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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

zu dringen vermochte und daher Balken und Bretter und Menschenköpfe und Menschenarme in ungeheuerlichem Dunkel begrub, aus welchem nicht selten der schmerzliche Aufschrei eines Vordermannes ertönte, dem die Last seines sich auf ihn lehnenden Hintermannes zu schwer zu werden begann. Schon drohte das Gesumme und Gedränge über dieses Ufer zu branden, als an der Seite des Eingangs der Thürvorhang emporflog, der prachtvolle Sonnentag von draußen in die Nacht hineinwehte und den früheren Lärm in dem Gemurmel untergehen machte: „Jetzt kommen sie; jetzt geht das G’spiel an.“

Und das G’spiel ging an.

Die Musikanten nahmen ihre Plätze vor der Bühne ein und zündeten die Kerzen an; der Vorhang, auf welchem Anker, Kreuz und darüber ein brennendes Herz, als Sinnbilder von Glaube, Liebe und Hoffnung, mit einem Strahlenkranze umgeben gemalt waren, fing an, sich geheimnißvoll zu bewegen. Nach kurzer Einleitungsmusik, die sich wie ein Kirchenlied anhörte, ging er in die Höhe, und mitten unter Wolken erschien eine Art Genius, welcher bei solchen Anlässen nie fehlen darf und der „Schutzengel“ genannt wird. Mit mächtigen Flügeln an den Schultern, einem goldenen Diadem um die Stirn und einem Palmenzweig in der Hand schritt er feierlich auf dem Vordergrunde der Bühne hin und wieder, um nach einer etwas einförmige Einleitung den Inhalt des Stückes abzusingen, dann aber in den Wolken und mit denselben zu verschwinden und den Schauplatz dem Pfalzgrafen Siegfried und seiner Genoveva zu überlassen. In vertrauter Häuslichkeit saß das Paar beim Abendimbiß zusammen, einen Zweigesang über das Glück seiner Liebe anstimmend. Aber nur zu bald erschien als Störenfried der alte Knappe Kaspar, bei dessen bloßem Anblick die ganze Zuhörerschaft in schallendes Gelächter ausbrach, sodaß er nur mit Mühe und Noth, unter allerlei lustigen Geberden und Wortverdrehungen sich des Auftrags entledigen konnte, es sei Botschaft gekommen, der Pfalzgraf müsse sofort aufbrechen und in den Krieg ziehen zu den Türken nach dem Mohrenlande. Wieder ging eine starke Bewegung durch die Zuschauer; bei den schmerzlichen Abschiedsworten Genovevas begannen schon Thränen zu fließen, während die derben Späße des Kasperl dazwischen hinein wieder laute Heiterkeit hervorriefen. Wie sollten die einfachen Gemüther nicht lachen, wenn ihn der Pfalzgraf fragte, ob er mit wolle in den Krieg, und er darauf erwiderte, er wolle lieber bei dem Kruge bleiben, und wenn vollends auf die Anfrage, ob es ihn denn nicht auch gelüste, tapfer auf die Türken einzuhauen, der zwerchfellerschütternde Bescheid folgte: zum Einhauen sei er allerdings bereit, aber nur in die Schüssel. Als dann der biedere Drako mit dem bösen Golo erschien, und dem sich bückenden und schmiegenden Heuchler die Obhut der Burg übertragen ward, begann unter den Zuschauern zur Rührung sich schon der Schrecken zu gesellen, den auf der Stirn und dem Angesicht desselben war deutlich zu lesen, daß mit ihm das Unheil heranziehe wie ein Gewitter am fernen Horizont.

Wie zuvor der Sturm, lagerte jetzt athemlose Stille über der Versammlung, und angehaltenen Odems lauschte dieselbe zum zweiten Male dem Schutzengel, der den Inhalt des nächsten Abschnittes vorhersang. Nur hier und da stieß einer seinen Nachbar mit dem Ellenbogen und flüsterte ihm nickend zu, wie der Genoveva das Gewand als Pfalzgräfin so schön angestanden, wie sie ihre Sache so wunderbar schön gemacht habe, als wenn sie immer beim Spielen gewesen wäre. Es war auch in der That nicht, als wenn sie Komödie spielte, sondern als wenn es ihr wirklich so um’s Herz wäre, wie sie sagte und sich anstellte.

Besonders trat dies hervor, als die Scene kam, wo der verräterische Golo sie mit seinen schändlichen Liebesanträgen bestürmte. Gori, der Darsteller desselben, zeigte sich ganz so, wie der Grenzer in seiner Erzählung ihn bezeichnet hatte. Gewandt in Bewegung und Rede, wie von einem Bauernburschen nicht zu erwarten war, sah er mit seinem rothen Bart und Haar wohl wild und unheimlich aus, aber durchaus nicht unschön, und er wußte seine starke Stimme zu so einschmeichelnden Klängen zu mildern, daß die schnöden Worte, die er zu sagen hatte, wirklich etwas Verführerisches bekamen. Noch natürlicher aber stellte Gertl den Abscheu vor den glatten Worten Golo’s dar und wies seine Versuche, sich ihr zu nähern, so natürlich und wahr zurück, daß auch Gori davon wirklich betroffen und verwirrt wurde und das Ganze sich nicht wie ein Spiel ansah, sondern wie wirkliches Erlebniß. Als er, seiner Rolle gemäß, ihr den Arm um den Leib schlingen wollte, versetzte sie ihm den vorgeschriebenen Schlag in’s Gesicht mit solcher Kraft und zugleich mit solcher Würde, daß er nicht scheinbar, sondern wirklich zurücktaumelte, und als sie dann Drako gerufen und ihm den Befehl ertheilt hatte, Golo nie wieder vor ihr Angesicht zu lassen, blieb er in einer Aufregung zurück, welche die daran geknüpften Gedanken und Pläne seiner Rache als eine ganz natürliche Folge erscheinen ließ.

Genoveva war hinter die Coulissen geeilt, um in einem kleinen dort angebrachten Verschlage den Anzug der Pfalzgräfin mit dem weißen Gewande zu vertauschen, mit welchem sie dann im Kerker zu erscheinen hatte – auch wollte sie die rührende Klage und das Gebet noch einmal überlesen, das sie in einer der folgenden Scenen zu sagen hatte. Das Urtheil, das die Landleute im Zuschauerraume über ihre Schönheit geäußert, war wohlbegründet.

Das jetzige weiße, weite Gewand aber ließ sie noch reizender erscheinen. Ihre Gestalt wurde durch die wallende Falte und den umschließenden Gürtel noch mehr in ihrer schönen Regelmäßigkeit gehoben und der volle Nacken, über den jetzt das gelöste blonde Haar reich herunterwallte, machte es wohl erklärlich, weshalb Gori ihr gefolgt war und sie mit lüsternen Blicke betrachtete, als sie aus dem Dunkel ihres Ankleidegemachs in’s Helle getreten war, um ihre Rolle besser lesen zu können.

„Aber Du kannst Dich schiech anstellen, Madel,“ sagte er, „indem er unvermuthet hinter sie trat und wieder ihr den Arm um die Hüfte zu legen versuchte. Man könnt’ wahrhaftig glauben, es wär’ Dein Ernst. Ich muß Dir schon sagen –“

Er konnte seine Rede nicht vollenden, denn wie zuvor taumelte er, von einem noch stärkeren Stoße getroffen, zurück, daß er beinahe zwischen die Coulissen auf die Bühne hinausfiel.

„Was fällt Dir ein, Du Wildling?“ rief sie. „Wie kannst Dich unterstehen und mich anrühren?“

„Oho!“ entgegnete Gori, „Du bist doch nicht wirklich eine Heilige, daß man Dich nicht einmal anrühren darf? Wir steh’n jetzt nicht draußen vor den Leuten, wo Du so hast thun müssen; jetzt sieht uns ja Niemand. Du glaubst nicht, wie schön Du bist, viel schöner als in dem vorigen fürstlichen G’wand! Dein Hals ist g’rad’ zum Hineinbeißen.“

Er erneuerte den Versuch einer Annäherung, aber eine abwehrende Bewegung Gertl’s ließ ihn nicht in Zweifel, welches Schicksal er zu erwarten hätte, wenn er auf dem Vorsatze beharrte.

„Komm’ mir nicht zu nah!“ rief sie. „Was willst von mir, Du ausgeschämter Mensch?“

„Was ich will? Dumm’s Ding!“ war Gori’s freche Antwort. „Was werd’ ich wollen? Verschossen bin ich in Dich; wie man nur in ein Madel verschossen sein kann – ich mein’, ich hätt’s Dir wohl gezeigt, so oft wir uns begegnet sind. Hast es nicht gemerkt?“

„Ich hab’ kein Merk auf Dich,“ war des Mädchens ruhige Antwort. „Ich hab’ nichts mit Dir zu schaffen.“

„Ach was! Du bist und bleibst halt ein gespreiztes Ding,“ lachte Gori. „Aber was braucht’s da viel Umschneiden? Ich sag Dir’s jetzt g’rad heraus: ich hab’ Dich gern und möcht’ Dich zum Schatz; Du brauchst einen Mann, also steh’n wir alle zwei in denselben Schuhen. Wie lang willst Du Dich mit Deiner Mutter noch fortfretten in Eurer Hütten? Sag’ Ja, dann heirathen wir einander vom Fleck weg. Wir werden schon gut hausen, und bei allen Zweien wird die Notherei ein End’ haben.“

Näher tretend, faßte er ihre herabhängenden Hände; Gertl aber riß sie mit einem Abscheu los wie bei der unvermutheten Berührung einer Natter.

„Ich Dich heirathen?“ sagte sie mit einem Erröthen des Unwillens. „Ich weiß mich keiner solchen Todsünd’ schuldig, daß ich eine solche Strafe verdient hätte.“

„Mach’s nit gar so kräftig!“ lachte der Bursche höhnend und gereizt hinwieder. „Man möchte glauben, Du hättest es mit dem bösen Feind zu thun. Und ich sag’ Dir’s noch ’mal, Du mußt Ja sagen; ich laß Dich nicht aus; ich hab’ mir’s einmal in den Kopf gesetzt, und bild’ Dir nur nichts ein, daß ich Dich etwa gar einem Andern laß’!“

Gertl, anfangs von dem unerwarteten Gespräche befangen,

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