Seite:Die Gartenlaube (1878) 390.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„So möchte ich Sie doch fragen, was denn nun eigentlich aus Ihnen und dem Fräulein werden soll?“

„Ein Ehepaar!“ versetzte Max lakonisch. „Was denn sonst?“

Wider Erwarten entsetzte sich Frau Christine gar nicht über diese Antwort. Sie war, wie der Hofrath ihr oft genug vorwarf, ein Freigeist. Obgleich selbst Katholikin, war sie doch die Wittwe eines Protestanten und hatte im Laufe ihrer Ehe verschiedene ketzerische Grundsätze eingesogen, wozu unter Anderem auch eine entschiedene Abneigung gegen das Klosterleben gehörte. Sie hatte jenen Entschluß des jungen Mädchens nie mit günstigen Augen betrachtet und zog es unbedingt vor, ihr Fräulein im Myrthenkranze statt im Nonnenschleier zu sehen. Das Vorhaben des Doctor Brunnow, der ihr vom Anfang an gefallen hatte, erfreute sich also durchaus ihres Beifalls, dennoch schüttelte sie bedenklich den Kopf.

„Aber das geht nun und nimmermehr. Vergessen Sie denn ganz, daß Fräulein Agnes in’s Kloster gehen will?“

„Daraus wird nichts,“ entschied Max. „Sie ist noch nicht drinnen, und ich werde schon dafür sorgen, daß sie nicht hinein kommt. Vor allen Dingen sagen Sie dem Fräulein noch nicht, daß ich mich besser befinde, und verschweigen Sie ihr auch den Streit mit meinem Herrn Collegen und den vortrefflichen Appetit, den ich vorhin entwickelt habe! Ich werde ihr das selbst erzählen.“

Christine stutzte ein wenig bei dieser Weisung.

„Herr Doctor, Sie werden doch nicht so gewissenlos sein, und denn armen Kinde eine Komödie vorspielen?“ fragte sie.

„Ich bin in solchen Dingen schrecklich gewissenlos,“ erklärte der Herr Doctor mit Seelenruhe. „Uebrigens verlange ich Ihr Schweigen nur so lange, bis ich Fräulein Agnes selbst gesprochen habe, dann wird sich das Weitere schon finden.“

Das geforderte Versprechen konnte nicht mehr gegeben werden, denn Agnes trat in diesem Augenblicke ein. Sie sah in der That sehr blaß aus, und der trübe fragende Blick, den sie auf Christine richtete, verrieth ihre ganze Hoffnungslosigkeit. Mit leisem Schritt trat sie an das Bett des Kranken, beugte sich über ihn und fragte mit bebender Stimme, wie er sich befinde.

Herr Doctor Brunnow hütete sich wohlweislich, die frischen Lebensgeister zu zeigen, die sich vorhin bei dem medicinischen Streite in ebenso überraschender, wie erfreulicher Weise geregt hatten. Er fand für gut, statt aller Antwort dem jungen Mädchen nur mit einer matten Bewegung die Hand entgegen zu strecken. Max wußte sehr genau, welchen mächtigen Bundesgenossen er in der vermeintlichen Todesgefahr hatte, und da er seinem eigenen Geständnisse nach „schrecklich gewissenlos“ war, so besann er sich keinen Augenblick, die Situation praktisch auszunützen.

Frau Christine fand allerdings, daß der Doctor ein ganz abscheulicher Mensch sei, aber sie war viel zu sehr mit dem Endzwecke dieser Abscheulichkeit einverstanden, um sich dagegen aufzulehnen. Sie berichtete daher nur, daß der Arzt dagewesen sei, aber keine neuen Verordnungen getroffen habe, und ergriff dann die erste Gelegenheit, das junge Paar allein zu lassen.

Agnes hatte ihr Amt am Krankenbette wieder angetreten.

„Nehmen Sie die Arznei!“ bat sie. „Doctor Berndt hat mir die größte Pünktlichkeit darin anempfohlen; er hat erst gestern diese neue Verordnung getroffen.“

„Doctor Berndt giebt mich ja doch so wie so auf,“ entgegnete Max. „Also ist es ganz unnöthig, daß ich seine Arznei nehme.“

„Nein, nein, gewiß nicht!“ beschwichtigte Agnes, deren angstvolle Züge freilich ihre Worte Lügen straften. „Er sprach nur von einer Gefahr, die möglicher Weise eintreten könnte –“

„Ich habe ihn heute Morgen selbst gesprochen,“ unterbrach sie der junge Arzt, „und aus seinem eigenen Munde sein Urtheil gehört. Er hält meine Wunde für tödtlich.“


(Fortsetzung folgt.)



Der Vater der deutschen Schauspielkunst.

In der Geschichte der deutschen Bühne trägt der 16. Juni für alle Zeiten einen Trauerrand. Er gilt dem Andenken eines Mannes, der vor nun gerade einem Jahrhundert sein inhaltreiches Leben beschloß, eines Künstlers von bahnbrechendem Genie, den schon seine Zeitgenossen den „deutschen Roscius“, den „deutschen Garrick“, den „Vater der deutschen Schauspielkunst“ nannten – dem Andenken Conrad Eckhof’s.

Unser Künstler wurde als Sohn eines Stadtsoldaten am 12. August 1720 zu Hamburg geboren. Nach Verlauf der Schuljahre finden wir ihn als Schreiber bei dem schwedischen Postcommissar zu Hamburg, aber seines Bleibens war dort nicht lange, und die Veranlassung seines Weggangs war komisch genug. Sein Herr verlangte, daß der junge Schreiber zugleich Lakaiendienste versehen und auch, auf dem Trittbret des Wagens stehend, die Frau Postcommissarin zur Kirche begleiten sollte. Hiergegen sträubte sich das Selbstgefühl des jungen Mannes; er protestirte, und als er sich gleichwohl dem Befehle fügen und einem Dienst, der ihm unwürdig erschien, wirklich erfüllen mußte, verließ er Tags darauf diese Stellung und suchte außerhalb seiner Vaterstadt als Schreiber sein Brod. Er fand es und mehr als Brod bei einem Anwalt in Schwerin. Sein dortiger Principal, ein Freund der Musen, besaß eine ansehnliche Bibliothek, darunter namentlich viel belletristische und theatralische Schriften. Der junge Eckhof benutzte die Gelegenheit zur Lectüre auf das Eifrigste. Namentlich war es die Bühnendichtung, die ihn mächtig anzog. Die Dramen, welche er las, erschlossen ihm eine neue Welt, und schon damals kam ihm der Gedanke, der Entschluß, Schauspieler zu werden.

Aber wie erbärmlich waren die damaligen Bühnenzustände! Wie die dramatische Dichtung, so stand auch die Bühne auf niedriger Stufe. Noch gab es auf den deutschen Schaubühnen eine Art Heldentrauerspiele, in kalten, steifen, gereimten Versen geschrieben, welche mit großer Gemessenheit in Schritt und Tritt, mit kaltem, leerem Schwulst, mit eingestemmtem oder weit hinaussegelndem Arme vorgetragen werden mußten. Es gehörte zur Kunst, den Mund so voll zu nehmen, daß kein Wort, kein Laut herauskommen konnte wie bei anderen Menschen; die Blicke stets in den Wolken, die Worte lang gezogen, gewisse Sätze einem fern herziehenden Donnerwetter mit Blitz und Einschlag ähnlich — das nannte man eine „Staatsaction“, und obgleich nach dem Jahre 1730 allmählich bessere Stücke für die deutsche Bühne erschienen, mußte bekanntlich noch Friederike Karoline Neuber mit ihrer Schaupielertruppe oft genug zu den Haupt- und Staatsactionen ihre Zuflucht nehmen. Daneben machte sich, wenn auch nicht mehr in Gestalt des Hanswurstes, welchen, wie man weiß, die Neuber zu Leipzig 1737 vom Theater verbannt hatte, doch in anderer bunter Jacke platte Possenreißerei breit. Die Erscheinung bürgerlicher Trauerspiele, welche Menschen aus dem Volke, aus dem Leben schilderten und dargestellt verlangten, setzte jene Schauspieler in die größte Verlegenheit, und alle Versuche, den Schwulst zu bannen, scheiterten. Hier und da machte zwar ein Bühnenkünstler den schüchternen Versuch, die Sprache des Herzens und die Sitte des guten geselligen Lebens in diesen neuen Schauspielen auf die Bretter zu bringen, aber im Allgemeinen herrschte dort nur Unwahrheit und Unnatur. Zugleich waren die Theater nicht öffentliche, feste Anstalten, sondern Privattruppen, welche in buntem Wanderleben ihre weltbedeutenden Bretter bald hier, bald dort aufschlugen, und manche ihrer Mitglieder pflegten auf diesen Wanderzügen ein wenig geregeltes Privatleben zu führen. Hatte man diese herumziehenden Schauspielergesellschaften in früherer Zeit als Vagabunden und zusammengelaufenes Lumpengesindel behandelt, so litten auch noch im Jahre 1740, in Folge des alten Vorurtheils und der eben geschilderten Zustände, die „Komödianten“ unter der Mißachtung des Volkes, die Schauspielkunst galt noch für ein mehr als leichtfertiges Gewerbe, ja man hielt es für zweifelhaft, ob die, welche sich mit ihm befaßten, der Seligkeit theilhaftig werden könnten.

Aber all diese Mißstände konnten unsern Eckhof nicht abhalten, dem innern Rufe, der ihn immer dringender mahnte, zu folgen. Ihn drängte es, wahre Menschen wahr darzustellen, dem wirklichen lebendigen Leben, dem wahren und warmen Gefühl

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_390.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2019)