Seite:Die Gartenlaube (1878) 244.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

war. Eine schöne und ganz originelle Aussicht hatte ich ringsum: die zahllosen über die verschiedenen Bergabhänge hingesäeten und die Gipfel krönenden Negerhütten mit ihrem bienenkorbartigen runden Baue und ihren zugespitzten Grasdächern gaben ein ganz reizendes Bild auf dem smaragdgrünen Wiesenteppich ab, der die Grundfarbe der ganzen Landschaft bildete. Dieses Paradies ländlichen Friedens wurde überragt von einer gewaltigen steilen Gebirgsmauer, auf deren höchsten Gipfeln man die Spuren einer fortificatorischen Anlage, Mauern mit Schießscharten erblickte.

Nachdem ich meine Feldwohnung wieder in aller Ordnung hergerichtet, das ist Stühle, den Feldtisch und das Eisenbett auseinandergeklappt und letzteres durch Roßhaarmatratzen, Schakal- und Tigerkarrossen zu einem eleganten weichen Divan umgewandelt hatte, machte ich einen Spaziergang in die Stadt.

Ich sah eine große, in sehr bunte Farben gekleidete Menschenmasse einen Hügel herabwallen, die einen weithin hörbaren Mordspectakel machte. Als ich näher kam, sah ich, daß es lauter tanzende und springende Gruppen waren, die in langer wie zu einer Polonaise geformter Doppelreihe ihre polkaartigen Sprünge mit tactmäßigem Händeklatschen und grellem Unisonogesange begleiteten. Das Schauspiel interessirte mich ungemein und ich begab mich daher in die Mitte der jubelnden, nach offenbarem Augenschein sich unendlich glücklich fühlenden und sich königlich amusirenden Negermasse. Es waren lauter regelmäßige Paare von Männlein und Fräulein, und alle in blühendster Jugend, bis zu ganz kleinen Kindern herab, die mit gleicher Leidenschaft die rhythmischen Bein- und Handbewegungen mitmachten. Die Männer wie die Frauen und Mädchen waren mit halbeuropäischer Kleidung angethan.

Eine große Masse augenscheinlich niedrigern Volkes, meist Frauen und Kinder, und blos mit Fellen von wilden Thieren bekleidet, standen um die Tanzenden herum als passive Zuschauer.

Einzelne der Tänzerinnen hatten rothe und blaue baumwollene Regenschirme in der linken Hand, mit denen sie sehr graziös während des Tanzes in der Luft herumfuchtelten. Das tolle Durcheinanderspringen aller dieser komischen Gestalten war ungemein amusant, und ich konnte mich daran gar nicht satt sehen. Ein Ballet von Störchen, Gänsen, Enten und Krähen würde ungefähr einen ähnlichen Eindruck auf mich hervorgebracht haben. Und der Gesang! Noch heute summt es mir davon in den Ohren. Aber das Schönste waren die fabelhaft vergnügten, freudenseligen Gesichter. Ein Jubel, eine Lust von solcher Innigkeit, eine Ausgelassenheit von solcher Seligkeit, wie man nur eben bei Negern sie finden kann! Bei einer solchen festlichen Gelegenheit – es war nämlich eine Hochzeit – zeigt sich die primitive, einfache, kindliche Natur der Neger in aller ihrer Liebenswürdigkeit. Wahrlich, das waren nicht mehr die verdorbenen, aufgeblasenen, trunksüchtigen und diebischen schwarzen Halunken von den Diamantfeldern, die jedem, der mit ihnen geschäftlich zu thun hatte, einen Ekel vor der schwarzen Race einflößten, – es war die noch reine, unverfälschte und unverzogene, gutmüthige und liebenswürdige kindliche Natur der schwarzen Race, wie sie nur da sich glücklich erhalten hat, wo dieselbe für sich allein und getrennt von den Weißen hat bleiben können.

Die Anwesenheit eines fremden weißen Gesichts konnte natürlich der ausgelassenen Menge nicht unbemerkt bleiben, aber trotz der allgemeinen Losgebundenheit und Aufregung benahmen sich die Leute mit so auffallender Anständigkeit und rücksichtsvollster Höflichkeit gegen mich, daß ich dadurch die allervortheilhafteste Idee von der Höhe ihres Culturstandpunktes erhielt.

Man machte mir überall respectvoll Platz, wo ich mich aufstellte, um das afrikanische Ballet besser zu übersehen, und als sich dann die ganze Gesellschaft in einen großen Garten begab, in dem verschiedene Hütten, die Hütten der Eltern der Braut, standen, wurde ich sehr freundlich eingeladen, dahin mit zu folgen. Die Zuschauermasse mußte draußen bleiben, nur die Elite von circa zweihundert Personen wurde eingelassen, und jetzt ging für diese eine große Schmauserei an. Den auf winzigen Rohrsesselchen sitzenden oder einfach auf dem Boden kauernden Gästen wurden in aus Gras geflochtenen Schüsseln Rindfleisch und Brei von Kaffernkorn herumgegeben. Nach diesem folgte sogar noch ein höchst wohlschmeckender Kaffee mit Zucker. Um den fremden Gast zu ehren, forderte der Vater der Braut die Masse auf, das Lied „God save the Queen“, übersetzt in die Betschuanensprache, zu singen. Alle erhoben sich und sangen die englische Nationalhymne mit ganz richtiger Intonation, was mir eine hohe Meinung von den musikalischen Talenten dieses Volksstammes beibrachte. Als ich dann die fröhliche Gesellschaft wieder verließ, fesselte mich ein neues interessantes Schauspiel draußen an der Umzäunung des Gartens.

Hunderte von jungen Mädchen, darunter ein Theil mit ganz allerliebsten Gesichtern, hatten sich dort der aus Zweigen geflochtenen Zaunwand entlang aufgestellt, um wenigstens als Zuschauerinnen bei dem Feste mit gegenwärtig zu sein. Keine einzige davon aber hatte europäische Kleidung, sondern alle trugen das primitive, aus alten Zeiten auf heute überkommene, mir viel interessantere Nationalcostüm der echten Kaffermädchen. Die Hüften umschließt eine kurze weiche, mit der Haarseite nach innen gekehrte Karroß von Schakal- oder Wildkatzenfellen. Busen und Arme (und von welcher entzückenden Plastik waren sie, die jeden Künstler bezaubern würde!) sind ohne Verhüllung, ebenso die Beine bis hoch über die Kniee. Ein Gürtel von zierlichen Perlenfransen umgiebt die schlanke dünne Taille; Arme und Beine, sowie Hals und Brust sind mit buntem Perlenschmuck behangen, und eine kokett, wie ein Husarendolman, über die linke Schulter geworfene Karroß (Pelzmäntelchen von den Fellen wilder Thiere) ist ebenfalls auf der auswendigen braunen Lederseite reichlich mit lang herabhängenden Perlenschnüren und hübsch ornamentalen Perlenstickereien verziert.

Das wollige Haupthaar ist zur unteren Hälfte weggeschoren und der darüber stehen gelassene, an eine Cardinalskappe erinnernde Haarwulst zierlich von einer Perlenschnur umfaßt, wovon wieder eine Menge kleinerer Perlenschnüre lockenartig herabfallen. Diese obere Haarbedeckung des Kopfes wird von den Mädchen fleißig mit wohlriechenden Oelen gesalbt, und so kommt es, daß die hübschen Köpfchen so glänzen und glitzern, als wären Brillanten darüber ausgesäet.

Und was die Hauptsache ist, im großen Durchschnitt hatten alle diese Mädchen so feine und intelligente, ja vornehme Gesichtszüge, daß ich mich in ihrer Gegenwart beinahe so befangen fühlte, als seien es lauter englische oder deutsche Balldamen; wenigstens kam ein ganz eigenthümliches Gefühl der Scham über mich, als ich sie mit meinem goldenen Kneifer auf der Nase eine nach der anderen musterte, und in ihren erstaunten, ernsten, edelgeformten Gesichtern etwas wie zürnende Indignation über meine aufdringliche und ihrerseits ganz unprovocirte Beobachtung zu entdecken glaubte.

Ich ging an eine der hübschesten, deren prächtige brennende Augen mich besonders anzogen, heran und bot ihr fünf Schillinge, wenn sie ihre Gefährtinnen veranlassen wolle, zu meinem Wagen zu kommen und dort nach ihrer Art ein Tänzchen aufzuführen. Sie sah mich mit großen, verwunderten und fast zürnenden Augen an und gab mir das Geld zurück. Offenbar hatte sie mein schlechtes Holländisch gar nicht verstanden. Es gelang mir jedoch später, einen jungen Neger zu finden, der ein wenig englisch sprach; diesem theilte ich meinen Wunsch mit, und er versprach mir, die ganze Gesellschaft der reizenden wilden Schönen würde in einem halben Stündchen zu meinem Camp kommen. Dies geschah denn auch, und nun hatte ich ein paar Stunden lang das Schauspiel eines so prächtigen Ballets neben meinem Wagen, wie ich es sicherlich nicht schöner bei einer Aufführung der „Afrikanerin“ in Berlin oder St. Petersburg hätte sehen können: ein graziöses, ausgelassenes und dabei doch vollständig decentes, rhythmisches Durcheinanderspringen dieser heiteren und anmuthigen Kinder der Wildniß, begleitet von fröhlichem Gesange und Händeklatschen in sehr schnellem, an das Gehämmer einer Dampflocomotive in langsamem Laufe erinnerndem Tacte. Und dieses Schauspiel kostete mir nur einige Ellen von buntem Zeuge, die ich aus einem der europäischen Läden hatte bringen lassen und den feurigsten und schönsten der Tänzerinnen präsentirte. Die graziösen, schlangenförmigen raschen Bewegungen dieser so harmonisch und schön modellirten Mädchen hatten etwas von den elastischen Springen der Tigerkatze, und man hätte glauben mögen, daß eine lange Reihe von elegant aus Ebenholz geschnitzten Statuen, durch einen Zauberring berührt, plötzlich zu einem elektrisirten und jubelnden Leben erwacht seien. Wenn ein europäischer Bildhauer auch vielleicht die Gesichtslinien nicht fehlerfrei gefunden haben würde, so

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_244.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)