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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


und zum Theile in packender Weise weiß er hierbei die lehrhafte Monotonie zu vermeiden, indem er mit zwei von verschiedenen Standpunkten der Betrachtung ausgehenden Stimmungen, theils an die Urzeit, theils an die Gegenwart sich anschließend, und mit zweierlei Versbau abwechselt.

Am Schlusse der sogenannten Schöpfungsgeschichte singt Kobell folgende zwei sein ganzes Wesen kennzeichnende Endstrophen:

D’rum gieb dich vertrauenden Herzens hin
Und – werde was da werde! –
Mit dankender Seele pflücke den Tag;
Vom Himmel ja kommt er zur Erde!

Und lausche und lern’ von der Vöglein Gesang,
So friedlich tönend und labend!
Sie grüßen den Morgen und, sorglos der Nacht,
Auch grüßen sie freudig den Abend.

Als classisches Werk gilt in sachverständigen Kreisen Kobell’s illustrirtes Prachtwerk „Der Wildanger, Skizzen aus dem Gebiete der Jagd und ihrer Geschichte“ (Cotta 1859). Lange vorher schon hatte aber Kobell im Vereine mit Pocci als Illustrator das Herz der Jäger durch seine „Alten und Neuen Jägerlieder mit Bildern und Singweisen“ (1843) erfreut.

Ein Band ernster, hochdeutscher Gedichte (1852) fand ebenfalls warme Aufnahme. Was jedoch den dichterischen Ruf Kobell’s zunächst fest begründet hat, das waren seine Gedichte in oberbaierischer (6. Auflage 1862) und pfälzischer Mundart (5. Auflage 1862). Die Beherrschung beider, selbst der letzteren Mundart, welche Kobell nur seinen Kindsmägden ablernte, die der besorgte Vater wegen ihrer Zuverlässigkeit aus der Pfalz nach München hatte nachkommen lassen, ist eine vollständige. Ganz in demselben Grade gelang es ihm auch, in das Denken und Treiben beider Volksstämme sich zu versenken und eine solche Lebenswahrheit und Anschaulichkeit in der Darstellung zu erreichen, daß man die einzelnen Personen der Gedichte, möge es nun Burschen oder Mädchen, Junge oder Alte sein, leibhaftig agiren zu sehen oder sprechen zu hören glaubt, ein Eindruck, welcher überdies von den betreffenden Volkstheilen selbst nach einstimmigem Zeugnisse ebenfalls getheilt wird. Reichthum in Erfindung, Bestimmtheit in Charakterisirung und Individualisirung einerseits, dann heitere, aber edle Lebensphilosophie, offener und warmer Sinn für Natur und Genuß ihrer Güter, tiefes, aber kräftiggesundes Gefühl, harmloser und doch scharftreffender Spott, urkomische Selbstironie andererseits, sind nur einige der Vorzüge, deren Zusammenwirken den unsäglichen Reiz erzeugen, welcher diesen Gedichten beinahe allen in gleichem Grade eigen ist und welcher im Stande ist, wohl selbst den Traurigsten aufzuheitern. Wahre Perlen des deutschen heiteren Dichtungsschatzes aus alter und neuerer Zeit sind z. B. „der Verdruß“ (oberbaierisch) und „die Gemsjagd“ (pfälzisch). Was die einzelnen Arten von Gedichten betrifft, so sind es theils lyrische theils epische, theils Idyllen, Stimmungs- und Genre- besonders Jagdbilder, theils Erzählungen, darunter patriotische Abrisse aus der specifisch baierischen Geschichte und ein paar längere novellenartige Erzählungen. Auch an Sagen und am Hereinragen einer dämonischen Welt fehlt es nicht. Das Originellste bilden die sogenannten „Schnadahüpf’ln“, das heißt die im Gebirge heimische Spott-Strophen, welche zumeist, wie ähnlich ernste Dichtungen in Italien von Zweien oder von zwei mehrköpfigen Parteien gegen einander gesungen werden. Kobell sitzt als volksthümlicher Stegreifdichter so fest im Sattel, daß er selbst schon solche Wettkämpfe mit den reim- und singfertigen Burschen des Gebirgs aufnahm. Einmal sollten zwei als solche Sänger bekannte Holzknechte sich bei Gelegenheit einer Jagd vor dem König hören lassen. Beide standen verdutzt da und waren nicht zum Anfangen zu bringen. Da verhalf ihnen Kobell in’s Geleise und zwar dadurch, daß er in ein paar kräftigen Schnaderhüpf’ln sie selbst angriff, ihnen vorwarf, daß ihre Kunst nicht weit her sein müsse, weil sie nicht die „Schneid’“ (den Muth) hätten, vor ihrem König zu singen. Da gingen sie los, packten erst Kobell wacker an und sangen dann gegen einander frisch und lustig fort. Ein anderes Mal griff in St. Bartholomä ein solcher Sänger ihn von freien Stücken an und forderte ihn förmlich auf einen Wettgesang heraus; Kobell mußte sich stellen. „Ich habe,“ erzählte er, „eine Zeitlang mit ihm gesungen, es ging mir aber doch früher das Trumm aus, wie ihm.“ – Er selbst stellt das Wesen des Schnaderhüpfels in folgenden zwei „Stuckeln“ dar:

Und a Schnadahüpfei
Is’ an offa’s Briefei,
Und da steht’s deutli’ drinn,
Wie dir is in dein Sinn.

Und a Schnadahüpfei
Hat an lustinga Stand,
Und macht überall auf,
Is a Landmusikant.

Zur Erleichterung des Verständnisses oder wenigstens zur Anbahnung eines solchen bei Fremden, der süddeutschen Dialekte Ungewohnten, sind den Schnadahüpf’ln Register der fremdartigsten Ausdrücke beigegeben.

Die Vorzüge der obenerwähnten Gedichtsammlungen theilen im Allgemeinen auch die späteren Erzeugnisse der Kobell’schen Muse. Es erschien nämlich in dem bekannten Münchener Verlage von Braun und Schneider, theilweise in Wiederholung aus den „Fliegenden Blättern“ eine „Sammlung von (neuen) Schnadahüpf’ln und prosaischen Erzählungen“ (ohne Jahreszahl). Unter letzteren ist besonders die „G’schicht’ von’ Brandner-Kasper“ und der „Türken-Hansl (Turco), a G’schichtl aus’n Krieg vo’ 1870“ in die weitesten Volkskreise gedrungen. Werthvoll ist eine Beigabe, auf welche wir besonders aufmerksam machen; es ist dies die längere Abhandlung: „Zur Charakteristik oberbaierischer und verwandter Dialektpoesie“.

Auch ein Büchlein mit prosaischen Novellen im pfälzischen Dialekte hat Kobell uns geschenkt. Der Titel lautet: „P’älzische G’schichte’“ (1863). Die neueste Gabe endlich ist das besonders von den Volkstheatern freudig begrüßte „G’schpiel“, das heißt eine Sammlung von Volksstücken und (neuen) Gedichten in oberbaierischer Mundart (1868). Theaterstücke von Kobell giebt es vier: „Der Roaga“ (Recher), „Der Rauba“, „Die Untersberger Maannl’n“ und „Brugger-Marie“.

Uebrigens ist unserm Dichter die Gabe der Identificirung mit der Volkssprache im weitesten Sinne eigen. Kobell hat sich auch im Schwäbischen wie im Englischen bereits mit Erfolg versucht. Sein Nachahmungstalent ist auch noch in anderer Richtung ein wahrhaft staunenswerthes. Wer das Glück gehabt hat, Kobell auch nur Eines seiner dialektischen Gedichte selbst declamiren oder sogar nur vorlesen zu hören, vergißt die frappante Täuschung nie mehr. Je näher man die Bauern des baierische Gebirges, die pfälzischen Spießbürger ober endlich unsere Schwaben kennt, um so mehr glaubt man sie selber zu hören und mit allen ihren eigenartigsten Manieren zu sehen, wenn man Kobell’s Werke liest.

Franz von Kobell gehört zu den originellsten Dichtererscheinungen der Gegenwart.

Dr. F. B.




Zur Naturgeschichte eines Vielverleumdeten.[1]
Von Gustav Heyer.

O du glückliche Zeit des ersten Katzenjammers!

Ein freundlicher Genius führt mich in meine Knabenjahre zurück; er zeigt mir einen rothbäckigen Buben in Gesellschaft von Altersgenossen, eine Gruppe von Knaben, welche „fern von Madrid“, vor den Späheraugen mißgünstiger Menschen, speciell der neugierigen Herren Lehrer gesichert, den bittern Studien des Cigarrenrauchens ob- und nach mannhaftem Kampf und Sträuben unterliegt. „Es weicht der Mensch der Götterstärke“. Auch jenen rothbäckigen Buben, mein ehemaliges glückseliges Ich, sehe ich erbleichen und seine Erfahrungen durch die Empfindung des ersten Katzenjammers bereichern.

Wohl Manchem von uns mag es ähnlich ergangen sein.

  1. Bei dem Interesse, welches die Frage der Tabaksbesteuerung augenblicklich in Anspruch nimmt, dürfte obiger Artikel unsern Lesern nicht unwillkommen sein.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_248.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)