückseligen Dreißigjährigen Krieges. Der Kaiser war vertreten durch den selbstsüchtigen Herzog von Friedland, der mit begehrlichem Auge nach Pommern blickte und Herzog Bogislav den Vierzehnten gern verjagt und sein Land dem ihm verliehenen Herzogthum Mecklenburg zu besserer Abrundung hinzugefügt hätte. Stralsund aber begehrte er als Schlüssel zu dem baltischen Meere, zu dessen Admiral er bestellt war. Der „Hansische Wecker“, eine Flugschrift vom Jahre 1628, faßt die Lage der Dinge richtig auf, indem er warnend nachweist, „das alles Päbstlich-Spanisch, mit nichten aber Kays. Majest. Werck, sondern deren Namen nur zum Deckmantel und deroselben eigenen Nachtheil mißbraucht werde“. Auf der andern Seite ging Stralsund zunächst in den Kampf für Erhaltung eines alten verbrieften Privilegiums; es lehnte die Aufnahme der kaiserlichen Einquartierung ab, deren ganze Last nur der Bauer und die offenen Orte zu tragen hatten, während feste Städte, Adel und Geistlichkeit frei waren. Um so kräftiger wehrte sich die Stadt, weil sie wußte, was die Einquartierung, mit welcher das arme Pommern im Jahre 1627 heimgesucht wurde, zu bedeuten hatte. In einem der Lieder aus jenen Tagen heißt es:

„Drum Teutschland thu die Augen auf,
Merck, was dies Wallensteinisch Hauf
In seinem Schilde führen.
Wo du die Lenge wirst zusehn,
So wird dirs an die Gurgel gehn,
Der große Schlag dich rühren.“

Mitten in dem Kampfe der Stadt mit dem Friedländer tauchte aber auch der alte Hader zwischen den Geschlechtern und den Zünften im Innern auf; der Herzog Bogislav suchte seine Rechte in der freien Hansastadt zu mehren, wozu ihn Wallenstein mit diplomatischer List nur noch mehr reizte, und endlich zogen durch Stralsunds Wasserthore Dänen und Schweden auf den Schauplatz des Krieges um eine deutsche Sache, wie der Kaiser als Bundesgenosse der Spanier des Papstes Vorkämpfer war.

Aus diesen Wirrnissen ist es zu erklären, daß während der Jahre 1627 und 1628 die diplomatischen Verhandlungen fast ebenso lebhaft geführt wurden, wie die kriegerischen Actionen. Tractate wurden entworfen; Gesandte gingen hin und her zwischen dem Friedländischen Hauptquartiere und der Stadt; herzoglich pommersche und kurbrandenburgische Vermittler, letztere durchs die Erb-Aussichten auf Pommern bewogen, suchten den Streit gütlich auszutragen. Der Protonotar von Stralsund, Johannes Vahl, wurde unmittelbar an das kaiserliche Hoflager gesandt und erwirkte dort einen der Stadt günstigen, aber von Wallenstein nicht respectirten Bescheid. Mit der Hansa, mit Dänemark und Schweden, endlich auch mit den Generalstaaten von Holland wurde verhandelt. Geld wurde nicht gespart; am 22. Februar quittirte Wallenstein’s Obrister von Arnim über eine Abschlagszahlung von dreißigtausend Thalern auf die zur Abwendung der Einquartierung angebotene Summe. Am vierten Februar 1628 besetzte Arnim den Dänholm (wendisch „Strela“ genannt, woher Sund und Stadt den Namen bekommen haben), eine damals noch unbefestigte Insel, welche ihren Besitzer zum Herrn des Hafens von Stralsund macht. Das war der Anfang der Feindseligkeiten. Bald darauf wurde Stralsund in weitem Kreise von den Kaiserlichen eingeschlossen, die alle Zufuhr von der Landseite abschnitten.

Die erste Niederlage erlitten die kaiserlichen Waffen bei dem Dänholm. Ehe noch die Arnim’sche Besatzung Schanzzeug und Geschütz erlangen konnte, legten sich Stralsunder Schaluppen und Boote an die Insel und hinderten jede Verbindung mit der in kaiserlicher Gewalt befindlichen Insel Rügen und mit dem Festlande. Die Folge war, daß die Besatzung sich am 5. April durch Hunger zur Capitulation genöthigt sah. Der Freiherr von Schellendorf wurde mit seinen Leuten nach Rügen transportirt, und die Stadtsoldaten besetzten und verschanzten den Dänholm. Nun rückte Arnim mit seiner Armee, die der Herzog von Pommern und sein Land erhalten mußten, der Stadt näher, ihre zahlreichen weltlichen und geistlichen Güter in Pommern und auf Rügen furchtbar verheerend.

Schiffer und Freiwillige, welche sich erboten, die kaiserlichen Schanzen bei Brandshagen zu zerstören, wurden vom Rathe zurückgewiesen, der auch jetzt noch „alle Offension vermeiden wollte“.

Die Bürgerschaft dachte anders. Unaufgefordert trat sie wiederholt in ihren Quartieren zusammen, und durch ihre Sprecher, Johann Jusquinus von Gosen, Laurentius Rostock und Andere, drängte sie den Rath, dessen Majorität zu Verträgen und Opfern sehr geneigt war, zu entscheidender That, und die nicht geringe Minorität des Rathes folgte willig solchem Drängen. An der Spitze dieser Partei stand der Bürgermeister Steinwich, ein Mann, gleich groß im Rathen wie im Handeln. Er war die Seele des Widerstandes; sein erfinderischer Geist wußte immer neue Hülfsquellen zu eröffnen, und es ist befremdend, daß kein Ehrenmal in Stralsund an diesen großen und hochverdienten Bürger erinnert.

Auf das Drängen der Gemeinde und gegen den Wunsch des Rathes wurden der Stadt Scheunen und die Häuser vor dem Frankenthore eingeäschert, damit sie nicht dem Feinde Deckung gewährten. Kloster und Kirche zu Sanct Jürgen vor dem Knieperthore wurden abgebrochen. Noch jetzt heißt das in eine Versorgungsanstalt umgewandelte Kloster, obgleich mitten in der Stadt gelegen, zur Erinnerung an seine alte Stelle „Sanct Jürgen am Strande“.

Immer heftiger wurde das Andrängen der Arnim’schen Schaaren, allein die Stadthauptleute Volckmann und Chemnitz hielten mit den Stadtsoldaten und den unermüdlichen Bürgern gute Wacht und jagten die Stürmenden mit blutigen Köpfen zurück. Hülfe kam noch im Mai von Dänemark, deutsche und schottische Söldner unter dem Obristen Holk; später kam Proviant und Munition aus Schweden und aus Lübeck; endlich, nachdem ein Vertrag mit der Krone Schweden geschlossen war, welcher dem Kaiser und dem Reiche ausdrücklich alle Rechte wahrte, kamen auch schwedische Hülfstruppen.

Dabei mußte natürlich strenge Mannszucht gehalten werden, wenn die Stadt nicht von den Freunden ebenso Uebles erleiden sollte, wie von den Feinden. Ein Kriegsrath, der aus Mitgliedern des Rathes und der Bürgerschaft und aus fremden Officieren bestand und dem für eilige Sachen dictatorische Gewalt zustand, während er sonst an die Genehmigung des Rathes gebunden war, leitete die Vertheidigung. Die Seele dieses Kriegsrathes waren Volckmann, Jusquinus und Steinwich. Strenge Kriegsartikel wurden erlassen, die Meuterei, Gotteslästerung, Feigheit und Verrath mit harten Strafen an Ehre, Finger, Leib und Leben bedrohten. In der Trunkenheit begangene Verbrechen wurden um so härter bestraft.

In blutigen Kämpfen erwehrte sich die Stadt der andrängenden Kaiserlichen. Besonders am Knieper- und am Frankenthore unternahmen die Belagerer im Juni Sturm auf Sturm. So groß ihre Verluste dabei auch waren, an beiden Orten gewannen sie Terrain.

Endlich, am 26. Juni, da Alles so weit gefördert schien, daß nur noch die letzten Streiche auf die bedrängte Stadt geführt zu werden brauchten, kam Wallenstein selbst im Lager vor Stralsund an und machte seine Drohung wahr, drei Tage und drei Nächte stürmen zu lassen. Tapfer widerstanden die Stralsunder; dennoch schien das Loos der unglücklichen Stadt besiegelt zu sein. In der höchsten Noth wurden auch einmal Boten an Gustav Adolf gesendet, um weitere Hülfe zu erbitten, zugleich aber beschloß man, einen letzten Versuch zu machen, um von dem Friedländer erträgliche Bedingungen zu erlangen. Am 30. Juni ging eine Deputation aus der Stadt in’s Hainholz, das Hauptquartier Wallenstein’s, und wurde von ihm unerwartet gnädig

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