Seite:Die Gartenlaube (1878) 264.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

selbst mehrere Arten, was indessen wieder dadurch ausgeglichen wird, daß viele Fische aus verwandten Gattungen, welche eine ähnliche Lebensart besitzen, derselben Krebsart als Ernährer dienen. So wird man auf den Kiemen der verschiedenen Plattfische, Zungen, Schollen, Butte etc., die ja alle im Sande sich eingraben, denselben Knorpelkrebs (Chondracanthus) finden, zu welchem sich dann oft noch Würmer und andere Krebsthiere gesellen.

Wenn es so verhältnißmäßig leicht ist, beim Suchen nach neuen Formen sich zu befriedigen, so hält es um so schwerer, die Metamorphosen der einzelnen Arten von Kiemenschmarotzern in ihren Einzelheiten zu verfolgen. Die herangewachsenen Thiere findet man leicht, indem man die Kiemen mit der Lupe durchmustert. In Roscoff wurden die zum Frühstück oder Mittagessen im Hôtel bestimmten Fische auf einer Steinbank im Hofe abgelegt und dort gesäubert. Ich schnitt anfangs selbst mit einer Scheere die Kiemen heraus; nachdem unser freundlicher Wirth, G. Legad, einmal wußte, was ich suchte, besorgte er dieses Ausschneiden selber, und ich fand beim Eintreten die Kiemen der über Nacht gefangenen Fische in einem Papiere eingewickelt. Das gab dann Nachmittagsarbeit. Die Kiemen wurden mit der Lupe unter Wasser durchsucht, die Thierchen abgestreift oder mit dem Kiemenblättchen, an dem sie festsaßen, abgelöst und in einem Glaswännchen mit frischem Seewasser übergossen. Da leben sie dann oft lange – um so länger, je reiner man das Wasser halten und je leichter man sie von den Kiemenblättchen loslösen kann, welche durch ihre Zersetzung das Wasser verderben. Oft kann man die Eier so lange erhalten, bis die Jungen ausschlüpfen – dann aber ist es meist mit der direkten Beobachtung vorbei. Denn alle diese Jungen sind sehr klein, kaum mit dem bloßen Auge sichtbar; alle gehören dem Typus des Nauplius an, von welchem ich in einem vorigen Artikel sprach; alle schwimmen vortrefflich. Wechselt man das Wasser nicht, so sterben sie; wechselt man es, so entschlüpfen sie nach und nach alle. So fehlen denn auch in meinen Beobachtungsreihen, wie in denen aller früheren Forscher, die Zwischenglieder zwischen der Urform des Nauplius einerseits und der Gestalt des erwachsenen Thieres andererseits.

Wenn gleich gemeinsamer Grundform entstammend und in ihren Formen unendlich auseinandergehend, unterscheiden sich doch diese Kiemenschmarotzer von den Bewohnern der Seescheiden durch ein gemeinsames Merkmal, das sie zugleich den eigentlichen Krebsflöhen (Cyclops) näher rückt. Die Weibchen tragen sämmtlich ihre Eier in zwei mehr oder minder langen Schläuchen, welche an dem Hinterleibe befestigt sind, während die Seescheidenbewohner sie auf dem Rücken innerhalb der Körperhaut selbst mit sich schleppen. Mag auch der Kiemenschmarotzer und die ihm verwandten Arten, welche sich selbst in das Fleisch der Fische Gänge graben, noch so tief mit seinem Körper in das Gewebe eingebohrt sein, die frei hervorhängenden Eierschläuche, die oft weit länger sind, als der Körper des Thieres, verrathen immer das trächtige Weibchen. Diese Eierschläuche werden erst gebildet, wenn die Eier aus dem Körper austreten; bei jungen Weibchen findet sich keine Spur davon, während bei den Seescheiden-Bewohnern der Brutraum stets vorgebildet ist und nur bei der Zunahme der Eier sich weiter ausdehnt. In diesen Eierschläuchen entwickeln sich die Eier bis zu dem Zustande des Nauplius, der dann die Haut des Schlauches durchbricht und ausschwärmt, so daß man bei längerem Halten der Thierchen in stets erneuertem Seewasser immer Aussicht hat, die eben ausgeschlüpften Jungen in der Glaswanne sich tummeln zu sehen.

Nicht alle Kiemenschmarotzer stehen auf gleicher Stufe des Parasitismus, wenn sie erwachsen sind. Die Einen sind noch leicht beschwingte Gesellen; vorn mit Klammerfüßen, hinten mit Schwimmfüßen versehen, verlassen sie zuweilen die Kiemen, hängen sich an dem Kiemendeckel oder sonst wo an und wandern wohl auch von einem Fische zum andern. Von einem großen Turbot hatte ich wohl hundert Stück einer Gattung (Caligus) abgelesen, die alle noch bei vollem Leben waren. Sie schwammen in der Glaswanne mit hurtigen Stößen umher, meist den Bauch nach oben gerichtet, wie die freilebenden Kiefenfüße (Apus), setzten sich mit ihrem breiten, dünngeränderten Kopfschilde an den Wänden und dem Boden fest, sodaß man wohl einsah, wie sie sich in derselben Weise, auch ohne ihre Klammerfüße zu gebrauchen, an einem glatten Fische festsaugen können, und schienen sogar dieses freien Lebens im Wasser durchaus nicht überdrüssig nach längerem Aufenthalte. Hier findet sich also nur die erste Stufe des Schmarotzerlebens ausgebildet und übereinstimmend damit schaut der Caligus mit großem, lebhaft rothem Auge in die Welt hinein und entwickelt zarte, röthliche und gelbe Farben auf seinem durchsichtigen Körper, während die anderen Kiemenschmarotzer entweder schmutzig blutroth oder einfach weiß erscheinen, entsprechend der Flüssigkeit, die sie saugen, oder dem dunklen Aufenthalte, den sie niemals verlassen. Unter diesen aber giebt es die mannigfachsten Stufen der Rückbildung, von welchen ich dem Leser nur zwei vorführen will, die zu den häufigeren Arten gehören, deshalb aber nicht minder seltsam und fremd erscheinen mögen.

Lernanthropus Kroyeri hat van Beneden einen kleinen Schmarotzerkrebs genannt, welcher an den Kiemen des im Ocean und der Nordsee ziemlich häufigen, schmackhaften Bar oder Loup (Labrax lupus) sich findet (Fig. 1, 2 und 3). Das Thier ist nicht ganz leicht zu finden, denn obgleich die Weibchen bis zehn Millimeter, und ihre fadendünnen, braunen Eierschnüre bis zwölf Millimeter lang werden, während das Männchen nur höchstens drei Millimeter Länge erreicht, stimmt doch seine Farbe so gut mit derjenigen der Kiemenfransen überein, daß man es nur schwer unterscheidet, zumal da es diese Fransen eng mit seinen lappenähnlichen Armen umfaßt und mit den Kopfklauen sich fest einhakt.

Der Name Lernanthropus (Lernäen-Mensch) ist vortrefflich gewählt – Lernäen nennt der Zoologe überhaupt die Schmarotzerfamilie, der die Gattung durch ihre Organisation angehört, und eine gewisse Aehnlichkeit mit der Carricatur eines in einen engen Frack gehüllten Culturmenschen läßt sich besonders einer Profilzeichnung des Thieres nicht abstreiten. Beide Geschlechter zeigen außer der Größe bemerkenwerthe Verschiedenheiten. Der Kopf des Weibchens (Fig. 2) ist, von oben oder unten betrachtet, breit herzförmig; die Seitenränder sind nach innen eingebogen; derjenige des Männchens dagegen fast viereckig. Vorn an dem Kopfe stehen auf einer queren Verengung bei beiden Geschlechtern zierlich nach außen geschwungene, kurze Fühlhörner; dahinter auf der Bauchseite zwei gewaltige Hakenglieder, die aber bei dem Männchen weit größer und schärfer gekrümmt sind. Mit der Beschreibung der Mundorgane und einiger gänzlich verkümmerter Schwimmfüße, die auf ein gezahntes Blättchen reducirt sind, will ich den Leser nicht aufhalten; sie sind bei beiden Geschlechtern beinahe gleich. Auf den Kopf folgt ein mittlerer Körpertheil, der vorn schon die verkümmerten Schwimmfüße, nach hinten aber lappenförmige Anhänge trägt. Bei dem Weibchen sind diese kurz, dütenförmig zusammengeschlagen, bei dem Männchen (Fig. 1) dagegen lang, aus einem großen lanzettartigen Blatte mit einem kleinen Anhange an der Wurzel gebildet. Die hintere Körperabtheilung ist verbreitert und auf dem Rücken wie ein modern abgestutzter und zugerundeter Frackflügel emporgehoben; sie trägt auf der Bauchseite jederseits zwei aus einer gemeinsamen Wurzel entspringende, langzugespitzte Blattflügel, die bei dem Männchen verhältnißmäßig länger sind, und nahe der Mittellinie zwei kleine, mit feinen Endborsten besetzte Spitzen. Von Augen läßt sich keine Spur entdecken; der gerade Darm läuft ohne bemerkenswerthe Erweiterung von vorn nach hinten; die übrigen Körperräume sind undurchsichtig durch die Erfüllung des dunkelbraunen, netzartig gebildeten Eierstockes. Gefäßartige Canalräume, mit rother Flüssigkeit gefüllt, ziehen durch den ganzen Körper und die flügelförmigen Anhänge.

Die Thiere sind äußerst unbehülflich; die Weibchen liegen meist ruhig da; die Männchen schleudern ihre Anhänge umher und bewegen sich dadurch, wenn auch langsam, von der Stelle.

In den Zellen der dünnen Eierschläuche liegen die Eier so fest hinter einander gepreßt, daß sie scheibenförmig abgeplattet erscheinen. Die eben ausgeschlüpften Jungen (Fig. 3) haben einen braunen, dichten Dotter, der die ganze Leibhöhle erfüllt, breite Gestalt, die drei Normalglieder des Nauplius, die vorderen wie gewöhnlich einfach, die hinteren beiden Paare mit doppelten Endgliedern und ungemein langen Schwimmborsten; an dem hinteren Ende zwei feine Stacheln. So gleichen sie ganz der gewöhnlichen Nauplius-Form, aber das meist so auffallende rothe Stirnauge ist nur wenig gefärbt und läßt sich nur bei der Ansicht vom

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_264.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)