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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

noch nie gehört und gestand das, auch daß ich diese Gottesgabe einmal zu trinken verhoffte. Die Antwort war, da könnte ich den Bismarck’schen Wein von damals ja gleich einmal bei ihnen probiren. Ich sah keinen Grund, warum nicht, und nahm die Einladung zur Bereicherung meiner Kentnisse an. Wir gingen in die Wohnung des Inspectors, und ich blieb bis acht Uhr, aß zu Abend mit den liebenswürdigen Leuten und probirte. Der Wein, den die Bismarck’s einst an der großen Kastanie fabricirten und von dem Inspectors jetzt noch alle Jahre eine Anzahl Flaschen bereiten, schmeckt recht gut, fast wie der süße Ungar, den man in der Sächsischen Schweiz bekommt, und man kann dabei unter guten Menschen ganz genau so aufgeräumt werden, wie wenn man statt Johannisbeer Johannisberger im Leibe hätte. Wer daran zweifelt, der überzeuge sich durch einen Versuch im nächsten Sommer, wenn in seinem Garten diese Reben wieder tragen. Hier ist das Recept, das mir die Güte der Frau Inspectorin mittheilte: Man mische mit achtzehn Gewichtstheilen Johannisbeersaft vierundzwanzig Theile Zucker, der in Wasser aufgelöst worden, lasse die Mischung vergähren, ziehe sie auf Flaschen und stelle die an einen kühlen Ort. Dann – ich habe hoffentlich nichts falsch verstanden oder vergessen – trinkt man davon gelegentlich mit netten Leuten. Nicht so, Frau Inspectorin? Inspectors lesen nämlich die „Gartenlaube“ auch, und so erlaube ich mir durch sie zu fragen und einen schönen Gruß hinzuzufügen zum Zeichen, daß ich angenehmen Menschen ein freundliches Andenken bewahre.

Der Inspector ertheilte bereitwillig Auskunft auf die Fragen, die ich in Betreff der Verhältnisse des Gutes und des Dorfes an ihn richtete. Er kennt beide seit mehreren Jahren, wenn ich nicht irre, seit 1872, wo er, der aus der Gegend von Zerbst gebürtig und ein Zögling von Dietze in Barby, einem unserer größten und intelligentesten Landwirthe, auf Empfehlung des letzteren hierher kam. Das Gut hat „Capitalboden“, indeß ist das Land etwas naß, und Drainagen lassen sich wegen der zu tiefen Lage mit Vortheil nicht anwenden. Trockene Jahre sind daher hier die besten. Das Areal der Besitzung, vor einiger Zeit vom Fürsten durch Hinzukaufen von drei Bauergütern nicht unerheblich vergrößert, zerfällt in circa neunhundert Morgen Acker, etwa sechshundert Morgen Wiesen und Hutungen und ungefähr eintausenddreihundert Morgen Wald, der meist aus Kiefern besteht, und von welchem gegen fünfhundert Morgen vom Fürsten selbst aufgeschont sind. Er hat auch einen Versuch mit Anpflanzung von hundert Stück Eichen gemacht, der wohl gelungen ist, und über dessen Erfolg er seine große Freude hat. Der Viehstand umfaßt einhundertvierundzwanzig Stück Rindvieh und fünfundzwanzig Pferde und Fohlen. Auch an der Fohlenzucht des Inspectors, der augenscheinlich ein tüchtiger, seiner Sache gewisser Landwirth ist, hat der Gutsherr als Sachkenner, wenn er, wie alljährlich ein oder ein paar Mal, herkommt, sein Wohlgefallen. Ob Schafe gehalten werden, unterließ ich zu fragen. Im Wald giebt’s Damwild, Rehe und Hasen. Im Garten, der ungefähr zwanzig Morgen groß ist und in einen mit Obstbäumen und Gemüse bepflanzten Theil, sowie in tieferliegende parkartige Anlagen zerfällt, sind in jener ersten Hälfte die vorzüglichsten Obstsorten vertreten, die der Vater des Ministers aus Frankreich mitgebracht hat. Ursprünglich meist Zwergstämme, wie sie dort gezogen werden, sind sie im Laufe der Zeit hochgegangen und zum Theil auch ihrer Größe nach achtbare Bäume geworden.

Bismarck’s Stammhaus in Schönhausen.
Nach der Natur aufgenommen.

Das Dorf hat außer den beiden Rittergütern einige vierzig andere Güter, von denen siebenunddreißig Bauernstellen und theilweise von erheblicher Größe sind, und die übrige auf Kossäthen fallen. Die Tracht der Bewohner des Dorfes unterscheidet sich, soviel ich bemerken konnte, nicht mehr von der in den meisten anderen norddeutschen Gegenden auf dem Lande üblichen. Die gewöhnliche Umgangssprache ist ein Dialekt, welcher den Uebergang aus dem Hochdeutschen zum Plattdeutschen bezeichnet. Früher wird das erstere vorgewogen haben; jetzt scheint das Umgekehrte der Fall zu sein.

Ehe ich mich verabschiedete, um am nächsten Morgen wieder zu kommen, hatte ich das Vergnügen, den neu eingezogenen Herrn Lehrer und Küster von Schönhausen kennen zu lernen, der seinen Antrittsbesuch machte und mir am Morgen die Kirche aufzuschließen versprach. Am folgenden Vormittag war ich, wie verabredet, bei Zeiten in der Kohnert’schen Wohnung, wo ich den Inspector bereit fand, mit mir die Wanderung durch die Säle und Stube des Herrenhauses anzutretem und mir dann Garten und Park zu zeigen. Bevor ich die Leser einlade, uns dabei zu folgen, bemerke ich, daß jenes, wenn man durch die gemauerten Pfeiler der Einfahrt in das Gut tritt, nicht sichtbar ist. Man sieht vielmehr hier nur links das vom Inspector mit seiner Frau bewohnte Haus, nach dem eine kleine Freitreppe hinaufführt, gerade vor sich in Entfernung einiger Schritte drei oder vier Reihen von Kastanien- und Lindenbäumen mit breiten schattigen Wipfeln, und rechts Wirthschaftsgebäude mit der Düngerstätte. Erst um die Ecke zur Linken biegend gewahrt man das oben seinem Aeußeren nach geschilderte Haus, wo ehedem die Gutsherrschaft wohnte. Die Thür desselben ließ sich mit keinem der Schlüssel, welche Frau Bellin gesandt, öffnen, und so mußten wir unseren Weg durch eine Hinterthür nehmen, zu welcher wir über den benachbarten Kirchhof gelangten. Dieselbe brachte uns zunächst im Erdgeschoß in eine weite, weißgestrichene, am Fußboden mit Ziegelsteinen getäfelte Hausflur, in der wir verschiedenen alterthümlichen Schränken, einer Mitrailleuse aus der Kriegsbeute von 1870 und einem Kellerhals begegneten, nach welchem einige Stufen hinaufführten. Im Keller läßt der Fürst seinen Nordhäuser alt werden. Die Thür über dem Kellerhals geht in das ehemalige Zimmer für Diener, wo jetzt, in Kisten und Ballen verpackt, allerlei Zeichen der Verehrung, welche Einzelne und Corporationen dem Regenerator der Nation darbrachten, Modelle zu Statuen und Büsten, Ehrenbürgerbriefe u. dergl. m. auf Raum und Zeit zur Auferstehung und passenden Ausstellung warten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_231.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)