Seite:Die Gartenlaube (1878) 221.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Gmundens ist aber die frische, nervenstärkende Gebirgsluft und der herrliche See mit seinem krystallklaren Wasser, das selten eine Temperatur von sechszehn bis siebenzehn Grad Réaumur überschreitet. Die Schwimmschule in Gmunden ist nun allerdings in einem etwas primitiven Zustande, und in dieser Beziehung sollte die Commune oder die Curcommission auf die Sommergäste mehr Rücksicht nehmen. Die Zahl der Cabinen, die mit etwas zu spartanischer Einfachheit eingerichtet sind, ist eine ganz ungenügende, zumal in den Mittagsstunden, in denen der Zudrang zum Bade der größte ist. Auch ist die Schwimmschule zu nahe am Ufer gelegen, gerade gegenüber dem Hôtel Bellevue, dessen Küchenabfälle sich in dem Bassin oft unangenehm genug bemerkbar machen, da die Abzugscanäle in den See münden. Man wird die hoffentlich bald erstehende neue Schwimmschule wohl weiter in den See rücken und durch eine Fähre oder Brücke mit dem Ufer verbinden müssen. Geübte Schwimmer und Schwimmerinnen vermeiden jetzt allerdings diese Uebelstände, indem sie aus dem umfriedeten Raum in den weiten, offenen See hinausschwimmen, und Schwimmtouren nach dem Seeschlosse Ort und zurück, ja selbst über die ganze Breite des Sees bis zum Grünberg gehören nicht zu den Seltenheiten, und an schönen Sommermittagen kann man von der Esplanade aus weit, weit draußen zahlreiche dunkle Punkte erblicken, die nichts anderes sind, als die meist durch breitkrämpige Strohhüte gegen die Sonnenstrahlen geschützten Köpfe von kühnen Schwimmern und Schwimmerinnen. Es giebt aber in der That auch nichts Herrlicheres, Genußreicheres und Erquickenderes, als so hinauszutreiben in das blaue endlose Element, sich wiegen zu lassen von den von leichtem Winde bewegten Wellen des Sees und mit allen Sinnen den Schönheitszauber in sich aufzunehmen, der aus Wasser, Luft und Erde fast überwältigend auf uns eindringt. Der Traunstein spiegelt seinen mächtigen Felsenfuß in dem krystallklaren Wasser, und das ferne Traunkirchen scheint in der hellen täuschenden Sonnenbeleuchtung so nahe, so erreichbar. Rechts erinnert das Seeschloß Ort an Chillon am Genfer See, das Byron’s Genius unsterblich gemacht hat. Und doch giebt es noch etwas Herrlicheres, und das ist eine Bootfahrt oder eine Schwimmtour in einer Mondnacht. Dann wird der Mittagszauber zum berauschenden Nachtmärchen, wenn bei jedem Ruderschlage oder jedem Tempo silberne Funken aus der dunklen Fluth aufblitzen und die Ferne geisterhaft in Duft und Dämmerung verschwimmt. Eine Mondnacht am Gmundener See, oder noch besser auf dem See gehört zu den poetischsten Erlebnissen und läßt eine unvergängliche Erinnerung zurück.

Hinter dem neuen Theile des Städtchens mit der Esplanade, der Schwimmschule, dem Casino, den Hôtels und den Dampfschiffslandungsplatze erhebt sich, hügelförmig aufsteigend, der ältere Theil, ein Gewirr von ziemlich engen, alterthümlich gebauten Gäßchen, das einen größeren Platz einschließt. Dieser Theil der Stadt, in dem sich die Pfarrkirche befindet, die einen von Schwanthaler 1656 geschnitzten Hochaltar besitzt, erstreckt sich bis zur sogenannten Wunderburg, einer Schloßruine aus dem 13. Jahrhundert, die in einen freundlichen Landsitz mit schönem Parke umgestaltet wurde. Gmunden, an dem Ausflusse der Traun aus dem See gelegen, zählt zwischen sechs- bis siebentausend Einwohner und besteht aus der eigentlichen Stadt und acht Vorstädten. Man behauptet, die römische Colonie Laciacum habe einst die Stätte des heutigen Gmundens eingenommen; in Documenten aus dem 13. Jahrhundert findet man die Stadt unter dem Namen Gamunda angeführt. Was die Geschichte betrifft, so war Gmunden schon im Jahre 1186 zur Salzniederlage bestimmt, kam als Salzstapelplatz zu Blüthe und Reichthum und hatte im Mittelalter durch die Bauernaufstände viel zu leiden. Nebst der Fremden-Industrie ist der Salztransport (die Soole wird von Ebensee hierher geleitet) die Haupterwerbsquelle der Gmundner. Das gewerbfleißige Städtchen, in dem alljährlich ein besuchter Jahrmarkt abgehalten wird, erzeugt aber auch hübsche Holzschnitzereien, Tischler- und Lederarbeiten und Töpfereiwaaren, von letzteren besonders gelungene Nachahmungen alter Majoliken. Auch betreibt es einen nicht ganz unerheblichen Handel mit Holz, Vieh und Getreide.

Der Fremdenzufluß ist in den Monaten Juli und August am lebhaftesten. Bis jetzt nahm der Verkehr nach Ischl seinen Weg über Gmunden, und obwohl eine herrliche, zum Theil dem Felsen abgerungene Chaussee mit Tunnels, Wetterdächern und berauschenden Fernblicken längs des Sees von Gmunden nach Ebensee führt, so bedienten sich die Reisenden doch zumeist der in der Saison täglich mehrmals im Anschlusse an die Eisenbahnzüge verkehrenden Dampfschiffe, um die Strecke Gmunden-Ebensee zurückzulegen. Das wird sich nun allerdings mit der Eröffnung der direct nach Ischl führenden Salzkammergutbahn wahrscheinlich ändern, und wohl kaum zum Vortheile Gmundens. Der Bahnhof Gmunden der Salzkammergutbahn befindet sich weit draußen bei Pinsdorf; man wird den reizenden Ort nicht mehr unmittelbar berühren, und so Mancher, der vielleicht, durch den Zauber der Natur und die anheimelnde Gemüthlichkeit des Städtchens gefesselt, hier Tage und Wochen verweilt hätte, wird nun achtlos dem großstädtischeren Ischl zudampfen.

Die Stammgäste Gmundens aber, die Künstler und Jagdlustigen, werden den Ufern des reizenden Traunsees treu bleiben. Sie werden nach wie vor die blauen Wogen des Sees auf allen Arten von Ruder- und Segelbooten durchfurchen, die Bergriesen, die ihn umsäumen, erklettern, den flüchtigen Gemsen auf den Gebirgsschroffen nachstellen oder die flinken rothgesprenkelten Forellen der grünen Traun an den Angelhaken locken. Und wenn der Traunstein seine Nebelkappe über die Ohren zieht, daß von dem Portraitkopfe Ludwig’s des Sechszehnten, den phantasievolle Reisende in seinem Profil erkennen wollen, nichts zu sehen ist, wenn die „schlafende Griechin“ nebenan sich in schwarze Wolkenschleier gehüllt und der Sturm mit Blitz und Donner aus der Viechtau sein wildes Lied singt, dann flüchtet man vor dem Zorne der Elemente in die heimlichen Räume des Casinos, um bei einem Glase Wein und einer Zeitung oder bei einer Whistpartie besseres Wetter abzuwarten. Wehe aber dem Unglücklichen, den das böse Wetter auf dem See überrascht!

Mit dem Traunsee ist durchaus nicht zu spaßen. So freundlich und zutraulich er bei Sonnenschein sich präsentirt, so furchtbar kann er plötzlich, fast ohne allen Uebergang, werden. Dann rast er und „will sein Opfer haben“. Unglücksfälle kommen trotzdem nur selten vor, da die Schiffsleute sehr vorsichtig und gewandt sind und aus für Andere kaum merkbaren Zeichen den Umschlag des Wetters erkennen. Nur wenn ein Boot an dem Fuße des in senkrechten, nirgends einen Landungsplatz bietenden Felsmauern in den See abfallenden Traunsteins vom Viechtauer Winde, der es gerade gegen dieselben treibt, überrascht wird, läuft es ernstliche Gefahr. Doch wer denkt daran in klaren Sommerabenden, wenn die Musik auf der Esplanade spielt und der See, so weit man blicken mag, von buntbewimpelten Fahrzeugen bedeckt ist! Die Sonne neigt sich zum Niedergange; der Traunstein beginnt in hellem Purpur aufzuflammen, und die leuchtende Mondsichel steigt langsam über seinem Scheitel empor. Die Musik hat die Esplanade verlassen, um in dem großen Saale des Casinos den Tanzlustigen aufzuspielen. Und wenn man spät Nachts über die monderhellte Esplanade nach Hause geht, dann begegnet man wohl einer mittelalterlichen Reminiscenz, dem in einen weißen Mantel gehüllten, mit Spieß und Horn ausgerüsteten Nachtwächter und hört sein eintöniges Lied: „Bewahrt das Feuer und das Licht, damit kein Unglück g’schicht!“ Draußen aus dem See aber ist noch eine kleine lustige Gesellschaft in schwankem Kahne und weckt mit fröhlichen Liedern, mit Waldhornklängen und Pistolenschüssen das vielstimmige Echo: das ist ein Abend in Gmunden.

Den geselligen Mittelpunkt der geistig und social hervorragenden Kreise Gmundens bilden, außer der hannöverischen Familie, die Häuser von Karl Laroche und Gräfin Prokesch-Osten (Friederike Goßmann). Das äußerst geschmackvolle Haus Laroche’s ist klein, mit fast schiffscabinenartig beschränkten Räumlichkeiten, aber die schrankenlose Gastfreundschaft des Hausherrn weiß das kleine Haus kautschukartig auszudehnen. Der Spruch: „kleines Haus, große Ruhe“ – hat hier keine Anwendung; es herrscht hier im Gegentheil ein sehr bewegtes Leben und Treiben. Weit eher paßt das Wort aus „Wilhelm Tell“:

„Stauffacher’s Haus verbirgt sich nicht, zu äußerst
Am offnen Heerweg steht’s, ein wirthlich Dach
Für alle Wand’rer, die des Weges fahren.“

Wenn es dunkelt, dann erhellen sich die Fenster des bescheidenen Salons, und Männer- und Frauengestalten schreiten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_221.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)