Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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welche Eigenthum der Kirche und von derselben meist an vornehme Familien vermietet waren, die schon seit Generationen in diesen Häusern wohnten und sie fast wie ihr Eigenthum betrachteten, wurden nun ungefähr für den sechsten Theil des Werthes vom Staate zum Verkauf ausgeschrieben. Welche glänzenden Aussichten für speculative Köpfe! Allerdings riskirte man, über kurz oder lang, wenn die clericale Partei wieder am Ruder sein würde, das Gesetz beseitigt zu sehen. Trotzdem sprachen mehr Gründe für als gegen die Benutzung der Gelegenheit, und viele Fremde namentlich, welche richtig erwogen, daß die Zeit nicht zurückschreitet, selbst wenn sie es einmal mit einem kurzen Anlauf versucht, unternahmen die Geschäfte und hatten es später auch nicht zu bereuen.
Die Mexicaner selber waren zaghafter, und die offenen Anhänger der clericalen Partei mußten ja schon des Princips wegen von dem Ankaufe absehen. Die Gleichgültigen und Principlosen aber waren doch zu befangen in dem Glauben, es könne ein der Kirche „entwendetes“ Gut, wie die Clericalen es nannten, unmöglich Segen bringen. Auch sie beteten scheu und ängstlich ein Ave Maria, wenn der Gedanke an das vortheilhafte Geschäft einmal in ihrem Innern auftauchte – und unterließen es. Es waren also nur die Liberalen und die Fremden, welche öffentlich diesen in der That brillanten Handel machten. Dennoch entdeckte man schließlich, daß man durch eine überraschende List getäuscht worden war. Es stellte sich nämlich heraus, daß die Hauptkäufer die reich mit Geld versehenen Clericalen gewesen waren. Als diese schließlich sahen, wie die Sache ernsthaft wurde, versteckten sie sich hinter Agenten und gaben denselben unter Zuwendung eines kleinen Gewinnes das Geld.
Die Handlungsweise des klugen Benito Juarez ist kühn zu nennen, wenn man die Verhältnisse in Mexico und die Mittel und Wege genauer kennt, welche hier der Priesterpartei zu Gebote standen. Man fürchtete, daß Juarez eines Tages still bei Seite geschafft werden würde, denn der Clerus knirschte vor Wuth, und es war eine furchtbar aufgeregte Stimmung, die sich erst lange nachher beruhigte, als nun auch die Klostermauern zusammenstürzten und elegante Häuser aus diesem geheiligten Boden erwuchsen.
Bei allen diesen Aufregungen jedoch sah man Juarez mit seinem häßlichen, aber charaktervollen Indianergesicht ruhig in seiner einfache offenen Chaise durch die Straßen von Mexico fahren; er gab nicht in dem kleinsten Punkte nach und ging unbeirrt den Weg, welchen er sich vorgezeichnet hatte. Das Gesetz über „die Aufhebung der Klöster“ brütete lange in seinem Hirn, denn er verstieß damit nicht nur bei seinen Parteigängern, sondern fand bei Bewerkstelligung der Sache auch selber unzählige Schwierigkeiten. Selbst viele in dieser Beziehung ganz freidenkende Leute fanden es menschlicher, daß man die Klöster, wie sie einmal bestanden, mit allen den Menschen, deren Seelen mit diesen Instituten verwachsen waren, vorläufig dulden, das heißt, wie in andern Ländern, einfach aussterben lassen solle. Dagegen hatte man denjenigen Mönchen und Nonnen die volle Freiheit zu geben, welche dies wünschten. Bei dieser Gelegenheit trat deutlich zu Tage, daß es stark eigensinniges Indianerblut war, das in den Adern des tatkräftigen Juarez rollt. Vielleicht würde er, wenn er ein weicheres Empfindungsleben gehabt hätte, zum Nachtheile der Sache es nicht über sich vermocht haben, so viele Menschenseelen, namentlich unter den Frauen, in furchtbare innere und äußere Conflicte zu stürzen. So aufrichtig man auch die guten Eigenschaften von Juarez, namentlich seine Energie und Uneigennützigkeit, zu schätzen wußte, war man doch etwas gereizt gegen ihn, als zahlreiche Nonnen mit verhüllten Gesichtern durch die Straßen liefen, heimath- und obdachlos und doch bereit, lieber zu sterben, als ihr Gelübde zu brechen. Eine junge, reizende Nonne, welche ich erst einige Jahre früher hatte einkleiden sehen, die Tochter einer Marquise, flößte mir besonderes Mitleid ein. Ich dachte der Stunden, als man sie damals in aller Pracht ihrer Jugend und Schönheit, im Schmucke der Braut – nach Klosterbrauch – noch einmal der Welt präsentirte und sie dann einige Zeit später, als Schwester Brigitta, mit abgeschnittenem Haar, im grauen Nonnenkleide durch die Kirche führte – um sie für ewig in derselben zu begraben. Aber heute, als ich sie zufällig wieder, dicht verhüllt, in die Chaise steigen sah, welche sie vorläufig in eine abgeschiedene Kammer ihres Elternhauses bringen sollte, und als sie selbst die Theuersten – ihrem Gelübde treu, nicht sehen und sprechen wollte, that mir das Herz weh über all dem Elend, mit welchem sich die Menschen in ihrem Wahne martern. Erst nach Monaten hörte ich, daß Schwester Brigitta’s Bruder, ohne daß sie ihre Gelübde gebrochen, sie glücklich nach Rom begleitet habe und sie dort wieder im Hafen klösterlicher Ruhe sei.
Betrachtete man dagegen die Sache von der anderen Seite, so mußte man sich allerdings sagen, daß die Klöster nur mit einem tiefgreifenden und schmerzhaften Schnitt ausgemerzt werden können und daß uns ja die Geschichte genugsam darüber belehrt hat, wie einzelne Menschenleben nicht berücksichtigt werden können, wenn es sich um das Wohl und Wehe der Gesammtheit handelt. Zudem wollte Juarez das Beste und handelte nach seiner innersten und tiefsten Ueberzeugung – das wußten wir damals genau, da wir mit Leuten verkehrten, welche zu ihm in den nahesten Beziehungen standen. Selbst als er später das Todesurtheil an dem unglücklichen Maximilian vollziehen ließ, gab er ihm vorher genugsam Gelegenheit zu entfliehen(?); er beklagte den österreichischen Prinzen als Mensch, weil er ihn achtete und bemitleidete – aber von seinem politischen Standpunkte aus, als Präsident der Republik, betrachtete er ihn als Rebellen und glaubte nicht anders handeln zu dürfen.
Die Angelegenheit verursachte natürlich große Umwälzungen im ganze Lande, und wenn auch späterhin ein etwas milderes Gesetz manche Klöster wieder duldete, so änderte doch das für den Augenblick an der entstandenen Verwirrung nichts. Neugierig schritten nun Viele aus der Bevölkerung durch die großen, leeren Klostergebäude, in deren Innerem es so kahl und unheimlich aussah, daß man es nur dem Fanatismus und der Gewohnheit zuschreiben konnte, wenn Töchter aus den ersten Familien in diesen kleinen, öden Zellen ein zum Glück berechtigtes Menschendasein langsam abgetödtet hatten. Fast alle Klöster, welche ich damals durchwandert habe, boten dasselbe Bild. Jede Nonne hatte ihre eigene Zelle, so klein, wie nur möglich, mit getünchten Wänden, einem vergitterten kleinen Fester, einem Bett, einem Stuhl, einer Kiste. In jedem dieser Gemächer stand ein Kochherd mit einigem Geschirr, auf welchem sich die einsame Bewohnerin der Zelle, mochten ihre Hände noch so fein und verwöhnt sein, selbst das Mittagsmahl bereitete, welches sie auch allein zu verzehren hatte.
Inmitten des Hofes befand sich ein Garten, in dem die Nonnen zu gewissen Stunden spazieren gehen durften, ohne jedoch mit einander zu sprechen und zu verkehren. Unwillkürlich mußte ich der sehnsuchtsvollen Seufzer gedenken, die wohl aus der Brust so mancher junge Nonne aufgestiegen sein mochten, wenn sie hier, die Hände auf das heißklopfende Herz gepreßt, an weichen Abenden unter den prachtvollen Orangenbäumen stand, vielleicht den Mond betrachtend, wie er über der hohen Mauer, welche sie von der Welt trennte, so einsam emporstieg, und sie sich dann in der öden Gefangenschaft ein Leben träumte – schöner gewiß, als es die Wirklichkeit jemals bietet.
Schrecklich melancholisch sahen mich diese Mauern an, und es war mir, als könnte ich aus den morschen Quadern die traurigen Geschichten lesen, die sich hier abgespielt. Von diesen Geschichten redeten auch die Physiognomien der Nonnen, so viel ich deren gesehen habe; sie alle trugen denselben Ausdruck des Herben, der Verbitterung und Fühllosigkeit.
Anders war es mit den Mönchsklöstern. Es gab nur sehr wenige in Mexico, welche ganz von der Welt abgeschieden waren, und als man die Klostermauern niederriß, zeigten sich Spuren von dort verübten Verbrechen, die nur zu klar bewiesen, daß die Bewohner, trotz Abtödtung und Entsagung, allen weltlichen Lüsten gefröhnt hatten. Als das Kloster von San Francisco, eines der größten der Republik, niedergerissen wurde, fand man daselbst Frauen- und Kinderskelete in Menge, und der Zudrang zu der Stätte war so groß, daß man sich genöthigt sah, den Platz polizeilich absperren zu lassen. Ein besonders schrecklicher Fall trug sich bei derselben Gelegenheit in einer kleinen Provinzialstadt in der Nähe Toluccas zu. Als die Mönche, welche durchaus das dortige Kloster nicht räumen wollten, endlich vor der Gewalt die Flucht ergriffen, vernahm man beim Durchgehen der Räume eine wimmernde Menschenstimme. Nach langem Nachforschen entdeckte man endlich eine Fallthür in einer der Sacristeien,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_298.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)